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In Tirol gabeln sich vor der Wahl die Wege von Tourismusvertretern und Umweltschützern.
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Zwei Tage vor der Tiroler Landtagswahl geht es los. Das Gletscherskigebiet mit den Liftanlagen auf die Schwarze Schneide in Sölden im Tiroler Ötztal öffnet diesen Freitag für den Skibetrieb. Werbemäßig für Tirol und den Wintertourismus wichtiger ist aber ein anderer Termin: Am 22. und 23. Oktober wird in Sölden mit je einem Riesentorlauf für Frauen und Männer die Alpine Skiweltcup-Saison 2022/23 gestartet. Die ORF-Kameras liefern via TV bei gutem Wetter neben den um Hundertstelsekunden kämpfenden Skiläufern Gratis-Werbung in hunderttausende Haushalte. "In Sölden beginnt der Winter bereits im Oktober", lautet die Botschaft für das Eröffnungswochenende.
Dabei ist gerade an den Gletscherskigebieten im Hochgebirge der heurige Sommer, in denen Meldungen vom schmelzenden vermeintlich "ewigem Eis"aufhorchen ließen, nicht spurlos vorbeigegangen. Auf dem Kaunertaler Gletscher im Bezirk Landeck wurde der Start auf Anfang Oktober verschoben. Im unteren Teil müssen Lifte versetzt werden, wie die Geschäftsführerin der Kaunertaler Gletscherbahnen, Beate Rubatscher, schildert. Mit Hilfe von Schneedepots sollen die Pisten gesichert werden. Gleichzeitig hofft man, mit Solarmodulen vorerst 20 Prozent des Energiebedarfs selbst decken zu können.
Vor allem die Sommer sind in Tirol wärmer geworden
Die Situation auf den Gletschern ist bezeichnend für die Debatte, die im Wintertourismusland Tirol mit Vehemenz geführt wird. Auf der einen Seite Hoteliers, die wegen höherer Temperaturen nach Corona-Wintern mit Lockdowns teils um ihre Existenz bangen, sowie Seilbahnvertreter wie Franz Hörl, dessen Stimme in der Tiroler ÖVP bis hin nach Wien Gewicht hat. Auf der anderen Seite Alpenvereine, Umweltschützer und Menschen, denen die Klimaerwärmung Sorgen bereitet und die Grünen, die seit acht Jahren mit der ÖVP Tirol regieren.
Fakten listet Alexander Orlik, Experte von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, in Wien auf. Dass heuer die Gletscher stärker ausgeapert sind, sei darauf zurückzuführen, dass es im März viel weniger Niederschlag gegeben habe. Sonst falle gerade im Hochgebirge im März viel Schnee.
Entscheidender ist aber die langfristige klimatische Entwicklung. Da zeige sich, dass es ab 1980 einen "relativ starken Temperaturanstieg" in Tirol gegeben habe. Noch auffälliger sei nach Jahreszeiten betrachtet der Unterschied zur Vergangenheit. Von 1780 bis 1980 sei die Temperatur im Sommer von Ausreißern abgesehen in Vorarlberg und Tirol relativ gleich geblieben. Seit 1980, so erläutert Orlik, sei es im Sommer hingegen um 2,4 Grad wärmer geworden. Insgesamt bilde sich die Schneedecke in Lagen von 1.000 bis 1.500 Metern Seehöhe mittlerweile später und halte nicht mehr so lang.
Differenzen auch in der Landeshauptmannpartei
Von früheren Jahren bis jetzt hat das Aufrüsten mit Schneekanonen und Kunstschnee dazu beigetragen, dass die Tiroler Skigebiete vor allem auch von vielen Bayern gestürmt werden konnten. Tirols Grüne rücken im Wahlprogramm nun nicht den Klimaschutz ins Zentrum. Sie treten etwa konkret für die Beschränkung von Beschneiungszeiten zur Steigerung der Klimaneutralität ein, weil damit Energie gespart wird. Hörl, so etwas wie der Gott-sei-bei-uns für Umweltschützer, hat Anfang Juli wegen der Energiekrise mit der Aussage aufhorchen lassen, wenn in Wien die Frage gestellt werde, ob Seilbahnen und Schneekanonen sicherheitsrelevante Einrichtungen seien, die versorgt werden müssten, werde er nicht zuschauen, wie in Tirol Wasser vorbei rinne und für die Stadt Strom produziert werde. Das trieb sogar Tiroler ÖVP-Parteikollegen im Arbeitnehmerbund auf die Palme.
Die seit 1945 machtbewusst regierende Landeshauptmannpartei ÖVP mit dem Spitzenkandidaten Anton Mattle, der aus der Tourismusgemeinde Galtür im Paznauntal kommt, redet jetzt mehr Nachhaltigkeit im Tourismus das Wort, will vor allem die Bettenkapazitäten im Sommer mehr nützen. Vorrangiges Anliegen ist, Chaletdörfern einen Riegel vorzuschieben. Ob Mattle im Oktober selbst die Weltcup-Athleten in Sölden anfeuern wird, ist freilich nach dem Absturz der ÖVP in den Umfragen hingegen so unsicher wie ein Siegertipp für die Auftaktrennen am Gletscher.