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Verletzter Berlusconi muss noch im Spital bleiben. | Innenminister: Premier hätte getötet werden können. | Wien/Mailand. "Ich verstehe nicht, warum sie mich so hassen." Am Tag nachdem ihm ein in psychiatrischer Behandlung stehender Mann eine aus Marmorstaub gepresste Replik des Mailänder Domes ins Gesicht geschleudert hatte, beklagte sich Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi bei seinem geistlichen Freund Luigi Verze über die Härte der Auseinandersetzungen, deren Opfer er am Sonntagabend geworden war.
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Die Veranstaltung auf dem Mailänder Domplatz mitten im Weihnachtstrubel hätte der Auftakt für die im Frühjahr stattfindenden Regionalwahlen werden sollen. Berlusconi, der sich nach seiner privaten Ehekrise, Problemen mit der Justiz und Auseinandersetzungen innerhalb seiner Partei in Bedrängnis befindet, nutzte seinen Auftritt zur Generalabrechnung mit all seinen Gegnern - den Medien, den Richtern, dem Verfassungsgerichtshof. Als er von einer größeren Gruppe von Protestierenden ausgepfiffen wurde, schleuderte der Premier seinen Gegnern vor Ort ein dreifaches "Schämt euch" entgegen. Die Demonstranten wurden von Berlusconi-Anhängern tätlich angegriffen.
Nur wenig später dann die Attacke gegen den Regierungschef. Der 42-jährige Massimo Tartaglia warf dem Premier ein Marmorsouvenir ins Gesicht, während dieser Hände schüttelte. Der Mann wurde von Sicherheitsleuten festgehalten und vor wütenden Berlusconi-Anhängern abgeschirmt.
Nase und Zähne gebrochen, Blutverlust
Berlusconi wurde sofort ins Spital gebracht, wo man eine Fraktur des Nasenbeines, zwei abgebrochene Zähne und Verletzungen an der Lippe feststellte. Auf der Fahrt in die Klinik hatte der Chef der Regierungspartei einen halben Liter Blut verloren, telefonisch aber seine Kinder beruhigt.
Der tätliche Angriff auf den Premier wurde von allen politischen Lagern scharf verurteilt. Weil aber Berlusconis Vertraute sofort politisches Kapital daraus schlagen wollten, indem sie dem gegnerischen politischen Lager Mitschuld am Klima der Spannungen gaben, kamen von Oppositionspolitikern auch durchaus kritische Wortmeldungen, die Berlusconis Anteil am vergifteten politischen Klima erwähnten.
Die Parteipräsidentin der Demokratischen Partei, Rosy Bindi, etwa, der Berlusconi vor kurzem attestiert hatte, sie sei schöner als intelligent, sprach Berlusconi zwar ihre Solidarität aus, fügte aber hinzu, er solle sich nicht zum Opfer machen, sei er doch selbst unter jenen, die das Klima der Gewalt erzeugt hätten.
Di Pietro erzürnt Berlusconi-Anhänger
Noch deutlicher wurde der Chef der Partei "Italia dei Valori" (Italien der Werte), der ehemalige Richter Antonio Di Pietro, der Berlusconi und seine Regierung als eine der Ursachen bezeichnete, die jenes soziale Unbehagen erzeugt haben, aus dem die Aggression entstanden sein könnte. Die Jugendorganisation von Berlusconis "Partei der Freiheit" rief dazu auf, Di Pietros Homepage abzuschalten; der Präsident der Region Lombardei, Roberto Formigoni findet Di Pietros Aussagen zum Kotzen. Berlusconis Pressesprecher Daniele Capezzone fand Bindis Aussage noch schlimmer als jene von Di Pietro und forderte den Parteichef der Demokraten, Pier Luigi Bersani, zur Distanzierung auf. Bersani selbst besuchte den verletzten Berlusconi am Montag in der Klinik, wo sich die Besucher die Klinke in die Hand gaben.
Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord meinte am Montag, Berlusconi hätte bei der Aggression auch den Tod finden können. Gleichzeitig wies er aber alle Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen auf dem Mailänder Domplatz zurück. Man habe die Wahlveranstaltung besonders bewacht.
Im Internet haben sich inzwischen nach italienischen Presseberichten rund 50.000 Teilnehmer als Bewunderer des Angreifers deklariert. Maroni überlegt schon, die entsprechenden Seiten abschalten zu lassen. Auch die Souvenir-Miniaturen des Mailänder Domes, die zwischen 10 und 12 Euro kosten, gingen am Montag weg wie die warmen Semmeln.