Wie der Verein "Lernen aus der Zeitgeschichte" zur Integration kam.
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Wien. Integrationsbotschafter an heimischen Schulen? Das macht das Integrationsstaatssekretariat seit letztem Schuljahr. Doch die Idee ist älter. Schon seit 2009 schickt "Projektxchange" seine Botschafter - mittlerweile sind es mehr als 200 - österreichweit an verschiedenste Schulen. Durch persönlichen Kontakt mit engagierten Personen mit Migrationshintergrund sollen Vorurteile abgebaut werden.
"Das Wichtigste an den Begegnungen ist die Unmittelbarkeit", erzählt Markus Priller von der Projektkoordination. "Lebensgeschichten sind die besten Bewältigungsstrategien, besonders auf emotionaler Ebene. Nur so bekommt man eine neue Sicht auf die Dinge. Jemand erzählt etwas, was nicht den Klischees entspricht." Das sei etwa geschehen, als ein Schwarzer, der als Sanitäter beim Roten Kreuz arbeitet und perfekt Deutsch spricht, in seiner Uniform in die Klasse gekommen ist. "Das zerstört viele Klischees in den Köpfen."
Interessanterweise waren die Urheber der Projektidee Holocaust-Überlebende. Der Verein "Lernen aus der Zeitgeschichte" hat 2003 das Projekt "A Letter To the Stars" gestartet, bei dem 200 Holocaust-Überlebende nach Österreich, an Orte ihrer Kindheit, gereist sind und Schulklassen besucht haben. Ihr eigenes Leben war durch Migrations- und Integrationserfahrungen geprägt: Sie waren geflohen und mussten sich im Ausland integrieren. "Beim Besuch der Schulklassen ist ihnen aufgefallen: Man geht bei uns mit Migranten anders um", erzählt Brigitte Lendl, die das Projekt koordiniert hat. Auch die Sprachschwierigkeiten einiger Schüler gingen an ihnen nicht vorbei. "Sie fanden damals: Man geht mit dem Thema Integration nicht gut um, weil es mit Samthandschuhen angefasst wird. Für sie war Integration ein beidseitiger Prozess, zu dem auch gehört, dass Zuwanderer die Sprache lernen."
Die Überlebenden der Shoa haben sich von sich aus an die Projektleiter gewandt. "Das Konfliktpotenzial ist ihnen aufgefallen und dass Begegnung eine ideale Möglichkeit für Verständigung ist", erzählt Lendl. Viele Flüchtlinge vor den Nazis haben sich auch ansonsten in den USA oder in Australien für Integration engagiert und versucht, Menschen dabei zu helfen, in ihrem Land Fuß zu fassen, erzählt Markus Priller. "Sie haben gesehen, wie unglaublich schwierig dieser Prozess für ihre Eltern war."
Kein leichter Wechsel
Der Wechsel von der Pflege der Erinnerung an die Shoa zur interkulturellen Thematik war kein leichter für den Verein. "Wir haben uns gefragt: Was können wir da machen? Immerhin haben wir nun eine der größten Datenbanken für Schulen", erzählt Lendl. So begann man mit der Suche nach Role Models. Darunter waren prominente Persönlichkeiten, aber auch engagierte Personen. "Uns wurde klar: Man muss ein Miteinander schaffen", betont Lendl. Doch heute liege die Herausforderung woanders: "Jetzt geht es mehr um Motivation."
Das Know-how der Botschafter versucht man heute besonders einzubinden. Zum Beispiel hat ein iranischer Flüchtling seine Traumata künstlerisch aufgearbeitet und ein Mahnmal aus den Namen aller Menschen gemacht, die nicht überlebt haben. Er selbst wurde gefoltert. Bilder und Filme von ihm wurden gezeigt. "So gibt es Berührungspunkte mit dem eigenen Leben: Wie kann ich mit einer traumatischen Erfahrung umgehen", erzählt Priller.
Die jeweiligen Botschafter sollen auch einen Bezug zum jeweiligen Schultyp haben: Ein Handwerker, der den Hauptschulabschluss nachgeholt hat und heute erfolgreicher Unternehmer ist, könne etwa Schüler am polytechnischen Lehrgang "total fesseln", erzählt Priller, denn er "spricht die Sprache von Lehrlingen".
Gefördert wird "Projektxchange" vom Innenministerium und der EU. Projektträger ist mittlerweile das Rote Kreuz.