Als Diplomat und Vermittler diente Georg von Franckenstein der Republik auch im Exil während der NS-Zeit.
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Derzeit ist in der Ausstellung "Wider die Macht" im Haus der Geschichte des Museums Niederösterreich in St. Pölten ein Porträtbild von Sir George Franckenstein zu sehen (siehe Abbildung weiter unten). Damit wird an eine bemerkenswerte Persönlichkeit der österreichischen und auch der europäischen Geschichte erinnert.
Der österreichische Gesandte residierte fast die ganze Zwischenkriegszeit an der noblen Londoner Adresse 18, Belgrave Square. Aus dieser Zeit stammt auch das Gemälde (den Hinweis darauf verdanken wir dem Generaldirektor des Staatsarchivs, Helmut Wohnout), seinerseits wieder mit einer eigenen Geschichte. Es ist eine Leihgabe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands in der Wipplingerstraße in Wien und trägt den Titel "Baron Sir Georg(e) Franckenstein anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Oxford". Es entstand 1936 und wurde 1938 aus der österreichischen Botschaft in London gerettet.
Aus altem Adel
Bild und Titel markieren den Endpunkt einer ungewöhnlichen Diplomatenlaufbahn. Sie ging zu Ende mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 11. März 1938 und beschloss mehr als siebzehn Jahre Tätigkeit als Gesandter mit der offiziellen Bezeichnung "Austrian Minister to the Court of St. James". Die Anrede "Sir George" drückt Rettung und Wertschätzung aus: Rettung vor der Rückbeorderung durch das nationalsozialistische Regime mit der Verleihung der britischen Staatsbürgerschaft und Wertschätzung mit dem Ritterschlag durch König Georg VI., womit bereits am 26. Juli 1938 ein Reisepass lautend auf "Sir George Franckenstein" ausgestellt wurde.
Wer war nun dieser Baron Georg Franckenstein? So nennt ihn sein langjähriger Freund Hugo von Hofmannsthal auf einem Kuvert eines Briefes vom 12. Juli 1914 aus Bad Aussee nach London. Geboren am 18. März 1878 als Georg Freiherr von und zu Franckenstein in Dresden, war er ein Sohn des damaligen österreichisch-ungarischen Gesandten am Hof des Königs von Sachsen. Diesen Diplomaten hatte seine Laufbahn schon auf Posten in Berlin, London, Kopenhagen, Washington und St. Petersburg geführt. Georg Franckenstein stammte somit väterlicherseits aus einem Adelsgeschlecht, das seit 1670 als Reichsfreiherren am Mittelrhein residierte. Aus diesem Gebiet stammte auch die Familie seiner Mutter, die Schönborn, die allerdings schon im Barock am Wiener Hof waren.
Nach der Rückkehr des Vaters aus Dresden besuchte Georg das Wiener Schottengymnasium, wobei er - wie er selbst zugesteht - sich nicht immer primär seiner Ausbildung widmete. Bereits in dieser Zeit lernte er den vier Jahre älteren Hugo von Hofmannsthal kennen, dessen Dichtkunst er aufrichtig bewunderte.
Nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger entschied sich der junge Franckenstein für den diplomatischen Dienst. Sein Probejahr absolvierte er bereits fern der Heimat, nämlich in den USA, wo sein Bruder Clemens Konzerte gab. Wie Lothar Höbelt in seiner Einleitung zu Franckensteins auf Deutsch erst 2005 erschienenen Erinnerungen vermerkt, verbrachte dieser am Beginn seines Dienstes ungewöhnlich lange Zeit außerhalb Europas.
Stolz berichtet er von seiner Diplomatenprüfung und seiner Ernennung zum Kämmerer. Dafür ist der Nachweis adeliger Ahnen Voraussetzung. In seiner Autobiographie nimmt er diesen Umstand zum Anlass, um uns mit deren Geschichte näher vertraut zu machen. So erfahren wir, dass bereits 884, also kurz nach Karl dem Großen, der erste Franckenstein urkundlich erwähnt wurde.
Besonders hebt er Onkel Georg Arbogast (1825-1890) hervor, der als bedeutender deutscher Politiker für eine Wiedererrichtung des Heiligen Römischen Reichs unter österreichischer Führung eintrat. Der neue Kämmerer erzählt auch von dem Brauch deutscher Adelsfamilien, jüngere Söhne als Offiziere oder Diplomaten in den Dienst des österreichischen Kaiserhauses zu entsenden. So wurde auch Georgs Vater Diplomat.
Die mütterliche Linie, das Geschlecht der Schönborn, ist bis ins 12. Jahrhundert zurück nachweisbar. Aus ihr gingen zahlreiche Bischöfe und Erzbischöfe hervor, von denen manche auch Kurfürsten waren. So spielten geistliche Mitglieder dieser Familie eine entscheidende Rolle beim Westfälischen Frieden, aber auch bei der Wahl Franz Stephans von Lothringen, dem Gemahl Maria Theresias, zum Kaiser.
In Japan und Indien
Diese Referenzen und das Wohlwollen des österreichisch-ungarischen Außenministers Graf Aehrenthal waren dem jungen Franckenstein sicherlich dienlich. Zunächst wurde er den Botschaftern in St. Petersburg und Rom zugeteilt. Nach einer kurzen Zeit in Wien wollte ihm sein Ressortchef, der zuvor Zweifel an der Initiative Franckensteins geäußert hatte, Gelegenheit zu selbstständiger Tätigkeit und Horizonterweiterung geben. Daher entsandte er ihn als Geschäftsträger nach Tokio bis zur Ernennung eines neuen Botschafters. Die Rückreise nach Europa führte Franckenstein in einer Sondermission über In-dien und ermöglichte ihm so zahlreiche hochrangige Begegnungen, die ihm umfassende Einblicke in die aktuelle Situation des Subkontinents, aber auch dessen reicher Kultur gewährten.
Eine Entscheidung Aehrenthals kurz vor seinem Tod brachte Franckenstein 1913 ins Zentrum des Empires: Er wurde Kommerzdirektor in London. Somit erlebte er dort auch den Beginn des Ersten Weltkriegs. Seine Schilderungen der diplomatischen Versuche, diese Katastrophe noch abzuwenden, sind beklemmend. Einerseits wurde auf die Vermittlung Großbritanniens gehofft, andererseits war selbst die Regierung dieser Weltmacht tief gespalten. Letztlich erfolgte am 12. August 1914 die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn.
Auf persönlicher Ebene bestanden aber weiterhin freundschaftliche Kontakte. So traf der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Mensdorff noch einige Male britische Regierungsmitglieder und er wurde, wenn auch inoffiziell, von König und Königin empfangen. Auf der Rückreise in die Heimat empfing das Schiff der Botschaftsangehörigen sogar den Funkspruch eines britischen Kriegsschiffs: "Good journey, speedy return". Bevor Franckenstein nach London zurückkehren konnte, fungierte er zunächst als Gesandter bei der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien und danach im Osmanischen Reich, wo er versuchte, das Los der Armenier zu erleichtern.
Die Ausrufung der Republik stellte Adelige vor die Frage, ob sie den diplomatischen Dienst quittieren sollten. Viele Standesgenossen entschieden sich dafür und missbilligten, dass Franckenstein seinen Dienst fortsetzte. Tatsächlich warteten auf ihn große Aufgaben in einer höchst prekären Situation. Die erste davon war 1919 die Teilnahme an den Friedensverhandlungen von St. Germain. Das Ergebnis war für den nunmehr etwa vierzigjährigen Diplomaten niederschmetternd, dennoch war er bereit, an einem Neuanfang mitzuwirken.
Seine wertvollen Kontakte schätzend, entsandte ihn die neue republikanische Regierung wieder nach London. Nach seiner Ankunft musste der neue Gesandte bald erkennen, dass das Erscheinungsbild des alten, prunkvollen Botschaftspalais in 18, Belgrave Square eklatant mit der Rolle des Bettlers kontrastierte, die er für einige Zeit übernehmen musste. Immer wieder galt es Überbrückungshilfen zu bewerkstelligen, um den Kollaps des neuen Staats zu verhindern. Schließlich wirkte er sogar an den Verhandlungen für die Völkerbundanleihe mit, durch die - wenngleich unter großen Opfern - Österreich finanziell stabilisiert werden konnte.
Die folgenden Jahre war Franckenstein endlich in seinem Element. Er organisierte Konzerte, Tanzveranstaltungen und Maskenbälle. Die Liste der gastierenden österreichischen Künstler umfasst drei Seiten in der englischen Ausgabe seiner Erinnerungen, "Facts and Figures of My Life". Der engagierte Diplomat wollte aber auch englische Kunst in Österreich präsentieren. So konnten die Maler Turner, Blake und Hogarth auch in Wien gezeigt werden. Diese Leistungen in der Kulturvermittlung wurden vielfach anerkannt. Renommierte Zeitungen brachten lobende Berichte, ganz besonders geschmeichelt fühlte sich Franckenstein durch das erwähnte Ehrendoktorat der Universität Oxford, die österreichischen Orden erscheinen nur mehr wie eine Zugabe. Zumindest einmal war er sogar als Außenminister in ernsthafter Erwägung.
Den Untergang Österreichs konnten diese Bemühungen nicht aufhalten. Franckenstein wollte diesen jedoch nicht als endgültig akzeptieren. Mit unerschütterlichem Optimismus stellte er seiner 1939 in England publizierten Autobiographie die Widmung voran: "I dedicate this book to the resurrection of Austria" (Ich widme dieses Buch dem Wiedererstehen Österreichs). Er blieb in Großbritannien und vertrat mit seinen Kontakten in höchste Kreise weiter die Interessen der alten Heimat.
Dazu eröffnete er ein eigenes Büro, aber auch sein Salon war Treffpunkt von Exilösterreichern. Privat veränderte er sich 1939 durch seine Heirat mit der Engländerin Editha King. Der Sohn der beiden, Clement, 1944 geboren, ergriff den Beruf eines Schauspielers in den USA, wo er 2019 starb.
Nach dem Krieg
Nach Kriegsende setzte Sir George alle ihm zur Verfügung stehenden Hebeln in Bewegung, um das wiedererstandene Österreich zu unterstützen. Er warb für Wirtschaftshilfe, propagierte den heimischen Tourismus und präsentierte die österreichische Kunst und Kultur. Dazu hielt er selbst Vorträge und organisierte wieder Veranstaltungen. Die Staats- und Regierungsspitze wusste dieses Engagement zu schätzen. So wurde er im Dezember 1945 von Bundespräsident Karl Renner und Bundeskanzler Leopold Figl zu Gesprächen empfangen.
Außer Wien galt sein besonderes Interesse Salzburg. Bereits als Gesandter organisierte er in Großbritannien eine Spendenaktion für die dortige Universität. Wie vor 1938 war er wieder regelmäßiger Gast bei den von ihm mitbegründeten Festspielen. Seine Verbundenheit mit dem 1929 verstorbenen Jugendfreund, Hugo von Hofmannsthal, zeigte er in Reden bei der Enthüllung einer Büste des Dichters im Festspielhaus zunächst 1937 und, da diese in der NS-Zeit abhandengekommen war, für die neue im Jahr 1950.
Am 14. Oktober 1953 fiel der immer noch mit großem Einsatz Tätige gemeinsam mit seiner Frau einem Flugzeugabsturz bei Frankfurt zum Opfer. In der alten Heimat wurde seiner mit ehrenden Nachrufen und einer Seelenmesse im Wiener Stephansdom gedacht, denn Baron Georg von Franckenstein war bis zuletzt ein Sir für Österreich.
"Wider die Macht". Die Kunstsammlung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Sonderausstellung im Haus der Geschichte Niederösterreich in St. Pölten, Kulturbezirk 5. Bis 15. Jänner 2023, Di.-So., 9.00-17.00 Uhr.
Paul Mychalewicz ist Historiker und Anglist sowie Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Wien.