Weltweit haben 40 Millionen Personen HIV. Die Zahl der Neuinfektionen bleibt gleich, denn die Menschen sind zu unvorsichtig.
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Paris. HIV und Aids sind nicht mehr täglich in den Schlagzeilen. Dennoch geht die Zahl der Neuinfektionen selbst in den westlichen Ländern nicht zurück. Das liegt auch daran, dass rund ein Drittel der Betroffenen nicht weiß, dass sie mit dem Erreger infiziert sind. Nach wie vor gilt Aids zudem als Stigma, selbst wenn heutige Medikamente die Ansteckungsgefahr stark verringern und ein fast normales Leben ermöglichen. Zum Welt-Aids-Tag am Donnerstag erklärt die führende Aids-Forscherin Michaela Müller-Trutwin. Professorin am renommierten Institut Pasteur in Paris, wie die Forscher Aids langfristig aus der Welt schaffen wollen.
"Wiener Zeitung": Die Gefahr von HIV ist lange bekannt, trotzdem ist es bisher nicht gelungen, das Virus aus der Welt zu schaffen. Warum?Michaela Müller-Trutwin: Als Anfang der 80er Jahre das Virus HIV als Ursache von Aids entdeckt wurde, hat man gemerkt, dass man virale Epidemien nicht verhindern kann. Und wir müssen noch viel tun, um Impfstoffe und Medikamente zu finden. Ganz wichtig ist aber auch die Aufklärung: Noch immer gehört HIV zu den zehn größten Todesursachen in der Welt, es ist sogar die zweitgrößte Todesursache für Teenager weltweit.
Betrifft das Problem vor allem Afrika?
Nicht nur! In Osteuropa nimmt die Anzahl der Neuinfektionen zu und in vielen westeuropäischen Ländern bleibt sie seit zehn Jahren stabil. Das heißt: Jedes Jahr infiziert sich eine gleich große Anzahl an Menschen, obwohl es Präventionskampagnen gibt. Viele Menschen denken, dass Aids heute kein großes Problem mehr ist, die Zahl der Vorsichtsmaßnahmen sinkt und es werden wieder mehr Risiken eingegangen.
Welche Medikamente gibt es für Infizierte?
Es gibt die sogenannten Tri-Therapien, wo drei verschiedene Medikamente kombiniert werden. Diese wirken sehr gut und in Europa übernimmt sie oft die Krankenversicherung, aber in vielen ärmeren Ländern ist dies nicht möglich. Es wurde daher Druck auf Pharmafirmen ausgeübt, um die Preise zu senken, und es gibt einen globalen Fonds, damit die Medikamente billiger werden und die Menschen leichter Zugang bekommen. Ein Problem sind auch schwache Infrastrukturen. Ich habe mit afrikanischen Frauen gesprochen, die oft einen ganzen Tag zu Fuß zurücklegen müssen, um an die Medikamente zu kommen. An diesem Tag können sie nicht arbeiten. Das heißt, sie haben einen Einkommensverlust. Oft können sie sich nicht vorstellen, das ihr Leben lang auf sich zu nehmen, denn HIV ist eine chronische Krankheit. Statistiken sagen, dass weltweit nur die Hälfte der Menschen, die Medikamente bräuchten, diese auch bekommen.
Ist auch die Stigmatisierung von HIV-Infizierten schuld, dass Menschen sich nicht testen oder behandeln lassen, weil sie Angst vor sozialem Ausschluss haben?
Ja, die Diskriminierung ist ein großes Problem. Wer HIV-infiziert ist, hat größere Hemmungen, es zu erzählen, als bei anderen Krankheiten. Bei HIV fragen die anderen, wie er es bekommen hat, ob er Risiken eingegangen ist oder gar selbst schuld ist. Zudem kommt es bei Homosexuellen, die sich nicht geoutet haben, fast automatisch einem Outing gleich. Bei HIV-positiven Kindern wollen die Eltern oft nicht, dass es in der Schule bekannt wird, damit das Kind nicht ausgeschlossen wird.
Sind solche Sorgen berechtigt? Gibt es eine konkrete Ansteckungsgefahr, zum Beispiel über das Blut bei Verletzungen?
Es sind keine Fälle bekannt von Menschen, die mit HIV-Infizierten in einem Haushalt zusammengelebt haben und angesteckt wurden, es sei denn durch sexuellen Kontakt. Man kann sich nicht infizieren, indem man sich küsst oder aus demselben Glas trinkt. Aber trotzdem ist die Angst groß und viele lassen sich lieber gar nicht testen. Laut Studien wissen in Frankreich über ein Drittel der HIV-Positiven nichts davon.
Die Ansteckungsgefahr ist jedenfalls hoch, vor allem, wenn sich jemand gerade infiziert hat. Auch sollte man so früh wie möglich mit der Einnahme der Medikamente anfangen, die ein fast normales Leben ermöglichen. Je länger man wartet, desto stärker wird das Immunsystem geschädigt und diese Schäden kann man größtenteils nicht mehr rückgängig machen.
Gibt es auch Versuche, Menschen irgendwann von HIV zu heilen?
Die heutige Forschung hat zwei Ziele: Einerseits die Entwicklung eines Impfstoffes, der nach dem Prinzip der Pille vorbeugend eingenommen wird und mit dem man Neuinfektionen verhindern könnte. Zweitens die Heilung, denn inzwischen gibt es fast 40 Millionen HIV-Infizierte auf der Welt. Wir kennen zwei Beweise dafür, dass Heilung theoretisch möglich ist: Zum einen wurde ein Patient, der auch an Leukämie erkrankt war, von einem Arzt in Berlin behandelt. Er bekam eine besondere Knochenmarktransplantation und ist heute geheilt. Bis jetzt schien das undenkbar, weil sich HIV im Genom der Zellen versteckt und eigentlich ein Leben lang dort bleibt. Weiters haben wir in Frankreich eine Gruppe aus 18 früheren HIV-Patienten, die funktionell geheilt sind. Sie wurden ursprünglich durch die Tri-Therapie behandelt, haben sie aus bestimmten Gründen aber abgebrochen. Eigentlich sollte man das auf keinen Fall tun, denn die Medikamente wirken nur, solange sie eingenommen werden. Aber diese 18 Personen wurden nach Jahren wieder untersucht und da hat man festgestellt, dass das Virus nur noch in minimalen Mengen im Blut vorhanden ist.
Zur Person
Michaela
Müller-Trutwin
geboren 1965 in Köln, arbeitet seit mehr als 20 Jahren am Institut Pasteur in Paris, wo die Professorin für Biologie ein HIV-Labor leitet. Das Institut Pasteur gehört zu den führenden Grundlagenforschungszentren für Biologie und Medizin. Hier wurde 1983 der Aids-Erreger bestimmt.