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Etwa fünfzig Jahre nach Sputnik träumt so mancher davon, einen eigenen Satelliten zu bauen, sogar der Chaos Computer Club. Doch Lars Mehnen, der beim Bau des ersten Studentensatelliten dabei war, weiß aus Erfahrung, dass ein solches Projekt äußerst anspruchsvoll ist.
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Er fliegt noch. Er wird noch weitere 28 Jahre fliegen und vielleicht, ja vielleicht meldet er sich sogar eines Tages wieder. 18 Stunden hatte die Studentengruppe, die den Satelliten Sseti-Express gebaut hat, mit ihrem im Orbit dahinjagenden Prachtstück Kontakt, dann fiel die Stromversorgung aus und Sseti-Express verstummte. Das war vor sieben Jahren, und Lars Mehnen, der einer dieser fiebrig begeisterten Studenten war, hat längst sein Doktorat abgeschlossen und ist FH-Professor an der Fachhochschule Technikum in Wien.

Inzwischen könnte man fast den Eindruck haben, dass der Bau von Satelliten zu einem Hobby für jedermann wird. Der Chaos Computer Club entwickelt Pläne für einen eigenen Erdtrabanten, die Firmen Interorbital Systems, GOM-Space, Clyde Space, ISI-Space und andere mehr bieten Bausätze an. Doch Lars Mehnen ist skeptisch: "Einen Satelliten zu bauen und in den Orbit zu bringen, ist eine echte Herausforderung. Da muss wirklich alles harmonieren."
Der Anfang des Abenteuers von Lars Mehnen mit Sseti klingt romanhaft. Im Jahr 1997 hatte er an dem "Success"-Wettbewerb der Europäischen Raumfahrtagentur ESA teilgenommen. Seine Einreichung kam unter 2000 anderen auf den vierten Platz. Und in der Folge traf dann eine Einladung vom Education Office der Raumfahrtbehörde für Lars Mehnen und Kollegen aus zwei anderen europäischen Ländern zu einem noch nicht genau definierten Projekt ein. Dabei sollte es darum gehen, die Idee von Open Source, wie sie aus dem Bereich der Software bekannt ist, in andere technische Sphären zu übertragen, in diesem Fall auf den Bau von Micro-Satelliten. So wie in dem Betriebssystem Linux die technischen Grundlagen offengelegt werden, damit andere daran weiterbauen und zur Entwicklung beitragen können, so sollten erstmals auch die Erfahrungen bei der Entwicklung eines Satelliten offen zugänglich sein.
Bis dahin, erzählt Lars Mehnen, hielt sich das Interesse der technischen Hochschulen Europas am Bereich Raumfahrt in Grenzen. Es gab kaum Projekte und nirgendwo entsprechende Ausbildungen. Bei Team-Sat, einem früheren Projekt der ESA, durften Studenten den Spezialisten über die Schulter schauen und staunen. Alles in allem stellt der Bau eines Satelliten vor so komplexe Probleme, dass auch Studenten höherer Semester den Anforderungen meist nicht gewachsen waren. Zudem überschreiten die Kosten den Rahmen normaler Studentenprojekte bei weitem.
Kosmodrom Plessezk
Und da kam Sseti, die "Student Space Exploration and Technology Initiative". Ein Grundgedanke des Projekts ergab sich aus der Eigenart von Raketenstarts. Bevor eine Rakete abgeschossen wird, muss ihre Nutzlast exakt definiert sein, um in den richtigen Orbit zu gelangen. Falls beim Start einer der professionellen Satelliten nicht rechtzeitig fertig wurde, pflegte man bis dahin die Last durch Beton, Stahl oder Blei zu ergänzen, um das fehlende Gewicht auszugleichen. Bis dann jemand auf die Idee kam, dass man an Stelle eines solchen nutzlosen Betonblocks doch auch einen Studentensatelliten in den Orbit schießen könnte.
So nahm die Initiative ihren Anfang. Die ESA veranstaltete Workshops und immer mehr Universitäten schlossen sich an. Bald wuchs ihre Zahl auf dreißig Teams, quer durch Europa diskutierten Studentengruppen verschiedenster Nationalitäten über mögliche technische Designs des Projekts.

Denn schon die Konzeption, das technische Design eines Satelliten, ist alles andere als trivial. "Wenn Sie einen Satelliten bauen", erklärt Lars Mehnen, "dann müssen Sie sich zunächst darüber klar sein, was Sie von ihm wollen. In unserem Fall war das gar nicht besonders viel, er sollte Fotos machen und auf die Erde funken können." Daraus ergibt sich, dass eine Stromversorgung vorhanden sein muss, Solarzellen und eine Batterie, sowie der Computer, Funkgeräte, eine Antenne und die Kamera. Außerdem etwas, mit dem man sich im Orbit richtig ausrichten kann, im Fall des Sseti-Express einfache Magnetspulen. Da der Satellit als Experiment für einen Folgesatelliten gedacht war, sollte auch ein einfacher Stickstoffantrieb ausprobiert werden. "Und für alles das braucht man eine Kiste, die in der Lage ist, den Start zu überstehen." Im Fall von Sseti-Express noch dazu einen Start im russischen Kosmodrom Plessezk. Dabei treten Beschleunigungskräfte von etwa 9 g auf, bei denen Menschen durchaus ohnmächtig werden können. Außerdem verursacht die Rakete einen zerstörerischen Lärm, Schallwellen, die normale technische Geräte gnadenlos zu Schrott verarbeiten würden.
Das Kosmodrom in Plessezk stammt übrigens aus der Frühzeit der Raumfahrt und war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis des sowjetischen Militärs. 1957, also im Zeitalter von Sputnik, dem ersten Satelliten, baute man in der Taiga, gut 800 Kilometer nordöstlich von Moskau, die ersten Anlagen. Dort sind immer noch große Interkontinentalraketen stationiert. Später wurde die Anlage mit Nachdruck erweitert und besteht gegenwärtig aus verschiedensten Startplätzen, von denen aus vor allem militärische Satelliten für die Polarregionen gestartet wurden.
Doch zurück zu den Studenten und Sseti-Express. Einige Jahre lang folgte Workshop auf Workshop und es wurden viele Details für den Open-Source-Satelliten diskutiert. Zum Beispiel die Kühlung. Draußen, im niedrigen Erd-Orbit, würden normale elektrische Schaltungen in kürzester Zeit überhitzen, wenn man nicht eine Methode findet, um dies zu verhindern, wobei im luftleeren Raum weder Ventilatoren noch Kühlrippen weiterhelfen. Oder der Magnetismus. Wie schafft man es, den Satelliten magnetisch neutral zu bauen, damit er in seiner Bahn bleibt und sich nicht automatisch nach dem Magnetfeld der Erde ausrichtet?
Der Zwilling

Gut fünf Jahre währte diese Phase der theoretischen Überlegungen und beinahe stand das Projekt schon im Ruf, ein Debattierklub zu werden. Da rief man von Seiten der ESA eines Tages eine ausgewählte Runde von Studierenden während eines Workshops zu einer "Spezialsitzung" zusammen, bei der den Beteiligten eröffnet wurde, dass es an der Zeit sei, mit den bisherigen Plänen Ernst zu machen. Die folgenden Tage, an denen keiner der Beteiligten mehr als drei Stunden Schlaf bekam, waren die eigentliche Geburtsstunde von Sseti-Express, dem studentischen Satelliten.
"Wenn man einen Satelliten baut, baut man nämlich immer zwei", erklärt Lars Mehnen, "ein engeneering model und ein flight model." Die beiden sind exakt baugleich und im "flight model" werden nur Elemente verbaut, die baugleich im "engeneering model" schon funktioniert und alle Test erfolgreich überstanden haben. Außerdem wird auf diese Art im "engeneering model" die Montage bereits einmal geübt. Damit kamen auf die Studenten zahlreiche weitere Probleme zu. Zum Beispiel die Solarpanele. Was in der Theorie relativ klar zu sein scheint, bringt in der Praxis des Bauens gewaltige Schwierigkeiten mit sich. Da sich der Satellit ständig dreht, müssen Panele verbaut werden, die Temperaturschwankungen innerhalb weniger Sekunden von minus 100 zu plus 120 Grad überstehen. Solche "spacequalified" Solarzellen sind nicht im Baumarkt erhältlich und gelten außerdem als militärisches Material.
Das Problem mit den Solarzellen wurde auf eine Weise gelöst, die für die Entstehung von Sseti-Express typisch werden sollte: Ein Techniker des Ariane-Projekts überließ der Studententruppe Restbestände aus einem anderen Projekt. Genauso ging es bei der Suche nach einer Antenne, die imstande wäre, die gewaltigen Vibrationen des Raketenstarts zu überstehen: Ein Techniker wühlte im Lager und überließ der Gruppe eine Antenne, die ungefähr so viel wie eine Luxuslimousine gekostet hätte.
Zahlreiche Bauteile wurden nun besorgt und getestet. "Allein der Hauptcomputer wurde beim Zusammenbau des Satelliten mindestens vierzehn Mal zerstört." Und tatsächlich waren Ende des Jahres 2004 alle für den Satelliten erforderlichen Bauteile vorhanden, darunter auch die Honeycombs für den Rumpf, in der Struktur von Bienenwaben geformte Aluminiumstücke, die zugleich extrem leicht und extrem belastbar sind. 25 Kilometer Kabel mussten in den Satelliten, die ungefähr so groß wie eine Waschmaschine sind, verlegt werden, und zwar so, dass sie sich auch unter den Belastungen des Starts nicht lösen können.
Bis zum Oktober 2005, bis zu dem Tag, an dem Sseti-Express schließlich starten sollte, "waren wir nur noch Adrenalin-Junkies", erzählt Lars Mehnen. Quer durch Europa mussten die Aktivitäten koordiniert werden und der Manager des Projekts, ebenfalls ein Student, fiel in den Niederlanden eines Nachts auf dem Nachhauseweg sogar vor Müdigkeit um und erwachte später auf dem Gehsteig.
Am 27. Oktober 2005 war es nach mehreren vergeblichen Reisen nach Plessezk dann so weit und Sseti-Express wurde um genau 8 Uhr 52 wirklich ins All geschossen. Und dann war die Aufregung groß, als sich der Satellit etwa eine Stunde nach dem Start tatsächlich meldete. "Er hat wirklich funktioniert", sagt Lars Mehnen stolz, "etwa achtzig Prozent aller geplanten Experimente wurden erfolgreich durchgeführt. Nur das Fotografieren und den Antrieb haben wir nicht ausprobiert, weil das zu viel Strom gebraucht hätte." (Außerdem fiel einer der anderen Passagiere, ein professioneller Satellit, gleich nach dem Start aus.)
Allerdings währte die Freude nur ungefähr 18 Stunden. Da die Solarzellen zu gut arbeiteten, war ein Halbleiter-element, das als Schalter für die Ladung der Batterien fungierte, überfordert. "Und wir kannten diesen kritischen Punkt genau!", sagt Lars Mehnen. Doch hätten die Tests etwa 40.000 Euro gekostet, um einen Umbau zu rechtfertigen, mehr, als das Studentenprojekt in der Endphase aufbringen konnte. So verstummte Sseti-Express also, auch wenn er immer noch da draußen seine Kreise zieht. Den Berechnungen zufolge müsste er bis zum Jahr 2037 unterwegs sein, ehe er in der Atmosphäre verglüht. Aber vielleicht stellt sich der Schalter ja noch einmal um, und der Satellit meldet sich wieder. "So etwas ist schon vorgekommen", versichert Lars Mehnen. Und täte nichts lieber, als wieder an einem neuen Satelliten zu arbeiten.
Doch leider ist das Feld in Österreich klein, auch wenn ab Herbst an der Fachhochschule Wiener Neustadt eine einschlägige Ausbildung für "Aerospace Engineering" angeboten wird. Und in Graz der Start des professionellen Satelliten Brite-Austria vorbereitet wird. Und in Innsbruck an einem neuartigen Typ von Raumanzügen für eine Mission zum Mars gearbeitet wird. Trotzdem bleibt vorerst die Nachfrage der Wirtschaft nach Technikern mit Leidenschaft für Satelliten begrenzt.
Artikel erschienen am 10. August 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 4-8