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Einen Alptraum durchlebt in diesem Sommer die SPD. Kaum waren die Risse zwischen den Parteiflügeln am Hamburger Parteitag einigermaßen zugetüncht, klaffen sie jetzt tiefer als zuvor. | Sollte der Rausschmiss von Wolfgang Clement aus der Partei das Berufungsverfahren überstehen, wäre dies das erste Mal, dass ein so hochrangiger Politiker aus einer deutschen Partei ausgeschlossen würde. Clement war Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und "Superminister" für Wirtschaft und Arbeit in Gerhard Schröders zweitem Kabinett.
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Ausgelöst hat die Affäre ein Interview in der "Welt am Sonntag" vor der Hessen-Wahl. SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, ihres Sieges gewiss, hatte den hessischen Wählern erzählt, weder Kern- noch Kohlekraftwerke zu benötigen. Clement, inzwischen Aufsichtsrat beim Energieriesen RWE, konterte via "Welt am Sonntag", das gehe "nur um den Preis der industriellen Substanz Hessens. (. . .) Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann - und wem nicht." Als Ypsilanti bei der Wahl an 3500 fehlenden Stimmen scheiterte, war der Sündenbock rasch gefunden.
Seither will die Partei-
Linke den Schröder-Vertrauten und Exekutor der als neo-liberal gebrandmarkten "Agenda 2010" mit aller Macht aus der Partei drängen. Sollte Clement unterliegen, würde sie nämlich ihren Einfluss festigen, die große Koalition in Berlin blockieren, die SPD in die Arme der Linkspartei treiben und die Agenda des nächsten Bundestagswahlkampfes bestimmen: Atom-ausstieg, gesetzlicher Mindestlohn, Aufweichen von Hartz IV. Und den Brotkorb der SPD-Kanzlerkandidatur für Clement-Freund Frank-Walter Steinmeier entschieden höher hängen.
SPD-Chef Kurt Beck ist gefangen zwischen der Skylla, eines der profiliertesten Urgesteine seiner Partei fallen zu lassen (Otto Schily: "Das wäre suizidal!") und der Charybdis, die gesamte linke Basis gegen sich aufzubringen. "Die SPD braucht jemanden wie Clement als Ausweis ihrer Wirtschaftskompetenz. Sonst macht sie sich regierungsunfähig", warnt Rolf Stöckel, SPD-Landesgruppenchef Nordrhein-Westfalen im Bundestag.
Clement indes will weder den Ausschluss noch eine Rüge auf sich sitzen lassen. Er lässt sich auch nicht den Mund verbieten und will weiter seine Meinung frei äußern. Gerade das fürchtet die SPD aber am meisten.
Die Rolle des Zettel in diesem unshakespearischen Sommertheater fällt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zu. Dieser bekämpft Unheil mit der Parole: "Wir sind und bleiben die Partei der Meinungsfreiheit." Und was bisher Interpretation war, erfuhr durch ihn eine "verneinende Bestätigung": Es gebe keinen Richtungsstreit in der SPD, es würden keine Maulkörbe verteilt, es gehe nicht um die "Agenda 2010" und auch nicht um Energiepolitik. Was solche Dementis sind, lehrte uns einst Lore Lorentz: nämlich "der verzweifelte Versuch, die Zahnpasta wieder in die Tube zu bekommen".