900 Millionen Euro müssen aufgebracht werden - einnahmen- oder ausgabenseitig.
| SPÖ und ÖVP verhandeln hinter verschlossenen Türen.
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Wien. Gut möglich, dass Österreich kurz vor Weihnachten die Neuauflage eines Klassikers erlebt. "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!" Mit diesen legendären Worten hatte sich zu Weihnachten 1945 Kanzler Leopold Figl an die Bürger gewandt.
Die pathetischen Worte "glaubt an dieses Österreich" könnten kurz vor Weihnachten auch aus dem Mund von Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger kommen, allerdings nicht an die Bürger gerichtet, sondern an die internationalen Investoren und Rating-Agenturen. In den letzten Wochen hat die Vertrauenskrise von der Euro-Peripherie auf deren Kern übergegriffen - und damit auch Österreich erreicht.
Viel spricht dafür, dass die Koalitionsspitze dabei nicht mit leeren Händen vor die Finanzwelt treten wird: Wie die "Wiener Zeitung" bereits berichtete, mehren sich die Hinweise, dass SPÖ und ÖVP im Hintergrund hektisch an einem Sparpaket arbeiten. Zwar ist man offiziell bemüht, etwa das Treffen der beiden Regierungskoordinatoren, Staatssekretär Josef Ostermayer und Finanzministerin Maria Fekter, vom Wochenende als bloße Routine abzutun, doch hinter vorgehaltener Hand wird offen eingestanden, dass die Regierung bereits 2012 die Maastricht-Grenze für das Budgetdefizit von 3,0 Prozent unterschreiten will. Im Bundesfinanzgesetz 2012, das am 18. November im Nationalrat beschlossen wurde, ist ein gesamtstaatliches Defizit von 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorgesehen. Das BIP (die Summe aller Waren und Dienstleitungen) beträgt rund 300 Milliarden Euro. Um das Defizit um 0,3 Prozentpunkte auf 2,9 Prozent zu drücken, müssen daher 900 Millionen Euro aufgebracht werden. Dazu braucht es einen Mix an Ausgabenkürzungen und Einnahmensteigerungen.
Plädoyer für mittelfristige Strukturreformen
Die jüngste Herabstufung der Konjunkturaussichten für Österreich durch die OECD (siehe dazu Bericht Seite 26) sind im Budget für 2012 nicht ganz eingepreist. Bei der Budgeterstellung ist man im Finanzministerium noch von einem BIP-Wachstum von 0,8 Prozent ausgegangen - basierend auf den Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Die OECD sagt Österreich nun aber nur ein Wachstum von 0,6 Prozent voraus. Das bedeutet, dass sicherlich vermehrte Anstrengungen notwendig sein werden.
Dass zusätzliche Einnahmen kommen werden, scheint mittlerweile auch in der ÖVP akzeptiert zu sein; hier pocht man jedoch darauf, dass zumindest das Gros der 900 Millionen Euro aus Einsparungen lukriert wird.
Über konkrete Details hüllen sich alle maßgeblichen Beteiligten derzeit in Schweigen - die politisch ohnehin schwierigen Verhandlungen sollen nicht durch die Veröffentlichung von Einzelvorschlägen noch komplizierter gestaltet werden. Ziel ist es, durch die Präsentation einer ausgewogenen Paketlösung den Widerstand der Partikularinteressen im Zaum zu halten.
Dennoch kursieren immer wieder Möglichkeiten, wo die Regierung Geld holen könnte: Die größten Sparvolumina bergen die Förderungen, von denen es in Österreich 18 Milliarden jährlich für ÖBB, Familien, Bauern und Wirtschaft gibt. Kürzungen in diesem Bereich von 5 Prozent wären ausreichend, um die 900 Millionen zu finanzieren. Die Verwaltungsreform wird ebenso immer wieder genannt wie eine Spitalsreform. Nicht zuletzt steht das Pensionssystem - Stichwort Frühpensionen - einmal mehr zur Debatte.
Hier geht es fast immer um mittelfristige Strukturreformen, Einsparungen werden daher nicht sofort budgetwirksam, gibt Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller zu bedenken. Diese mittelfristigen Strukturreformen müssen aber angegangen werden. Bei den Förderungen müsse zum Beispiel einem radikalen Streichkonzert eine Evaluierung vorausgehen. Die Förderungen werden daher vermutlich jetzt nichts zur Budgetsanierung beitragen können. Sie werden für den neuen Finanzrahmenplan, der im März fest stehen soll, intensiv durchleuchtet.
Bei den Pensionen rät das Institut für höhere Studien (IHS) seit Jahren für eine Streichung aller Frühpensionsmöglichkeiten. Alleine damit könne das System finanziert werden. Immerhin ist der Bundeszuschuss schon bei fast zehn Milliarden angelangt. Auch Schratzenstaller rät zu einem Anheben des faktischen Pensionsalters - derzeit 58,2 Jahre im Durchschnitt. Sie gibt aber zu bedenken, dass begleitend dazu die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssten. Dasselbe gilt für die frühere Angleichung des Frauenpensionsalters (60) an das der Männer (65). Damit, so fordert zumindest die ÖVP, sollte früher begonnen werden als 1992 in der Verfassung verankert wurde: von 2022 bis 2034. In dem Fall müsste es mehr Kinderbetreuungsplätze geben.
Vermögens- versus Massensteuern
Schratzensteller rät der Politik, bei ihren Entscheidungen "so konjunkturbewusst wie möglich vorzugehen". Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer etwa wäre aus ihrer Sicht konjunkturpolitisch nicht vernünftig. Das sieht auch SPÖ-Budgetsprecher Jan Krainer so: Die Mehrwertsteuer könne man nur in einer Aufschwungphase erhöhen, aber nicht jetzt. "Wenn man in einer Rezession falsch spart, kommt man in eine Spirale nach unten." Das sehe man am Beispiel Griechenlands, wo radikal gespart werde, gleichzeitig breche aber die Wirtschaft ein. "Das wünsche ich uns nicht", betont Krainer. Gemunkelt wird fallweise auch über die Möglichkeit der Anhebung der Mineralölsteuer, der man das Mäntelchen der Ökologisierung zur Behübschung umhängen könnte.
Statt über solche Massensteuern will Krainer die 900 Millionen Euro anders hereinbringen: "Am einfachsten geht das über eine Vermögenssteuer." Vermögen ab einer Million Euro sollten demnach mit 0,5 Prozent des Verkehrswerts besteuert werden. Zudem sollten, ginge es allein nach der SPÖ, Umwidmungsgewinne besteuert und die Spekulationsfrist für Immobilien gestrichen werden.
Vermögenssteuern werden koalitionsintern sicher noch zu Scharmützeln führen. Inwieweit die von der neuen ÖAAB-Chefin Johanna Mikl-Leitner ("Her mit den Millionen, her mit dem Zaster, her mit der Marie") geforderte Solidarabgabe für Spitzenverdiener dabei eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten. Sie hat ja vorgeschlagen, Spitzenverdiener ab 500.000 Euro brutto Jahreseinkommen auf vier bis fünf Jahre befristet mit einer Solidarabgabe zu bedenken. In Diskussion war ein Zuschlag zum Spitzensteuersatz von fünf Prozent. Dieser würde nach Schätzungen des Finanzministeriums Einnahmen von rund 30 Millionen Euro bedeuten. Weitere SPÖ-Idee: die Streichung der Absetzbarkeit von Kinderbetreuung. 125 Millionen Euro seien dafür vorgesehen. Wenn man das streiche, könne man die Hälfte zur Budgetsanierung und die andere Hälfte für den Ausbau von Kinderbetreuung verwenden. Das, so Krainer, sei eine intelligente Art des Sparens und wäre auch ein weiterer Schritt vom Transferstaat zum Dienstleistungsstaat.
ÖBB-Projekteauf dem Prüfstand
Eine weitere Option, das Budget zu entlasten, ist eine Durchforstung der zahlreichen kostenintensiven Infrastrukturprojekte der ÖBB, und hier vor allem die Tunnelbauten. Besonders umstritten sind hier der Koralm- und der Brenner-Basistunnel. Beim Tiroler Mega-Projekt ist Österreich nicht alleinverantwortlich: Möglich wäre etwa, so heißt es, dass Italien aufgrund seiner immensen Verschuldung vom gemeinsamen Alpentunnel abspringen, das Projekt zumindest zeitlich deutlich nach hinten schieben könnte. Der Bau dieser Alpen-Transversale belastet das österreichische Budget laut Rechnungshof mit 11,9 Milliarden. Neben diesen beiden Großprojekten werden sich die Budgetexperten wohl auch alle anderen Bauvorhaben der ÖBB genauer unter die Lupe nehmen.
Ein Aufschnüren des eben erst beschlossenen Budgets 2012 ist aber für all diese Maßnahmen nicht notwendig. "Für Mehreinnahmen muss man das Budget nicht aufschnüren. Das gilt auch für weniger Ausgaben", erklärte Krainer. Einzig für eine Überschreitung des Budgets wäre eine gesetzliche Regelung - ein Budgetüberschreitungsgesetz - notwendig. "Der Hauptfokus der SPÖ", betonte Krainer, "liegt auf Vermögen und vermögensbezogenen Steuern".