Zum Hauptinhalt springen

Ein Sieg der Mitte in Deutschland

Von Alexander Dworzak

Politik
Zwei der drei Spitzenkandidaten erwiesen sich als Fehlbesetzungen: Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (Union).
© WZ-Illustration: Irma Tulek

Olaf Scholz’ SPD oder Armin Laschets Union: Der Gewinner der Bundestagswahl steht für einen moderaten Kurs.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Als Olaf Scholz im August 2020 zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt wurde, runzelten die Politstrategen in Berlin die Stirn. Mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl legten sich die Sozialdemokraten auf ihre Spitze fest. Gewöhnlich geschieht das einige Monate vor der Wahl, mit Bekanntgabe des Kandidaten soll ein erster Schwung in den Umfragen einsetzen. Bei Scholz passierte nichts. Die SPD verharrte bei lausigen Werten knapp oberhalb der Zehn-Prozent-Marke.

Untergegangen ist damals auch, dass die Kür des Finanzministers ein Eingeständnis des linken Parteiflügels bedeutete. Zwei ihrer Vertreter, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, führten seit kurzem die Partei, in einem Richtungsstreit wurde der Pragmatiker Scholz verhindert. Dennoch war den Linken klar, wenn die SPD eine Chance am Wahltag haben will, muss sie auf eine Person der Mitte setzen. Böse Zungen behaupten, die Linke steckte zurück, damit Scholz und jene Pragmatiker in der Fraktion, die der Devise "Opposition ist Mist" frönen, krachend scheitern. Die Sozialdemokraten müssten in Opposition, dort sollten sie sich in den Augen vieler Linker erneuern - bei dieser von Jahren der Selbstzerfleischung und quälenden Richtungsdiskussionen wunden Partei auch auf die Gefahr, zur Sekte zu schrumpfen.

Sollte es die Strategie je gegeben haben, Scholz aufzureiben, hat sie über Monate funktioniert. Denn er blieb im Schatten von zwei Kandidaten, die ebenfalls für einen Mitte-Kurs stehen: CDU-Boss Armin Laschet und die Grüne Annalena Baerbock.

Laschet sicherte sich Anfang des Jahres gegen den prononcierten Konservativen Friedrich Merz den Parteivorsitz. Damit stimmte die CDU nach Annegret Kramp-Karrenbauer - sie war mit dem Amt überfordert - zum zweiten Mal für jenen Kandidaten, der die Konservativen im Sinne Angela Merkels führt. Auf Armin Laschet konnte sich die fast 16 Jahre amtierende Kanzlerin, die bei der Wahl am Sonntag nicht mehr antritt, verlassen. Auch als die Kritik an Merkel am größten war, infolge der Flüchtlingskrise 2015, verteidigte Laschet die Kanzlerin. Der Rheinländer wusste bei seiner Kür insbesondere den Arbeitnehmerflügel und die Frauen Union hinter sich, die gesellschaftspolitisch Konservativen und Wirtschaftsliberalen hatten wieder das Nachsehen.

Bei den Grünen schaffte Baerbock zusammen mit Robert Habeck Außergewöhnliches: Mit ihnen wurde das Vorsitzteam nicht nach der üblichen Parität zwischen pragmatischem und linkem Parteiflügel besetzt. Zwei sogenannte Realos führen seit 2018 die Grünen. Sie verkörpern einen neuen Stil. Nicht mehr für Verbote sollten die Grünen stehen, sondern für Anreize, nicht für Weltuntergangs-, sondern Aufbruchstimmung. Spät setzte sich in Berlin durch, was die Grünen im von ihnen seit 2011 regierten Baden-Württemberg vormachen: Nicht nur wohlsituierte städtische Wähler in Bio-Enklaven gilt es zu erreichen, sondern auch die Leute auf dem Land. Und für den ökologischen Umbau der Wirtschaft braucht es auch gute Kontakte zu den Konzernen.

Bruchlinie eins: Der Wettstreit zwischen Laschet und Söder

Zu Jahresbeginn rechnen praktisch alle politischen Beobachter damit, dass Konservative und Grüne ab Herbst miteinander regieren - zum ersten Mal auf Bundesebene. Sämtliche anderen Parteien sind Nebendarsteller. CDU/CSU liegen mit 36 Prozent überlegen in Führung, die Grünen als zweitstärkste Partei erreichen nur auf die Hälfte.

Doch Unmut macht sich breit. Deutschland kommt bei der Corona-Impfung - ähnlich wie Österreich - schwer in die Gänge. Noch dazu wird bekannt, dass mehrere Unions-Politiker die Pandemie für persönliche Geschäfte nutzten. Es ist der Beginn der ersten von drei großen Bruchlinien im Wahlkampf: Der Wettstreit um die Kanzlerkandidatur beginnt, und CSU-Vorsitzender Markus Söder ist nicht gewillt, gegen CDU-Chef Armin Laschet zurückzustecken. Angefangen von der Bundestagsfraktion über die Parteibasis bis hin zum Wahlvolk: Überall weiß Bayerns Ministerpräsident die Mehrheit hinter sich. Doch die CDU-Spitze boxt Laschet durch. Sie fürchtet Söders ständige Kurswechsel. Vor allem läuft es ihrem Selbstverständnis zuwider, dass ein Kandidat der kleinen Schwesterpartei die Union anführen soll. Letztlich gibt Söder auf, aber der harte Kampf in aller Öffentlichkeit beschädigt die Union massiv.

Scheinbar geräuschlos entscheiden hingegen die Grünen, dass Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin werden soll. Die 40-jährige soll einen Aufbruch stilisieren, ein Gegenbild zu den beiden über 50-Jährigen Laschet und Scholz sein. Ende April liegt die Öko-Partei zum ersten Mal in Umfragen vor der Union, mit 26 zu 25 Prozent.

Phase zwei: Baerbock disqualifiziert sich

Die Freude währt nur kurz, Phase zwei der Wahlkampf-Brüche beginnt. Das Image von Baerbock als überall firme Perfektionistin bekommt erste Kratzer. Nebeneinkünfte wurden zu spät an die Bundestagsverwaltung übermittelt. Kurz darauf stellt sich heraus, dass Baerbock ihren Lebenslauf frisiert hat. Die Öffentlichkeit beginnt sich zu fragen, wer diese Frau ist, die über keinerlei Regierungserfahrung, aber eine satte Portion Zielstrebigkeit verfügt. Auch eine Plagiatorin, wie Stefan Weber herausfindet. Der Österreicher findet in Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" 100 Plagiatsfragmente. In der Wählergunst fallen die Grünen wieder hinter die Union zurück. Scholz’ SPD kann dagegen überhaupt nicht von den Fehlern Baerbocks profitieren, die Sozialdemokraten dümpeln bei 15 Prozent.

Ohne viel eigenes Zutun kratzen CDU und CSU wieder an der 30-Prozent-Marke. Söder warnt vor einem Wahlkampf im "Schlafwagenmodus" - vergebens. Laschet will den Vorsprung verwalten und taucht ab. Das Merkel-Erbe genügt ihm, auf Inhalte und ein Wahlprogramm müssen die Bürger Monate warten.

Dritte Bruchlinie: Laschet lacht

All das rächt sich ab dem 17. Juli: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält im von der Flutkatastrophe getroffenen nordrhein-westfälischen Erftstadt eine Ansprache. Im Hintergrund lacht Landesvater Laschet, der Ministerpräsident des bevölkerungsstärksten Bundeslandes. "Blöd, dämlich": Laschet entschuldigt sich umgehend für seinen Auftritt. Zu spät, er kann die Bilder nicht vergessen machen. Phase drei beginnt: Laschet und die Union geraten in ein Tief, von dem sie sich kaum erholen werden.

Personalfragen statt Inhalte

Die Spitzenkandidaten von Union und Grünen haben unfreiwillig geschafft, dass sich der Wahlkampf praktisch nur um Personalfragen dreht. Sie sind zur Hypothek für ihre Parteien geworden. Plötzlich ist Olaf Scholz der Mann der Stunde. Jener farblose Hanseat, der ob seiner Phrasendrescherei einst zum "Scholzomaten" erklärt wurde. Schlagartig wird Langeweile zu Seriosität. Scholz streicht seine Regierungserfahrung heraus und erklärt sich zum einzig legitimen Merkel-Nachfolger. Im Gegensatz zu Laschet schlägt er zumindest ein paar inhaltliche Pflöcke ein: Der Mann, der als Finanzminister vor Corona das Nulldefizit gegen den Willen der Parteilinken verteidigt hat, propagiert nun Vermögenssteuern, eine Erhöhung des Mindestlohns von 9,50 auf 12 Euro pro Stunde und ein stabiles Pensionsniveau. Um den linken Parteiflügel bei Laune zu halten, schließt er eine rot-grüne Regierung unter Beteiligung der Linkspartei nicht aus - obwohl er viel lieber die liberale FDP als Partnerin hätte.

Gewinnt die SPD tatsächlich, hätten die Pragmatiker im innerparteilichen Richtungsstreit wieder klar die Oberhand. Rettet sich die Union doch auf Platz eins, stünde dem Mitte-Mann Laschet das Kanzleramt offen.