Der Prozess um versuchte Vergewaltigung auf der Donauinselfest endet mit einer Verurteilung.
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Wien. In einem schwarzen, schönen Sakko sitzt Herr M. am Dienstag als Angeklagter vor dem Schöffensenat. Die Beine des jungen Mannes zappeln. Er spricht leise, doch schnell. Die Dolmetscherin kommt mit dem Übersetzen nicht mit. Er möge doch langsamer reden, sagt seine Verteidigerin zu ihm. M. folgt ihrer Bitte. Für ihn geht es heute um viel. Noch ist er ein freier Mann.
Was ihm bei einer Haftstrafe droht, erfuhr M. bereits am eigenen Leibe. Bei Prozessbeginn am Wiener Straflandesgericht Anfang August war er kein freier Mann. Als Untersuchungshäftling, leger gekleidet, saß er damals auf der Anklagebank. Eine 21-jährige Slowakin - sie war als Erasmus-Studentin in Wien - soll H. am Donauinselfest 2017 beim Tanzen vor einer Konzertbühne geschlechtlich genötigt haben. Anschließend soll er sie in ein Gebüsch gezerrt und versucht haben, sie zu vergewaltigen. Zu Prozessbeginn wurde er am Ende des Verhandlungstages enthaftet. Ob er aus der wiedererlangten Freiheit zurück in die Haft muss: Darüber hat am Dienstag der Schöffensenat zu entscheiden.
"Ins Gebüsch gezerrt"
M. bekennt sich nicht schuldig. Er habe im Einvernehmen mit der Frau getanzt und sie geküsst, sagt der 19-jährige Afghane. Die Frau sei nach einiger Zeit von der Bühne weggegangen. Er sei ihr gefolgt. Bei einer Anhöhe habe er ihre Hand berührt, wodurch man eine Böschung heruntergefallen sei. Geschlechtsverkehr habe er mit der Frau nicht haben wollen.
Zum Prozessauftakt war die die Frau nicht erschienen. Am Dienstag wird sie per Videokonferenz aus der Slowakei befragt. Zwar wird die Studentin unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, im Verhandlungsverlauf gibt der vorsitzende Richter Norbert Gerstberger allerdings ihre Kernaussagen wieder. Demnach habe M. sie beim Tanzen ohne ihr Einverständnis betatscht. Intensiv seien diese Berührungen nicht gewesen. Später habe M. sie "gewaltsam gepackt und ins Gebüsch gezerrt" und versucht, ihr gegen ihren Willen das Leibchen auszuziehen. Ein Polizist sei ihr dann zu Hilfe gekommen.
"Das ist rassistisch"
Emotional wird es beim Schlussplädoyer des Staatsanwaltes. Dieser schildert, dass Polizisten im Zeugenstand ausgesagt haben, sie hätten gesehen, wie M. beim Tanzen "wie ein Vampir am Hals" der Frau gehangen sei. "Das ist rassistisch!", empört sich eine ältere Dame, die den Angeklagten betreut und als Zuschauerin der Verhandlung beiwohnt.
Den Tatbestand der Vergewaltigung sieht der Schöffensenat nicht erfüllt. Er verurteilt M. wegen versuchter geschlechtlicher Nötigung zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe - davon sechs Monate unbedingt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bei einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren sei die verhängte Strafe ein "deutliches Signal". Die Szenen beim Tanzen wertete das Gericht als "moralisch übergriffig", aber als noch nicht strafbar.
Sollte das Urteil in Rechtskraft erwachsen, wird M. zeitnahe eine Aufforderung zum Strafantritt für den unbedingten Strafteil zugestellt. M. könnte aber einen vorläufigen Strafaufschub beantragen. Die Chancen, dass dieser genehmigt wird, stehen nicht schlecht, da er eine Lehrstelle gefunden hat. Bis zur Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses könnte ihm so das Gefängnis erspart bleiben.
Diskutiert wird am Dienstag vor allem über ein Video. Ein Polizist hatte bei Prozessbeginn ausgesagt, M. habe die Frau auf der Tanzfläche umklammert. Die beiden seien von 25 bis 30 Männern afghanischer oder nordafrikanischer Herkunft umringt gewesen und nach außen hin abgeschottet worden. Neben dem Angeklagten hätten weitere Männer die Frau im Intimbereich zu berühren versucht. Die Studentin habe sich dagegen gewehrt. "Die Erschütterung war groß, weil wir so etwas in Österreich noch nicht wahrgenommen haben", so der Polizist.
Laut einem Vermerk in einem Polizeibericht soll der entsprechende Bühnenbereich videoüberwacht worden sein. Ein Video, das diesen Vorfall zeigt, wurde dem Gericht jedoch nie übermittelt. "Ich wundere mich, dass dieses Video in den Akten erwähnt wird, es dieses dann aber nicht gibt. Das ist schade", meint Verteidigerin Alexia Stuefer. Ihr Beweisantrag, das Video herbeizuschaffen, wird abgelehnt. Die Frau habe bei ihrer heutigen Aussage bereits verneint, dass mehrere Männer bei ihr geschlechtliche Handlungen vorgenommen haben, so der Schöffensenat. Zudem habe man mehrfach bei der Polizei nachgefragt - das Video gebe es nicht.
Schwierige Überprüfung
Auch wurde bei der Verlesung des Polizeiberichts bei Gericht erwähnt, dass es beim Donauinselfest mehrere sexuelle Übergriffe durch antanzende Männer aus dem nordafrikanischen/afghanischen Raum gegeben haben soll.
Die heutige Strafsache sei der einzige Vorfall, den man angezeigt habe, heißt es aus der Landespolizeidirektion (LPD) Wien. "Ob es im Nachhinein Anzeigen wegen sexueller Belästigung gab, ist für uns schwierig nachzuvollziehen." Im System sei eine Suche nach Tatorten nicht möglich.
Das Bundeskriminalamt hat zu der Kriminalitätsform von sexuellen Übergriffen auf Frauen durch Männergruppen in der Öffentlichkeit jedenfalls keine Erkenntnisse. Auch in den Bundesländern sind den LPDs Fälle wie jener in Wien unbekannt.
"Kein Vergleich mit Köln"
Für mediales Aufsehen sorgten allerdings Übergriffe in der vergangenen Silvesternacht in Innsbruck. 18 Frauen gaben an, angetanzt und sexuell belästigt worden zu sein. "Die sexuellen Belästigungen und Übergriffe wurden im Wesentlichen von der gleichen Gruppe im Zuge des Tanzes begangen", sagt der Innsbrucker Stadtkommandant Martin Kirchler. Mit den Ereignissen in Köln könne man jene in Innsbruck nicht vergleichen. "Ein strukturiertes Antanzen, um sich den Opfern sexuell zu näheren, sie abzulenken und zu isolieren: Das ist nicht passiert."
Wissenschaftliche Untersuchung zum "Antanzen" gebe es in Österreich nicht, sagt Katharina Beclin, Professorin am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien. Ein großes Problem sei in diesem Zusammenhang aber Alkohol. "Überall dort, wo in großen Mengen Alkohol konsumiert wird, sind die Menschen enthemmt. Bei manchen ist es nur peinlich, bei manchen überschreitet es die strafrechtliche Grenze. Dann handelt es sich um krasse Übergriffe, die traumatisierend seien können." Beclin kritisiert zudem, dass über solche Vorfälle öffentlich wesentlich mehr als etwa über häusliche sexuelle Gewalt, die sich über Jahre hinweg erstrecke, diskutiert werden. "Da gibt es eine Schieflage", sagt Beclin.