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Spaniens Angst vor italienischen Zuständen: Die Parlamentswahlen haben vor allem Unsicherheit gebracht.
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Madrid. Nahezu lustlos winkt Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy seinen Anhängern in der Nacht zum Montag vom Balkon der Parteizentrale der konservativen Volkspartei (PP) zu: "Wir haben die Wahl gewonnen!" Doch es klingt nicht euphorisch - ganz im Gegenteil. Auch bei seinen Fahne-schwenkenden Anhängern unter dem Balkon, die der Parteijugend angehören, kommt keine Freude auf. "Ich werde versuchen, eine stabile Regierung zu bilden", kündigt Rajoy trocken, an. Ana Hernández verzieht ihr Gesicht. "Das dürfte sehr schwierig werden", meint die 19-Jährige aus der Jugendorganisation der Partei. Auch Rajoy ist sich dessen bewusst.
Es war ein bitterer Sieg, den seine Konservativen am Sonntag erzielten. Zwar haben sie mit 123 Mandaten 33 mehr als die zweitplatzierten Sozialisten von Oppositionsführer Pedro Sánchez (PSOE). Dennoch verloren die Konservativen 63 Sitze - und damit auch die absolute Mehrheit im Parlament.
Die Lage ist für die Sozialisten nicht weniger deprimierend. Sie verloren gleich 20 Mandate und fuhren mit gerade einmal 90 Sitzen das schlechteste Wahlergebnis ihrer Parteigeschichte ein. Das Debakel der beiden großen Volksparteien war durchaus keine Überraschung.
"Seit Jahren werden beide Parteien von skandalösen Korruptionsaffären belastet und in gleichem Maße für die schlimme Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht", erklärt der Politologe Jaume López. Der Unmut vieler Spanier führte zum Aufkommen neuer Protestparteien wie die linke Podemos (Wir können) und die liberal-konservativen Ciudadanos (Bürger), die am Sonntag dem Zwei-Parteien-System, in dem sich Konservative und Sozialisten seit vierzig Jahren an der Macht abwechselten, ein Ende machten.
"Spanien hat den Systemwechsel gewählt. Heute wurde ein neues Spanien geboren", schrie Podemos-Chef Pablo Iglesias seinen begeisterten Anhängern im Madrider Goya-Theater entgegen. "Das Ende des Zwei-Parteien-Systems und der Korruption sind besiegelt", schmetterte der erst 37 Jahre alte, charismatische Politikdozent mit erhobenem Arm in die Menge.
Seine erst im März vergangenen Jahres formell gegründete Linkspartei hatte allen Grund zum Feiern. Die Schwesterorganisation der griechischen Syriza, die sich vehement gegen Korruption, Zwangsräumungen und die rigide Reform- und Austeritätspolitik der konservativen Regierung ausspricht, wurde mit 69 Mandaten aus dem Stand drittstärkste Partei im Parlament.
Podemos stärkste Kraft im Baskenland und Katalonien
Mehr noch: In wichtigen Regionen wie dem Baskenland und in Spaniens wirtschaftsstärksten und von den Separatisten regierten Autonomie Katalonien wurde Podemos sogar die am meisten gewählte Partei. In Madrid, Valencia, in Galizien und auf den Balearen immerhin zweitstärkste Formation.
Dabei überholten die Linkspopulisten auch die als eigentlichen "Königsmacher" gehandelten liberal-konservativen Ciudadanos (Bürger). Die aus Katalonien stammende "bürgerliche" Protestpartei von Albert Rivera, die ebenfalls zum ersten Mal an Parlamentswahlen teilnahm, wurde mit 40 Mandaten aber immerhin viertstärkste Formation.
Durch dieses neue Kräfteverhältnis ergibt sich nun allerdings ein denkbar kompliziertes Panorama für die zukünftigen Koalitionsverhandlungen. Eine große Koalition mit den Sozialisten von Oppositionsführer Pedro Sánchez (PSOE) ist so gut wie ausgeschlossen. Die Volksparteien brauchen also die neuen Protestparteien, um Regierungsmehrheiten bilden zu können.
Besonders schwer haben es dabei die Konservativen. Ciudadanos-Chef Albert Rivera kündigte bereits an, weder Rajoy noch Sánchez unterstützen zu wollen. Eine Enthaltung der Ciudadanos hilft Rajoy nicht, um als Premier verabschiedet zu werden. Davon abgesehen: Die neue Mitte-Rechts-Partei wäre nicht stark genug, um dem PP zu einer ausreichenden Regierungsmehrheit zu verhelfen.
Das Panorama für die Sozialisten, die mit 90 Mandaten zweitstärkste Fraktion wurden, sieht nicht viel einfacher aus, versichert Wahlforscher José Pablo Ferrándiz. "Podemos wird für eine parlamentarische Unterstützung viele Reformen und einen klaren Linksruck einfordern. Sie werden von den Sozialisten auch ein Unabhängigkeitsreferendum für die Katalanen einfordern, gegen das sich die Parteiführung und auch die sozialistischen Wähler klar aussprechen", meint Ferrándiz. Zudem fordern sie, wie auch Ciudadanos, eine Verfassungsreform, die das aktuelle Wahlsystem abschafft, das vor allem die großen Volksparteien bevorzugt. "Damit würden sich die Sozialisten vielleicht ihr eigenes Grab schaufeln", so der Wahlforscher.
Doch selbst bei einer Übereinkunft mit den Linkspopulistischen fehlen den Sozialisten für die Verabschiedung einer Minderheitsregierung immer noch 17 Mandate, die sie bei den baskischen Nationalisten der PNV und mehreren Splitterparteien wie den Grünen, der Kanarischen Koalition oder den Galicischen Nationalisten suchen müssten. Vielleicht könnten die Sozialisten sogar auf die Unterstützung der katalanischen Separatisten der ERC und Democràcia i Llibertat hoffen, die zusammen auf die noch fehlenden 17 Mandate kommen. Doch der Preis dafür könnte mit den Unabhängigkeitsforderungen zu hoch sein.
Die politische Unsicherheit lässt nun Wirtschaftstreibende zittern, ob die bisherige Reformpolitik gekippt wird.
Auf den Finanzmärkten haben aus Furcht vor einer langwierigen Regierungsbildung Anleger am Montag spanische Wertpapiere aus ihren Depots geworfen. Vielleicht könnten bald sogar wieder Neuwahlen notwendig werden, ist die Befürchtung von Beobachtern. "Es sieht aus, als bekämen wir Parlamentsverhältnisse wie Italien - nur ohne Italiener", scherzt PP-Anhängerin Ana Hernández vor der Parteizentrale der Konservativen - ohne dabei zu lachen.