Wie das Krankenhaus Göttlicher Heiland durch die Covid-Krise kam und was Omikron für das Spital bedeutet.
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Manchmal war es zum Verzweifeln. Die Geschichte des ersten Corona-Toten der Herbstwelle des vergangenen Jahres auf der Covid-19-Station im Krankenhaus Göttlicher Heiland im Wien-Hernals kennt im Spital fast jeder. Der Patient, Anfang 70 - ungeimpft -, liegt schon einige Zeit auf der Intensivstation, aber trotz bester Versorgung und intensiver Behandlung gibt es keine Aussicht mehr auf eine Verbesserung seines Zustandes. Die Vitalfunktionen verschlechtern sich, mit den Sauerstoffsättigungswerten im Blut geht es immer weiter bergab.
Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte kommen zum Schluss, dass es wohl das Beste sei, ihn auf die Normalstation zu verlegen, um den Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich in Würde von ihm zu verabschieden. Gattin und Tochter werden verständigt und mit FFP2-Maske, Plastikschürze, Plastikhaube eingekleidet und mit Schutzbrille ausgestattet. Einer der Pfleger fragt routinemäßig, ob denn beide geimpft seien. Sagt die Frau des Patienten, der im Sterben liegt: "Aber warum? Wir haben doch ein gesundes Immunsystem!" "Das hat uns schon umgehauen, da wussten wir nicht, wie wir reagieren sollen", sagt ein Pfleger, der den Patienten damals versorgte. "Bei dem Gedanken, dass wir ihn, wenn er geimpft gewesen wäre, vielleicht nie zu uns auf die Station bekommen hätten, wird man einfach nur traurig."
Seit zwei Jahren ist das österreichische Gesundheitssystem nun im Ausnahmezustand-Betrieb. Spitäler und Praxen, Senioren- und Pflegeheime, Diagnostikzentren, die mobile Pflege, Labors und Apotheken - keine Einrichtung der Gesundheitsinfrastruktur blieb von der Pandemie unberührt.
Auch nicht das Krankenhaus Göttlicher Heiland.
Freitag, der 13. März 2020 ist ein schöner, sonniger Tag, gegen Mittag hat es 13 Grad, um 14 Uhr tritt der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz - flankiert von Gesundheitsminister Rudolf Anschober und dem damaligen Innenminister Karl Nehammer - vor die Kameras, um den ersten Lockdown zu verkünden. Athe Grafinger, Primaria und stellvertretende ärztliche Direktorin, steht auf der Palliativstation an einem der Fenster, schaut auf die Stadt hinunter und denkt: "Was kommt da jetzt auf uns zu? Was ist das für ein Feind, der uns zu überrollen droht, und wir zusehen müssen, wie wir jetzt damit zurechtkommen?" Sie weiß, dass das Krankenhaus nun die Spitäler des Gesundheitsverbunds entlasten soll, Betten mussten freigemacht werden, um genau dafür Kapazitäten zu schaffen.
Das Krankenhaus Göttlicher Heiland, ein Hospital mit 268 Betten, ist im Vergleich zu den Spitälern des Wiener Gesundheitsverbunds ein überschaubares Haus. Das AKH spielt mit seinen 1.763 Betten in einer anderen Liga, aber auch die städtischen Kliniken haben zwischen 450 und 1.000 Betten. Aber hier kennt man einander, bei 134 Ärztinnen und Ärzten und 326 Pflegekräften können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (insgesamt sind es 728) noch halbwegs den Überblick behalten.
Als die erste Welle glimpflich überstanden war, wurde vereinbart, dass nach dem Wiener Eskalationsplan auch die Ordensspitäler nach dem Sommer in die Betreuung von Covid-Patienten einsteigen würden. Das Göttlicher Heiland Krankenhaus wurde im September 2020 dann das erste nicht-städtische Spital, das diesen Schritt ging - denn die Klinik verfügt über eine Anzahl an sogenannten "Funktionsbetten", also Betten mit Herzüberwachung, und über eine gut ausgebaute Intensivstation.
Athe Grafinger übernahm die ärztliche Leitung der Covid-Station, sie wirkt wie eine Frau, die solche Herausforderungen mit einer Mischung aus Mut und Neugierde annimmt: "Wir mussten uns in kürzester Zeit immer wieder anpassen und uns neuen Herausforderungen stellen. Es war aufregend, im Spital etwas ganz Neues aufzubauen, alle haben mitgezogen - es war einfach motivierend."
Raphael Bayer, ihr Mitstreiter im Pflegebereich, hatte die Möglichkeit, drei Personen aus seinem Pflegeteam an die infektionsmedizinische Abteilung der Klinik Favoriten zu Christoph Wenisch und Gabriele Sunko zu schicken, um dort "die Basics" zu lernen, wie Bayer sagt.
Als es davor darum gegangen war, das Personal für diese neue Covid-Station zusammenzustellen, gab es ein denkwürdiges Treffen der Ärzte und Oberärzte, an das sich Beyer erinnert, als sei es gestern gewesen: "Einer der Ärzte sagte: ‚Wenn ich da nicht dabei bin, dann muss ich ja meine Berufswahl hinterfragen.‘ Und er hatte recht: Wir haben einen Beruf ergriffen, um zu helfen, und nie brauchte man uns dringender als jetzt." Am 28. September 2020 um 7 Uhr kamen Ärzte und Pfleger auf der neuen, noch leeren Covid-Station zusammen, einer Station, die vor der Umrüstung noch mit 29 Patienten belegt war. Dann warteten sie auf die ersten Patienten.
Die Station war bald im Dauereinsatz, in den härtesten Zeiten der Pandemie gab es bis zu zehn Aufnahmen pro Tag. Es wurde in Dienstpläne eingegriffen, es mussten dauernd ganze Abteilungen im Spital hin und her verschoben werden und wochenlang war die Sauerstoffanlage vor dem Haus mit Eis überkrustet, weil die schwer an Covid Erkrankten so viel Sauerstoff benötigten. Nun warten Grafinger und Bayer, ob Omikron bald zum prognostizierten Ansturm auf die Normalstationen führen wird.
Wie war es vor Covid?
Covid-19 ist heute längst Alltag im Spital und manche können sich fast nicht mehr daran erinnern, wie vergleichsweise einfach vorher alles war.
Das Telefon läutet, Portier Siegfried Buchmüller hebt ab, "Göttlicher Heiland, Grüß Gott!" Ein Gespräch mit Buchmüller ist schwierig, es läutet ohne Unterlass, Besucher, Patienten - sie alle branden am Empfangspult bei ihm an. Covid hat auch seine Arbeitsroutine verändert. Wo er vor Covid auch manchmal ein "Plauscherl" mit Besuchern oder Patienten hatte, geht man heute auf Distanz. Manche seien aggressiver geworden, sagt er, etwa wenn jemand kein Testergebnis, keinen Impfnachweis vorweisen kann und deshalb abgewiesen wird. Buchmüller: "Der Portier kriegt es volle Post ab." Es läutet: "Göttlicher Heiland, guten Tag!"
<11></11>Tatijana Veljkovic-Berdic ist als Reinigungskraft und im Patientenservice im Einsatz, seit 2017 ist sie am Spital, auf der Covid-Station war sie von Beginn an dabei. "Man hat seit der Pandemie mehr Arbeit, mehr Stress und auch Angst. Man will sich ja nicht anstecken."
Bevor man in ein Zimmer mit Covid-Patienten geht, lautet das Prozedere: Handdesinfektion, Plastikkittel an, Handschuhe an, Schutzbrille, FFP2-Maske kontrollieren, Haube auf. Schutzkleidung an, Schutzkleidung aus, Schutzkleidung an, Schutzkleidung aus - und das mehrmals am Tag. Und immer der Gedanke, dass man nichts vergessen und alles korrekt gemacht hat. "Es gibt einfach nicht mehr diese Unbeschwertheit wie früher. Wenn ich nach Dienstschluss nach dem Verlassen des Spitals die Maske abnehme - da rieche ich bewusst und genieße ich so richtig, wie die Luft ohne Maske schmeckt", sagt Veljkovic-Berdic.
Im OP war man an die Schutzkleidung schon vor Covid-19 gewöhnt, nur kamen jetzt eine zusätzliche Schutzbrille und ein Gesichtsschild dazu. Für die Covid-Station wurden vor allem Tracheostomien (Luftröhrenschnitt) operiert, eineinhalb Dutzend vielleicht. Diese Prozedur wird benötigt, um Patienten künstlich beatmen zu können. Christoph Ausch, ärztlicher Direktor und Primar der Chirurgie, berichtet, dass diese Eingriffe zuletzt stark zurückgegangen sind, im Moment liegt nur ein Covid-Fall auf der Intensivstation. "Meine Sorge gilt nun den Non-Covid-Patientinnen und -Patienten. Es wurden so viele Eingriffe verschoben, die gilt es nun möglichst rasch aufzuholen. Hoffen wir also, dass Omikron nicht wieder einen Run auf die Spitäler bringt", sagt der Chirurg.
Wenn Ausch einen Moment Ruhe findet, dann stellt er fast überrascht eine gewisse Zufriedenheit fest: "In der Alltagsroutine kommt man nicht immer dazu, zu reflektieren. Aber ich spüre schon diese Empfindung: ‚Na schau, was wir alles gemeinsam zusammengebracht haben in den vergangenen Monaten.‘" Susana Zadrazil, die OP-Stationskoordinatorin, findet auch, dass Covid die Teams noch enger zusammengeschweißt hat: "Die Teams waren im OP immer gut eingespielt, aber in den vergangenen Monaten haben wir uns vielleicht noch enger aneinandergeklammert und uns bemüht, einander noch besser zu unterstützen."
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Diese Unterstützung für Kolleginnen und Kollegen und die Patienten ist die Mission, der sich Barbara Lehner, Vorständin der Abteilung Werte und Seelsorge verschrieben hat. Die studierte Theologin hat während der Spitzenzeiten der Pandemie Mutbriefe an ihre Kolleginnen und Kollegen verfasst und versucht, noch mehr mit Patienten zu sprechen und zu versuchen, ihnen das Gefühl von Geborgenheit zu geben. "Nur leider ist das auf Abstand sehr, sehr schwer. Wenn man einander wegen der Schutzkleidung nicht gut sieht, wenn man auf Distanz bleiben muss, wenn man einander nicht spürt, keine Berührung möglich ist, dann ist das schon eine Herausforderung." Sie vermisst die Nähe, die vor Covid-19 möglich war.
Bei der Pflegeleiterin der Angiologie (Gefäßkrankheiten), Annegret Schubert, läutet das Telefon: Eine Mitarbeiterin muss in Quarantäne, Omikron. Das passiert nun wieder häufiger, die jüngste Ansteckungswelle hat jetzt auch das Spitalspersonal erfasst. Schubert seufzt, legt auf. Denkt sie vielleicht: "Hört das denn nie auf?" Schubert: "Da müssen wir wieder durch. Und wir wissen nicht einmal, ob die Sache dann mit Omikron vielleicht gegessen ist."
Ihre Abteilung wurde von Covid-19 immer wieder in Mitleidenschaft gezogen, weil Eingriffe abgesagt wurden, um die Kapazitäten nicht zu überlasten. "Ich kann mich erinnern, wie wir da hunderte Termine durchforstet und gestrichen haben: Abgesagt. Abgesagt. Abgesagt. Dann, einige Wochen später, als wir den Betrieb wieder hochgefahren haben, stellte sich die Frage: Wessen Operation ziehe ich vor? Wer kommt dran? Das war menschlich und emotional eine Riesen-Herausforderung." Und wenn man dann aus dem Spital kam, hatte man oft den Eindruck, man sei im "falschen Film". Aus der Arbeit fiel sie oft direkt ins Bett: "Wir waren einfach alle fertig. Und dann gehst Du in den Supermarkt, nachdem du 12 Stunden die FFP2-Maske getragen hast, und dort können manche nicht einmal für fünf Minuten die Maske ordentlich aufsetzen. Da war mein Verständnis bei null."
An der Pforte zum Spital kann man lesen, wie das Personal denkt: Auf einem grünen Transparent steht: "Bitte hilf uns mit Deiner Impfung."
David Pötz, Geschäftsführer des Krankenhauses, trifft man an seinem Schreibtisch vor dem Computer sitzend an. Pötz war in den vergangenen Monaten damit beschäftigt, das Krankenhaus in der größten Gesundheitskrise seit Generationen zu managen. Pötz vermittelt den Eindruck eines Mannes, der am richtigen Ort sitzt: "Die Pandemie ist nun einmal Realität. Für viele von uns ist es extrem wichtig, an einer Stelle zu sein, wo man aktiv gegen die Pandemie kämpfen kann. Das gilt für unseren Portier genauso wie für die Reinigungskraft, die Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger. Man hat zumindest das Gefühl, man kann etwas tun und ist der Pandemie nicht einfach ausgesetzt."