Nordkoreas Diktator ist tot, und die Medien erweisen ihm die letzte Ehre, indem sie einem Schmierentheater staatsmännische Züge verleihen.
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Von kollektivem Weinkrampf geschüttelt verbeugt sich ein Volk vor seinem Kerkermeister - und in der Blutspur von Kim Jong-il schreitet der nächste Folterknecht bereits daher. Unter Fanfarenstößen der Medien erklimmt in Nordkorea Kim Jong-un den Gipfel einer nicht legitimierten Macht. Für die Medien ist das eine Gratwanderung zwischen Informationspflicht und Sensationslust.
Zur Klarstellung, es geht nicht darum, dass die freie Welt diesen Tod beklatschen soll. Das wäre unwürdig. Es geht darum, ob die Totenfeiern, die Inthronisation des nächsten Diktators in schon fast royaler Berichterstattungsform der Weltöffentlichkeit präsentiert werden muss. Enthält man damit der Öffentlichkeit Nachrichten vor oder geht man der Propaganda-Maschinerie in Pjöngjang damit auf den Leim? Das Zweite ist der Fall. Wo Menschen im Kollektiv einen Unterdrücker tränenreich verabschieden, ist die Schamgrenze der Berichterstattung erreicht. Das ist keine Information, das ist Propaganda. Und der haben Medien nicht zu dienen.
Viele Nordkoreaner kennen den neuen "Großen Nachfolger" der "Sonne der Koreaner" gar nicht, vermutlich werden sie ihn auch nur weichgespült durch die Propaganda kennenlernen, eben als den "Großen Nachfolger". Auch wenn der Bevölkerung westliche Medien nicht zugängig sind, oder sie sich in ihrem Überlebenskampf nicht für sie interessieren, ist es ein moralisches Unding, diese Vertreter einer Dynastie der Diktatoren in wohlfeiler Art der interessierten Öffentlichkeit außerhalb der Folterkeller als den lieben Onkel Kim Jong-il und den im Ausland wohlerzogenen Kim Jong-un zu präsentieren.
In Nordkorea bereitet sich ein knochenharter Diktator auf seine Amtseinführung vor. Wahrlich nicht mit dem Ziel, sich seine "angestammten" Rechte von der Bevölkerung aus der Hand nehmen zu lassen. Es ist eine Selbstverständlichkeit zu berichten, aber mit der gebührenden Distanz. Bereits jetzt wird Kim Jong-un in die geostrategischen Interessen der freien Welt eingewoben - das mag Realpolitik sein, aber es bleibt trotzdem verwerflich, wenn damit nicht das Ziel verbunden ist, Freiheit als ein universelles Ziel jeder Gesellschaft zu proklamieren.
Im Nahen Osten ist der Stützpfeiler der Freiheit noch nicht tief genug in den Wüstensand getrieben, um von einem Sieg der Menschenrechte laut reden zu können. Ein Blick nach Ägypten muss sorgenvoll stimmen. Es bedarf größter Anstrengungen, die Fahnen der Freiheit weithin sichtbar wehen zu lassen. In Nordkorea müssen sie erst noch hochgezogen werden. Die freie Welt ist in der Pflicht.