Europas Unfähigkeit, seine Außengrenzen zu schützen, hilft den trüben Ambitionen des türkischen Möchtegern-Sultans Erdogan.
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Dafür, dass er von den anderen EU-Staaten gerade wieder einmal mit schlappen 80 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott gerettet wird, bedankte sich der griechische Premier Alexis Tsipras eher eigenwillig: Er weigerte sich vorerst, den zwischen Kanzlerin Angela Merkel und der Türkei akkordierten Plan zu unterstützen, der gemeinsame türkisch-griechische Marinepatrouillen an der EU-Außengrenze in der Ägäis vorsieht. Mit den Nato-Türken in einem Boot, so beschied er der Kanzlerin, das sei für Nato-Griechen unzumutbar, bevor er auf nicht untypische Art zurückruderte und zumindest grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation mit Ankara bekundete. Vermutlich wieder einmal eine Frage der Würde des griechischen Volkes oder so.
Eine bizarre Episode, die freilich am Rande mit dafür gesorgt hat, dass die EU in der so virulenten Frage der Sicherung der EU-Außengrenze noch mehr auf das Wohlwollen des türkischen Staatschefs Recep Erdogan angewiesen ist. Das ist gar nicht gut: Europa läuft nämlich Gefahr, endgültig auf jene "Er ist ein Bastard, aber er ist unser Bastard"-Politik" einzuschwenken, die charakteristisch für interessengetriebene Allianzen mit anrüchigen Regimes ist. Und für die in aller Regel all jene einen hohen Preis zahlen müssen, die mit derartigen Regimes vor Ort im Dissens stehen.
Tatsächlich sitzt Erdogan an einem der wichtigsten Regler, mit denen die aktuelle Migration ins Herz Europas beschleunigt oder gedrosselt werden kann. Je nachdem, wie die Türkei mit den Millionen Flüchtlingen im Land umgeht und ihre Außengrenze mehr oder weniger durchlässig gestaltet, wird der Strom nach Nordwesten breiter oder schmäler. Dafür Geld anzubieten, wie nun vereinbart wurde, geht in Ordnung; auch Erleichterungen bei der Visaerteilung für Türken sind grundsätzlich kein Problem.
Doch Erdogan will mehr, nämlich ein Zeichen der Anerkennung vor den Wahlen und vor allem, dass die Europäer stillschweigend all jene inakzeptablen Praktiken akzeptieren, die unter ihm Usus geworden sind: die schweren Attacken auf Presse- und Meinungsfreiheit, die laufende Verletzung von Grund- und Menschenrechten, die wieder aufflammende Verfolgung der Kurden, das ziemlich opake Verhältnis der Regierung in Ankara zum IS, die zunehmende Dekonstruktion der Türkei als laizistischer Staat und das Vordringen der Religion im öffentlichen Leben.
All das im Gegenzug für eine paar hunderttausend Flüchtlinge weniger gleichsam mit einem stillschweigenden Plazet der EU zu versehen, wäre ein reichlich zynischer Handel; ganz besonders für Deutschland, das sich neuerdings ja als moralische Hypermacht versteht.
Den Preis dafür, dass die EU beim Schutz ihrer Außengrenzen versagt hat und die Drecksarbeit nun an den Subunternehmer Erdogan auslagern will, würden all jene zahlen, die schon heute vom Schmalspur-Despoten in Ankara bedrängt werden. Mit Recht befürchtete jüngst der deutsche Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir "einen schmutzigen Deal mit einem autoritären Herrscher" und dass "die EU-Partner künftig die Augen zudrücken, wenn er sein Volk unterdrückt". Merkels derzeit üppiger Bonuspunkte-Stand auf ihrer platinenen Moralcard würde damit schlagartig entwertet.