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Ökonom Varoufakis: Eurozone steuert unverändert in Richtung Untergang.
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Wien. Die Eurozone steuere unverändert ins Verderben: Davon ist der griechisch-australische Ökonom Yanis Varoufakis, der an den Universitäten Athen und Texas lehrt, überzeugt. Die optimistische Anlegerstimmung sei dazu kein Widerspruch: Noch vor jedem Abschwung und bei jeder größeren Blase habe sich der Finanzmarkt noch einmal final aufgebäumt.
Europa sei im Kampf gegen die Krise auf einem politischen Irrweg, sagt Varoufakis im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". An den drei fundamentalen Problemen habe sich nämlich nichts geändert: Die negative Feedback-Schleife, die Banken und Staaten gemeinsam in den Abgrund zieht, drehe sich weiter. Die 17 Euro-Staaten seien immer noch ohne ausgleichenden Puffer für wirtschaftliche Schocks aneinander gekettet. Und: Europa steckt tief in der Rezession.
Keiner dieser Punkte werde adäquat bekämpft. Varoufakis hat den Glauben verloren, dass eine Bankenunion den Konnex von Finanzinstituten und Staaten brechen wird. Der einzig sinnvolle Beschluss von mehr als 20 Eurogipfeln sei jener gewesen, kriselnden Banken Kapital direkt aus den Euro-Rettungsschirmen zuzuschießen - statt über den Umweg der Staatshaushalte. "Italiens Premier Mario Monti hat damit allen anderen, insbesondere Angela Merkel, seinen Willen aufgezwungen. Ich dachte: Oh mein Gott, es gibt Hoffnung", sagt Varoufakis. Allerdings wurde just dieser Beschluss von einigen Ländern inklusive Deutschland und Österreich wenige Tage später zunichte gemacht. Jetzt gilt die Bankenunion dafür als Prämisse - und diese werde nicht kommen: "Das Gerede darüber ist der beste Garant, dass es sie in Wirklichkeit nie geben wird."
Ebenso wenig glaubt der Wirtschaftsprofessor an die Langfrist-Vision, dass Europa enger zusammenrückt - inklusive Fiskalunion und politischer Union: "Für jeden Schritt vor werden fünf zurück gemacht." Es sei überdies der falsche Schritt, eine Föderation wegen einer Krise zu gründen, solange die politische Reife nicht gegeben sei.
Rettungsschirm ist "toxisch"
Auch dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM spricht Varoufakis die ausgleichende Wirkung ab: "Dieser ist selbst toxisch, weil er wie ein CDO (Collateralized Debt Obligation), wie ein komplexes Finanzinstrument mit unterschiedlichen Risiko-Tranchen, strukturiert ist." Nur vordergründig gebe es eine gemeinsame Haftung der Eurozone, in Wahrheit stehe jeder Staat nur für seinen Anteil ein - Deutschland mit 27 Prozent, Österreich mit 2,8 Prozent. Wenn Spanien und Italien wegen der Zinserleichterungen für Griechenland nun höhere Kosten tragen müssen, so verringere das deren Bonität: "Das ergibt einen negativen Dominoeffekt innerhalb der ESM-Struktur." Vermeiden lasse sich das nur, wenn die Europäische Zentralbank Anleihen begebe und den Eurostaaten erlaube, sich bis zum laut Maastricht-Vertrag erlaubten Limit (60 Prozent der Wirtschaftsleistung) bei ihr zu verschulden.
Den Regierungen in Österreich und Deutschland wirft Varoufakis schleißigen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler vor: Jene 24 Milliarden Euro, die über den Staat an die griechischen Banken fließen werden, seien verschwendetes Geld. "Ohne private Kapitalzuflüsse reicht das nie. Aber wer investiert, solange der nächste Schuldenschnitt droht?" Die Euroländer sollten sich besser direkt an sanierungsfähigen Banken beteiligen - und nicht überlebensfähige abwickeln. Andererseits führe kein Weg daran vorbei, dass Griechenland Schulden erlassen werden (was die Steuerzahler der Eurozone ebenfalls belastet). 2015 oder 2016 sei es aber zu spät. Durch die Einsparungen, die die Troika verlangt, würde die Finanzlücke nämlich noch größer, ist Varoufakis überzeugt - weil Investitionen, Wachstum und Steuern ausbleiben.
"Nazis treiben die Parteien"
Politisch durchlebe Griechenland ohnehin den "schlimmsten Albtraum: Nazis sitzen im Parlament, haben die Oberhand auf der Straße, unterwandern das Militär und die Justiz." Auch ohne Regierungsbeteiligung treibe die rechtsextreme "Goldene Morgenröte" die anderen Parteien vor sich her, kritisiert Varoufakis.