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Die einen sollen "Bringt ihn um!" geschrien haben, die anderen "Lasst ihn leben!". Welche Fraktion im Streit über das Schicksal von Muammar Gaddafi gewonnen hat, ist bekannt. Die Hinrichtung des Ex-Diktators durch die Milizionäre des Übergangsrates mag emotional sehr verständlich sein, in Libyen selbst wie auch außerhalb gibt es aber viele Stimmen, die Gaddafi lieber vor Gericht gesehen hätten, um eine Aufarbeitung seiner Untaten zu ermöglichen. Vor welchem Gericht, wäre dabei noch die Frage gewesen, denn die Libyer hätten Gaddafi wohl kaum an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert.
Es dürfte auch manche geben, denen insgeheim der Tod des Tyrannen lieber ist als dessen Aussage vor Gericht. Denn es finden sich auch im Übergangsrat ehemalige Weggefährten Gaddafis, die mögliche Enthüllungen fürchten könnten. Und Erleichterung dürfte auch bei manchen Staats- und Regierungschefs herrschen, die vor nicht allzu langer Zeit Gaddafi noch freundlich die Hand geschüttelt haben, von Nicolas Sarkozy über Silvio Berlusconi bis hin zu Barack Obama.
Und schließlich wird der Tod Gaddafis jene Stimmen in den Hintergrund treten lassen, die den Nato-Einsatz für völkerrechtlich bedenklich hielten. Schließlich hatte die UNO unter dem Eindruck der Vorgänge in Benghazi nur eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung genehmigt - schon das war eine Ausnahme vom Gewaltverbot in der UNO-Charta, die grundsätzlich jede kriegerische Aktion zwischen Staaten ächtet. Dass das westliche Militärbündnis entgegen seinen Beteuerungen die UN-Resolution extrem weit auslegte, zeigt der entscheidende Luftangriff auf den Konvoi des längst gestürzten Diktators. Man kann einwenden, dass Gaddafi-Anhänger immer noch eine Gefahr für das Leben von Zivilisten darstellten, solange ihr Anführer auf freiem Fuß war. Dennoch geht die Bombardierung bis zu Gaddafis bitterem Ende sogar über die Zielsetzungen westlicher Staatschefs hinaus, die bloß einen Regimewechsel gefordert hatten. Der hatte schließlich schon stattgefunden.
Ein Krieg aus humanitären Gründen wurde bereits gegen das ehemalige Jugoslawien geführt, und auch jetzt gibt es natürlich Professoren, die das Nato-Engagement für völkerrechtlich gedeckt halten, im Gegensatz zu Russland und China, die sich bei der UNO-Resolution der Stimme enthielten. Das werden sie etwa bei Syrien gewiss nicht mehr tun. Denn die Neuauslegung des Völkerrechts im Fall von Libyen lässt viel Spielraum für künftige Einsätze, von denen man nur hoffen kann, dass sie mit der angeführten Zielsetzung, die Menschenrechte zu bewahren, übereinstimmen.