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Ein spätes Ende

Von Veronika Eschbacher

Politik

Die Todeserklärung von Taliban-Chef Mullah Omar kam kurz vor Beginn der zweiten Runde der Friedensgespräche.


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Kabul/Wien. Über Mullah Omar, den Begründer der Taliban, gibt es jede Menge Witze. Einer geht so: Der Nachbar von Mullah Omar klopft an dessen Tür. Nachdem dieser öffnet, sagt er: "Mullah Omar, hast du meinen Esel gesehen?" Dieser antwortet: "Tut mir leid, mein Bruder, dein Esel ist nicht hier." Genau in diesem Moment dringt der Schrei eines Esels aus dem Inneren des Hofs von Mullah Omar. Der Nachbar beschwert sich: "Du hast mich angelogen! Er ist dort drinnen bei dir!", sagt er. Mullah Omar darauf entrüstet: "Du schenkst ihm mehr Glauben als mir?"

In der Tat waren Aussagen von und Nachrichten über Mullah Omar in der Vergangenheit mit großer Skepsis zu begegnen. Seit 2001 war der einäugige Talibanführer nicht mehr öffentlich gesehen worden, des Öfteren bereits war er für tot erklärt worden. Am Mittwoch erklärte nun der afghanische Geheimdienst, Mullah Omar sei tot. Bereits vor zwei Jahren soll er in Pakistan in einem Krankenhaus - gerüchteweise an Tuberkulose - gestorben sein. Das Präsidialamt in Kabul bestätigte die Angaben.

Für bare Münze sollte man auch diese Meldung nicht nehmen. Als praktisch unumstritten gilt, dass er bereits vor längerer Zeit verstarb. Unter Insidern gilt folgende Todesvariante als wahrscheinlichste: Mullah Omar wurde vor noch viel längerer Zeit im Zuge eines Gefechts zwischen zwei von den Taliban konkurrierenden Gruppen getötet. Dies unabsichtlich, denn niemand unter den Taliban - auch nicht den abtrünnigen - hätte es je gewagt, Mullah Omar anzurühren. Die Angreifer-Gruppe habe es einfach nicht gewusst, dass der "Amir al Mominin" (Anführer der Gläubigen) sich zu der Zeit dort befunden habe.

Mullah Omar hatte die Taliban während des Bürgerkrieges Anfang der 1990er-Jahre im Süden Afghanistans aus Studenten aus Koranschulen gegründet, um örtlichen Kriegsherren entgegenzutreten. Von 1996 bis 2001 stand er der Regierung der Taliban in Kabul vor. Die radikalislamische Bewegung errichtete in diesen Jahren auf Basis einer strengen Auslegung der Scharia (islamisches Recht) eine Schreckensherrschaft.

Mit den Angriffen der Amerikaner in Afghanistan infolge des 11. Septembers 2001 musste auch Mullah Omar, dessen Regierung Osama bin Laden Unterschlupf bot, untertauchen. Die USA setzten ein Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen Dollar auf ihn aus.

Mit den Jahren meldete sich Mullah Omar, dessen Gefolgsleute Nato- wie einheimische Truppen permanent bekämpften, immer spärlicher. Gab es anfangs noch Audio-Botschaften, so waren es bald nur mehr schriftliche Statements. Im vergangenen Jahr wurde der Großteil der Taliban-Erklärungen bereits von der gesamten Schura, also dem Taliban-Führungsgremium, unterzeichnet. Die letzte von Mullah Omar persönlich signierte Nachricht wurde am 16. Juli veröffentlicht. Anlässlich des Eid-Festes wurde in dieser verkündet, Mullah Omar halte die Friedensgespräche zwischen den Taliban und Kabul für "legitim", wenn sie "das Ende der Besatzung Afghanistans" zum Ziel hätten.

Neuer, lebender Taliban-Führer verleiht mehr Glaubwürdigkeit

Die nun erfolgte Todeserklärung von Mullah Omar ist wohl auch genau in diesem Kontext zu sehen. Die zweite Runde der offiziellen Friedensgespräche ist für Freitag angesetzt. Hinter den Kulissen laufen bereits seit 2011 in verschiedener Regelmäßigkeit und in verschiedenen Formaten Gespräche, um die Gruppe zum Niederlegen der Waffen zu bewegen. Einer vertraulichen Quelle aus Islamabad zufolge war es der Chef der pakistanischen Armee, General Raheel Sharif, der bei seinem ersten Besuch in Kabul im November des Vorjahres versprach, der Bitte des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani nachzukommen: Die Taliban endlich auch offiziell an den Verhandlungstisch zu bringen. Der pakistanischen Armee und dem pakistanischen Geheimdienst ISI wird schon lange nachgesagt, Unterstützer der Taliban zu sein und großen Einfluss auf sie zu haben.

Am 7. Juli konnte General Raheel sein Versprechen schließlich einlösen. Bei den ersten Gesprächen sei zwar mehr das Zeremoniell im Vordergrund gestanden, "es wurde viel grüner Tee getrunken", heißt es, aber bis in die frühen Morgenstunden debattiert. Immerhin wurden die für die Aufständischen wichtigen Themen klar: Die Präsenz der ausländischen Truppen im Land, die UN-Sanktionen gegen führende Taliban sowie gefangene Taliban. Präsident Ghani ist es, der nun darauf drängt, weg vom Zeremoniell zu konkreterem Austausch und dem Beginn des Aufbaus vertrauensbildender Maßnahmen überzugehen.

Kabul fordert seinerseits einen sofortigen Waffenstillstand. Die Sicherheitslage hat sich - nicht zuletzt wegen regierungsinterner Streitigkeiten und der Einmischung von Warlords - verschlechtert. Die Taliban haben zuletzt noch mehr Angriffe gestartet, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. In 26 der 34 Provinzen des Landes sind sie aktiv. Sie sitzen nicht mehr nur in ihren Hochburgen im Süden, sondern versuchen auch Vormärsche im Norden des Landes. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben alle Hände voll zu tun, ihnen Einhalt zu gebieten.

Aber nicht nur die permanenten Angriffe sollen ihnen mehr Verhandlungsgewicht bescheren, sondern auch der Tod Mullah Omars. Experten erwarten, dass sein Nachfolger sehr bald bekannt gegeben wird. Ein lebender Taliban-Führer verleiht mehr Glaubwürdigkeit, so die Conclusio. Aller Voraussicht nach wird Omars ältester Sohn Mullah Yaqoub, 26, die Bewegung übernehmen.

In Afghanistan selbst wurde die Meldung über den Tod Omars eher teilnahmslos aufgenommen. "Der Großteil der Afghanen sieht ihn als ungebildeten Chef einer Gruppierung, die wenig Wissen über afghanische Geschichte und Kultur hatte und auch kaum Ahnung hatte, wie man ein Land führt", sagt Nader Nadery, Direktor der Kabuler Denkfabrik AREU. Er sei wegen der skrupellosen Taten der Taliban gegenüber der Bevölkerung gefürchtet worden. Geschätzt sei hingegen worden, dass er aufgrund seiner religiösen Überzeugungen nicht mit Geld zu korrumpieren war (im Gegensatz zu den Regierungen seit 2001, denen massive Korruption nachgesagt wird).

Den Friedensgesprächen steht man generell mit großer Skepsis gegenüber. "Viele Afghanen fürchten, dass eine geschwächte Regierung viele der in den vergangenen Jahren gewonnen Freiheitsrechte opfern könnte", sagt Nadery. Zudem traue man Pakistan, das offiziell die Gespräche unterstützt, weiterhin nicht über den Weg. Und auch nach der Toderklärung Mullah Omars würden die Afghanen nicht glauben, dass die Gespräche in naher Zukunft irgendwelche Früchte tragen würden.