Die Armee in Myanmar scheint derzeit mehr am Machterhalt als an weiteren Reformen interessiert. Die Opposition wiederum sei viel zu sehr auf ihre Ikone Aung Sang Suu Kyi fixiert, sagt der Politanalyst Khin Zaw Win.
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Naypyidaw/Wien. Nicht einmal zum Abendessen sind sie gekommen. Die Oppositionsikone in Myanmar (Burma), Aung San Suu Kyi, wollte kürzlich ganz informell mit Parlamentariern, die dem Militär angehören, über die Verfassung diskutieren. Doch die Soldaten nahmen die Einladung nicht an. Offenbar gibt es aus Sicht der Armee hier nichts mehr zu besprechen.
Daran änderten auch fünf Millionen Unterschriften nichts, die die Opposition im ganzen Land gesammelt hatte, um die Abschaffung von Paragraf 436 einzufordern. Dieser besagt, dass es 75 Prozent der Stimmen im Parlamentarier braucht, damit die Verfassung überhaupt geändert werden kann. 25 Prozent der Parlamentssitze sind aber für die Armee reserviert, ohne sie geht also gar nichts. Auch Schlüsselministerien wie das für Inneres behalten sich die Militärs vor. Diese Macht wollen sie nicht abgeben.
Bürger legten Angst ab
Die Armee ist derzeit offenbar nicht bereit, den Reformkurs weiter voranzutreiben, sagt der burmesische Politanalyst Khin Zaw Win, der auf Einladung der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung in Wien war. Doch einiges ist ohnehin schon geschehen. War Myanmar jahrzehntelang eine bleierne, isolierte Militärdiktatur, hat Präsident Thein Sein, ein früherer General, sein Land umgekrempelt.
"Ich bin sehr froh darüber, wie sich nun die Presse geöffnet hat", sagt Win, der selbst während der Diktatur wegen seines Einsatzes für Menschenrechte im Gefängnis saß, der "Wiener Zeitung". "Auch haben die Bürger ihre Angst abgelegt, für ihre Rechte zu demonstrieren. Und wir haben nun viele politische Parteien." Die zwei größten: die Union für Solidarität und Entwicklung, die dem Militär nahesteht, in der aber auch Geschäftsleute, die während der Diktatur reich wurden, ihre Heimat gefunden haben. Und die Nationale Liga für Demokratie (NLD), deren Proponenten früher verfolgt und eingekerkert wurden.
Die NLD hat viel Kredit bei der Bevölkerung. Es würde nicht verwundern, wenn sie die Wahlen nächstes Jahr, die die ersten freien in der Geschichte Myanmars sein könnten, gewinnen würde. Vor allem Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi, die rund 15 Jahre unter Hausarrest verbringen musste und der Partei vorsteht, genießt große Verehrung. Doch laut Win ist es genau die Schwäche der NLD, "dass sie vollkommen auf die charismatische Führungsfigur Suu Kyi zugeschnitten ist. Ohne sie würde die Partei wohl kollabieren." Es fehle an Persönlichkeiten in der zweiten Reihe - und auch an Expertise, etwa in Wirtschaftsfragen. Zudem sei die NLD nur unter der Mehrheitsbevölkerung der Burmesen populär und habe keinen Zugang zu den Minderheiten gefunden, die ein Drittel der Bevölkerung ausmachen.
Die Armut ist geblieben
Es gibt in dem südostasiatischen Land rund 130 ethnische Gruppen, zu den größten zählen etwa die Karen, Shan oder Kachin (siehe Grafik). Und viele politische Parteien sind derzeit rein ethnische Bewegungen. Das liegt laut Win daran, dass es den Minderheiten nun erstmals erlaubt ist, politisch für sich selbst derart einzutreten. "Aber ethnische Parteien sind auch gefährlich", sagt er. "Als Warnung braucht man nur auf das frühere Jugoslawien zu blicken, das aufgrund seiner ethnischen und nationalen Konflikte zerfallen ist."
Zumal in Myanmar schon Bürgerkrieg herrscht, und zwar der längste der Welt. Seit rund fünf Jahrzehnten bekämpfen sich in einzelnen Regionen die Armee und bewaffnete Gruppen verschiedener Ethnien. Mit vielen dieser Gruppen hat die Regierung bereits ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, mit manchen von ihnen verhandelt sie gerade. Die größte derzeit aktive Rebellenorganisation ist die Kachin Independent Army (KIA). Bei den Gesprächen spießt es sich: Das Militär verlangt zunächst eine Entwaffnung der KIA, bevor über politische Fragen überhaupt verhandelt wird. Die KIA wiederum denkt nicht daran, die Waffen abzulegen, bevor nicht die politischen Streitpunkte geklärt sind.
Hier geht es etwa darum, wie sehr die Minderheiten, denen mehr Föderalismus zugesagt wurde, künftig an Ressourcen beteiligt sind. Jahrzehntelang floss das Geld, das Myanmar aus seinen Gasreserven oder Edelhölzern gewinnt, nur in die Taschen der Militärs und ihrer Geschäftsleute. Die Bevölkerung blieb großteils bitterarm, lebt bis heute vielerorts ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne medizinische Versorgung - das trifft die Minderheiten genauso wie die Burmesen.
Präsident Thein Sein und seine Regierung seien bei der Armutsbekämpfung gescheitert, sagt Win. Dabei gab es in der Hauptstadt Naypyidaw viele Kongresse mit internationalen Experten zur Armutsreduzierung. "Doch das hat nichts gebracht, der Alltag vieler Menschen hat sich nicht geändert", sagt Win. "Die Verwaltung war zu schwach aufgestellt, um die gewünschten Ergebnisse zu liefern."
Die Administration stammt noch aus der Militärdiktatur, und "viele Beamte haben noch immer dieselbe Einstellung wie früher. Sie denken nicht, dass sie eine Verantwortung gegenüber den Bürgern hätten, sondern sind es gewohnt, Befehle zu erteilen. Sie agieren oft ineffizient und sind korrupt."
Die Reformen können nur Schritt für Schritt vorangehen und werden noch lange brauchen, resümiert Win. Noch immer scheint die Armee nicht Teil der Regierung zu sein, sondern über ihr zu stehen. In Myanmar wurde nicht eine Diktatur gestürzt, sondern die Herrscher selbst haben den Wandel eingeleitet.
Das große Schweigen
Das bringt es mit sich, dass Personen, die für Tod und Folter verantwortlich waren, unangetastet blieben. "Ich war elf Jahre im Gefängnis, doch andere haben vielmehr verloren, nämlich ihr Leben oder ihre Familie", sagt Win. "Das geschah im großen Ausmaß im ganzen Land." Aber niemand wird dafür verantwortlich gemacht.
Unter der burmesischen Opposition scheint es Konsens zu sein, dass es die Reformen zu sehr gefährden würde, wenn man dieses heikle Thema anspricht. Die Minderheiten hätten zwar am meisten unter der Junta gelitten, aber sie seien derzeit vor allem mit der Gestaltung ihrer politischen Zukunft beschäftigt, sagt Win, der zudem darauf verweist, dass auch ethnische Rebellengruppen Verbrechen begangen hätten. Und generell seien in einem armen Land wie Myanmar die Leute mehr damit beschäftigt, wie sie zu ihrer nächsten Mahlzeit kommen, als mit der Vergangenheit.
Aber es bräuchte zumindest ein Bekenntnis, dass Verbrechen begangen wurden, "die in Zukunft nicht mehr geschehen sollen", betont Win. "Wenn wir uns nicht unserer Vergangenheit stellen, wird das uns als Nation und als Bürger beeinträchtigen."
Zur Person
Khin Zaw Win engagiert sich seit Jahrzehnten in der Menschenrechtspolitik seines Landes. Dafür war er während der Militärdiktatur von 1994 bis 2005 politischer Gefangener. Heute begleitet er als unabhängiger Politanalyst den Reformkurs Myanmars.