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Das Überlaufen des libyschen Ex-Außenministers Mussa Kussa ist gehörig schiefgelaufen - symptomatisch für den Einsatz der Nato im Kampf gegen den Diktator Muammar Gaddafi.
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Der verpfuschte Abgang von Libyens Ex-Außenminister Mussa Kussa vor mehreren Monaten wirft ein Licht auf die verworrene Strategie, die den Nato-Feldzug gegen Muammar Gaddafi belastet. Aber dennoch ist das Gaddafi-Regime offenbar genug unter Druck, um diese Woche einen Gesandten nach Washington zu schicken, der die Möglichkeiten für ein Übereinkommen sondieren soll.
Kusa floh am 30. März nach Großbritannien. Ursprünglich wurde das als schwerer Schlag gegen das Regime in Libyen verkauft. Neue Details legen hingegen nahe, dass es sich um einen schlecht geplanten übereilten Aufbruch handelt, der nach hinten los ging. Kussa hat Großbritannien Mitte April verlassen und ist nun in Doha, Katar, untergetaucht.
Auch die Einschätzungen der libyschen Finanzlage sollte man prüfen. Das Weiße Haus hatte gehofft, dass Gaddafis Regime schon im Sommer das Geld ausgehen und es folglich implodieren werde. Von einem Insider ist aber zu erfahren, dass Gaddafi immer noch Reserven im Wert von rund zehn Milliarden US-Dollar im Land haben dürfte.
Zwischen Gaddafis Streitkräften und den Rebellen ist es zu einer Pattsituation gekommen. Weder die Rebellen noch die Nato, die sie unterstützt, waren bisher sehr erfolgreich darin, die mächtigen Stämme zu überreden, überzulaufen. Das wäre laut Einschätzung von Analysten aber der Schlüssel zu einem Regimewechsel in Libyen.
Die USA, Frankreich und andere Länder hoffen, die Waage zugunsten der Rebellen, die sich selbst Transitional National Council (Nationaler Übergangsrat) nennen, zu bewegen, indem sie sie als offizielle Vertreter des libyschen Volkes anerkennen. Das hat bisher aber nur auf dem Papier Bedeutung.
Aber zurück zu Kussa, der ursprünglich nach Frankreich wollte. Ein französischer Nachrichtenoffizier soll ihn am 10. März während eines Kongresses in Addis Abeba kontaktiert haben. Ein anderer französischer Geheimdienstmitarbeiter traf dann mit ihm im Royal Garden Hotel in Djerba, Tunesien, am 29. März zusammen und versprach ihm für den Fall des Überlaufens Unterkunft, finanzielle Hilfe und Immunität.
Dieser Plan scheiterte allerdings gleich am Tag darauf, weil Kussa sich weigerte, sich öffentlich mit Präsident Nicolas Sarkozy zu zeigen und Gaddafi zu verurteilen. Stattdessen nahm Kussa hektisch Kontakt zum britischen Geheimdienst MI6 auf. Die Briten erbaten sich drei Tage, um die Details auszuarbeiten. Als Kussa sagte, er müsse sofort weg, war der MI6 binnen weniger Stunden mit den wichtigsten Vorbereitungen fertig. Bald darauf wollten MI6-Mitarbeiter Kussa vom Farnborough Airport südwestlich von London abholen - allerdings ließen dessen Visum-Unterlagen noch einige Stunden auf sich warten.
Die Briten verlangten von Kussa zwar keine öffentliche Verurteilung Gaddafis, Schutz vor Verfolgung (in Sachen Lockerbie und Erschießung einer britischen Polizistin) boten sie ihm aber auch nicht. Als Kussa Mitte April seinen Pass zurückbekam, reiste er unverzüglich nach Katar, formal um an einem Treffen der Kontaktgruppe gegen Libyen teilzunehmen. Seither hat er die Hauptstadt Doha nicht mehr verlassen.
Die Fluchtpannen sorgten in Libyen für viel Gelächter und untergruben laut einer Geheimdienstquelle alle Hoffnungen auf weitere Überläufer. Trotzdem zeigt die Entsendung eines libyschen Gesandten nach Washington, dass der Druck der Nato langsam zu wirken beginnt.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung