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Ein Sieg für Moskau

Von WZ-Korrespondent Silviu Mihai

Politik

Russlandfreundlicher Ex-General manövriert EU-Mitgliedstaat Bulgarien in tiefe politische Krise.


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Sofia. Bis vor einigen Monaten war der unauffällige General Rumen Radew dem breiten Publikum so gut wie unbekannt. Und niemand hätte auch nur im Ansatz vermutet, dass ausgerechnet ein Mann, der kein Interesse an der großen Politik gezeigt hatte, dem mächtigen Premier Bojko Borissow einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Erst nachdem die Sozialisten parteiintern nach einem Kandidaten suchten und angesichts der zahlreichen Korruptionsskandale der letzten Jahre keinen geeigneten finden konnten, fiel im September plötzlich der Name Radews in der breiten Öffentlichkeit. Selbst dann glaubten nur wenige Kommentatoren an einen möglichen Sieg des Generals, denn seine Gegnerin Tsetska Tsatchewa, die Kandidatin des bürgerlichen Lagers um Bojko Borissow, war als Parlamentspräsidentin den meisten Bulgaren sehr bekannt und wirkte kompetent und überlegt.

Doch dann kam die Überraschung: Bereits im ersten Wahlgang, der am 6. November stattfand, hatte Radew die Nase vorne. Für den Ministerpräsidenten zeichnete sich eine äußerst unangenehme Situation ab. Zwar ist die Rolle des bulgarischen Staatsoberhauptes laut Verfassung in den meisten innenpolitischen Fragen nicht wirklich entscheidend, und selbst auf den EU-Gipfeln wird das Land durch den Premier vertreten. Insofern darf die Niederlage bei der Präsidentschaftswal an und für sich kein massives Problem für Borissow sein.

Doch zum einen fiel der Sieg Radews mit einem Unterschied von fast 23 Prozentpunkten haushoch aus. Zum anderen ist Borissows Regierungskoalition so wacklig und heterogen, dass es unmöglich gewesen wäre, nach einer solchen Schlappe die unterschiedlichsten Interessen vieler kleinen, zerstrittenen Parteien miteinander zu versöhnen und alle weiter an Bord zu halten. Der versierte Premier zog die Konsequenzen und trat gestern zurück.

Dies allein hat allerdings nicht zwangsläufig ein Ende der politischen Ambitionen Borissows zu bedeuten. Als im Frühjahr 2013 zahlreiche Bulgaren auf die Straßen gingen, um gegen den horrenden Anstieg der Energiepreise zu protestieren, trat der Ministerpräsident zurück und ließ die Sozialisten ruhig regieren. Kaum ein Jahr später führten massive Proteste gegen das neue Kabinett zu vorgezogenen Parlamentswahlen, nach denen Borissow dann doch wieder an die Macht kam, wenn auch mit einer sehr fragilen Regierungsmehrheit.

Heute wie damals droht dem Land eine politische Krise, die sich eigentlich kaum durch neue Wahlen lösen lässt, weil weder die Sozialisten noch das bürgerliche Lager auf die erforderliche Mehrheit hoffen können. Wie fast alle bisherigen Analysen zeigen, wurde Radew von sehr vielen Menschen gewählt, die genauso kritisch gegenüber den Sozialisten wie gegenüber den Mitte-Rechts-Parteien stehen. Sein Sieg reflektiert insofern keine ideologische Option, sondern vielmehr den Wunsch nach einer Erneuerung der gesamten politischen Klasse. Einen General zum Präsidenten zu küren, gilt zunächst als Ohrfeige für die als korrupt und inkompetent betrachteten Politiker.

Radew selbst profitierte natürlich von diesem Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung und inszenierte sich als ernst zu nehmende Autoritätsfigur. Die Versuche seiner Gegner, ihn als prorussischen und antieuropäischen Kandidaten zu proträtieren, liefen ins Leere.

Für Ende der Russland-Sanktionen

Zwar sprach sich der frühere General für die Aufhebung der Sanktionen gegen den Kreml, doch nichts deutet auf eine Kehrtwende in der Grundorientierung der bulgarischen Europa-Politik, versichert der Sofioter Politologe Martin Lessinski. Ein Szenario wie in Ungarn oder Polen, wo euroskeptische Kräfte regieren, sei schon deswegen eher unwahrscheinlich, weil das Vertrauen der Bulgaren in den EU-Institutionen deutlich größer ist als in die eigenen Politiker. Und selbst das autoritäre Image Radews sei alles andere als neu, sagt Lessinski: Borissow selber setzte in der Tat immer wieder erfolgreich auf diesen rauen Politikstil, vermied aber konsequent jede Konfrontation mit Brüssel.

Nichtsdestotrotz ist in den nächsten Monaten keine Lösung der Krise in Sicht. Da Borissow eine Beteiligung seiner Gerb-Partei an einer Interimsregierung abgelehnt hat, Neuwahlen aber aus verfassungsrechtlichen Gründen frühestens im Frühjahr 2017 zu erwarten sind, droht Stillstand. Auch dass beim ersten Wahlgang ein extrem nationalistischer Kandidat auf den dritten Platz kam, deutet für die Zukunft auf eine lange Pattsituation hin. Bereits Borissow war auf die parlamentarische Unterstützung der Patriotischen Front angewiesen, und der künftige Premier wird sich sehr wahrscheinlich auch nach erneut vorgezogenen Parlamentswahlen mit dem gleichen Problem konfrontiert sehen. Ob Bulgarien Anfang 2018, wenn es die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, auch eine stabile Regierung haben wird, bleibt abzuwarten.