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Ein Spiegelbild des Universums

Von Christian Pinter

Wissen

Inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Kriegs richtete sich Hans Ulrich von Eggenberg, kaiserlicher Statthalter von Innerösterreich, in Graz ein Idyll ein: Streifzug durch einen Hort komplexer Allegorik und Zahlenmystik.


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Graz, 1451: Balthasar Eggenberger ist Sohn des Stadtrichters sowie kaiserlicher Münzmeister von Graz, Laibach und St. Veit. Er lässt eine Stiftung im Paradeis errichten. Jahre später kauft er einen Hof außerhalb der damaligen Stadtgrenzen. Im Turm dieses Castro Eckenperg bringt er eine Marienkapelle mit spätgotischem Flügelaltar unter. Dafür erhält Balthasar einen Ablass. Ein halbes Jahrhundert später gerät der florierende Ablasshandel zum Anstoß für die Reformationsbestrebungen Martin Luthers: Bald wechseln Adelige, Bürger und Bauern in Scharen zum Protestantismus.

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Kriegsgott Mars repräsentiert den Feldherrn Ruprecht v. Eggenberg.
© Foto: Christian Pinter

1594 kommt der Schwabe Johannes Kepler nach Graz. Er unterrichtet Mathematik an der protestantischen Stiftsschule im Paradeis. Doch Erzherzog Ferdinand, von Jesuiten erzogen und nun Regent von Innerösterreich, stellt die Herrschaft des Katholizismus wieder her. Schließlich vertreibt er die verbliebenen Anhänger Luthers bei Androhung der Todesstrafe aus Graz; unter ihnen ist Magister Kepler.

Auch die Spaltung der Christen lässt die Menschen damals Gewissheit im Okkulten suchen. Das Konstrukt der Astrologie erlebt eine Renaissance. Der Lauf der Gestirne soll die Zukunft weisen. Fürsten, Feldherren und Städte halten sich Sterndeuter. Gedruckte Prognostika mit vorgeblich günstigen Tagen für Krankenbehandlung, Körperpflege, Handwerk und zwischenmenschliche Aktivitäten sind begehrt. Auch Kepler verfasst sie.

Zuflucht im Okkulten

Wissen und Aberglaube, Astronomie und Astrologie, Naturphilosophie und Magie - noch wird da wenig unterschieden: Kein Zufall, dass ausgerechnet der Esoteriker Rudolf II. zum ersten kaiserlichen Arbeitgeber Keplers wird. Sein zweiter ist Matthias, Rudolfs Bruder und Nachfolger. Dann steigt der schon erwähnte Erzherzog Ferdinand zum König von Böhmen und ab 1619 auch zum Kaiser auf.

Der gebürtige Grazer treibt die Gegenreformation jetzt im ganzen Reich voran. Er ist Triebfeder des Dreißigjährigen Kriegs, einer der größten Katastrophen der europäischen Geschichte. Dennoch bestätigt er den Protestanten Kepler im Amt des kaiserlichen Mathematikers. Zu Ferdinands Beraterkreis zählt Albrecht von Wallenstein ebenso wie der langjährige Grazer Vertraute Hans Ulrich von Eggenberg - ein Nachfahre Balthasars.

Hans Ulrich hat wie Kepler im protestantischen Tübingen studiert, ist aber zum katholischen Glauben übergetreten. Seine Familie logiert in der Grazer Sackstraße 16, nur ein paar Schritte von Keplers ehemaliger Wirkstätte entfernt. Schließlich wird er zum Gubernator von Innerösterreich ernannt. Er regiert jetzt an Kaisers statt über die Steiermark, Kärnten, Krain und Istrien. Solcherart zu enormer Machtfülle gelangt, lässt Hans Ulrich das alte Castro Eckenperg ab 1625 großzügig ausbauen. Der lombardische Hofkünstler Giovanni Pietro de Pomis hat bereits die Grazer Katharinenkirche geplant: mitsamt dem Mausoleum, in dem der Kaiser später die letzte Ruhe finden wird. Für dessen Statthalter errichtet er nun eine Anlage, die sich als "Abbild des Universums" versteht.

Die Mächtigen machten ihre Untertanen oft glauben, selbst in einem besonderen Naheverhältnis zum Himmel zu stehen. Auch das neue Schloss der Familie Eggenberg folgt dieser Idee. De Pomis’ Architektur baut auf mathematischen Begriffen und Harmonien auf, die Himmel und Erde verbinden sollen. Selbst für Kepler ist die Suche nach solchen Harmonien entscheidender Antrieb gewesen. Während der Dreißigjährige Krieg vor allem nördlich der Donau Millionen Menschen in den Tod reißt, richtet sich Hans Ulrich von Eggenberg einen idyllischen Hort der Zahlenmystik in der Steiermark ein.

Die vier neuen Ecktürme seines Schlosses stehen für die Anzahl der Haupthimmelsrichtungen, der Jahreszeiten und der klassischen griechischen Elemente. Während die Sonne das Schloss umrundet, baden die vier Seiten abwechselnd im Licht. Nur im Winter verharrt eine Fassade im Schatten. Rechnet man den in der Mitte verbliebenen Turm des Castro Eckenperg hinzu, recken sich fünf Spitzen in den Himmel - entsprechend der Anzahl der zwischen den Fixsternen dahinziehenden Lichtpunkte. Diese fünf Planeten bilden gemeinsam mit Sonne und Mond die sieben altvertrauten Wandelgestirne, nach denen die Römer einst die Wochentage tauften.

Jedem der 365 Tage des Jahres widmet de Pomis symbolisch ein Außenfenster. Jedem Stockwerk gibt er 31 Räume, gemäß der maximalen Tagezahl im Monat. Zieht man davon nach und nach die drei prominentesten Räumlichkeiten (Planetensaal, Kapelle und Schlosskirche) ab, erhält man die Tage der kürzeren Monate: 30, 29 und, im Schaltjahr, 28.

Papst Gregor XIII. hat die Schaltregel 1582 verbessern und zehn überzählige Tage streichen lassen. Das freilich entzieht den alten Bauernregeln jede Grundlage. Die Protestanten beugen sich der päpstlichen Anordnung nicht. Selbst Keplers Versuch, seine Glaubensgenossen umzustimmen, ist gescheitert: Der Kalender bleibt ein Politikum im Reich.

Gemäß der täglichen Stundenanzahl besitzt die Beletage im 2. Stock des Schlosses 24 außen liegende Prunkräume. Die zwölf auf der "Tagseite" sind durch weiße Türen und Türrahmen getrennt, die auf der Nachtseite durch solche aus dunkelbraunem Nussholz. Die 52 Fenster entsprechen den vollen Wochen im Kalenderjahr. Addiert man die Fenster des Planetensaals hinzu, ergibt sich die Zahl 60 - die Basis des babylonischen Zahlensystems. Seinetwegen zerfällt unser Winkelgrad noch immer in 60 Teile und die Stunde in 60 Minuten.

Hierarchie der Räume

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Schloss Graz Eggenberg: 1625 entschloss sich Fürst Hans Ulrich von Eggenberg zum Bau dieses barocken Gesamtkunstwerks. Pinter
© Foto: Christian Pinter

Der repräsentative Bau ist hierarchisch gegliedert wie die Gesellschaft. Unten liegen Küche und Wirtschaftsräume, darüber die Privatgemächer und der fürstliche Audienzsaal, ganz oben die allerprächtigsten Räumlichkeiten. Deren Fertigstellung erlebt Hans Ulrich nicht mehr.

Sein Sohn Johann Anton wird kaiserlicher Gesandter bei Papst Urban VIII.: Unter dessen Pontifikat ist Galileo Galilei zu Hausarrest verurteilt worden. Die Medici halten dennoch zu ihrem Hofphilosophen, der ihnen 1610 die Jupitermonde gewidmet hat. Galileis Sterne der Medici leisten seither Legitimationsarbeit für die Herrschaft des florentinischen Fürstengeschlechts, rücken es gleichsam "in die Nähe des Himmels".

Anna de Medici, eine Tochter von Galileis großherzoglichem Patron, nächtigt 1673 im Schloss Eggenberg. Ihr Gastgeber ist Johann Seyfried, der Enkel von Hans Ulrich. Er lässt seine Besucher teils unter blutrünstigen Schlachtszenen schlummern: Die Prunkräume der Beletage wurden mit fast 600 Motiven aus der Geschichte und der Mythologie geschmückt.

Damals wähnt man die Perser als Vorfahren der Türken. Motive aus dem Perserreich sind propagandistisch grausam dargestellt. Im Gegensatz dazu präsentieren sich die Habsburger als Verteidiger des Glaubens. Schon de Pomis hatte den seinerzeitigen Erzherzog Ferdinand mit Waage und Schwert gezeigt, den Attributen des Erzengels Michael: In diesem Gemälde rang er allerdings nicht den Teufel in Drachengestalt nieder, sondern die Lehre Luthers.

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Göttin Minerva hält Wache vor dem Schlosseingang.
© Foto: Christian Pinter

Für den Planetensaal engagiert Johann Seyfried den Barockmaler Hans Adam Weissenkircher. Der stammt aus einer Salzburger Künstlerfamilie und gilt als geistiger Schüler Caravaggios. Sieben Jahre arbeitet er an diesem eigentlichen Herzstück des Schlosses: Die vier griechischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer werden hier von den römischen Gottheiten Proserpina, Neptun, Juno und Vulcanus verkörpert.

An den Saalwänden des Saals finden die zwölf Tierkreiszeichen Platz. Schon die Astronomen des Zweistromlands hatten die Bewegungszone der Wandelgestirne in zwölf Abschnitte gegliedert, gemäß den zwölf vollen Monden im Sonnenjahr. Griechen und Römer umrankten die einschlägigen Sternbilder dann mit den uns vertrauten Mythen.

Weissenkircher erzählt sie: So entführt etwa Jupiter die phönizische Prinzessin Europa in Gestalt des himmlischen Stiers. Die Fische wiederum tragen Venus und Amor durch den Nil. Über all dem erblickt man im Planetensaal jene Götter, die einst mit den sieben klassischen Wandelgestirnen assoziiert wurden. Zugeordnet sind ihnen jeweils ein alchemistisches Metall, eine der sieben Besitzungen der Familie Eggenberg und ein prominentes Familienmitglied.

Mythische Überhöhung

Saturn, der Gott des Alters und der Zeit, soll an den Schlossgründer Hans Ulrich erinnern. Die Mond- und Jagdgöttin Diana steht für dessen Gattin Sidonia. Hans Ulrichs Cousin, der Feldherr Ruprecht von Eggenberg, kämpfte 1593 gegen die türkische Expansion; ihm ist der Kriegsgott Mars gewidmet.

Der herabschwebende Götterbote Merkur wird mit dem kaiserlichen Gesandten Johann Anton I. verbunden. Der Götterkönig Jupiter repräsentiert den aktuellen Hausherren und Auftraggeber Johann Seyfried, die Liebesgöttin Venus seine Gattin Rosalia. Dem hoffnungsvollen Spross Johann Anton II. ist der alles überstrahlende Sonnengott vorbehalten. Die Damen unter dem goldenen Sonnenwagen sollen seine Tugenden verkörpern.

Doch trotz dieser symbolischen Überhöhung klingt die Ära der Eggenberger bald aus. Johann Anton II. stirbt mit 47, sein einziger Sohn bereits im Kindesalter. Das Schloss geht in den Besitz der Familie Herberstein über und wird schließlich vom Land Steiermark erworben. Heute gehört das barocke Gesamtkunstwerk zum Universalmuseum Joanneum. Es zählt seit 2010 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: www.himmelszelt.at