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Ein stabiles Fundament für Digital Natives

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin, Human-Factor-Unternehmensberaterin und Sprecherin des Arbeitskreises "Industrie 4.0 / IoT" in Wien.

Nicht jede Leistungsschwäche ist eine Schwäche des Individuums.


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"Wenn das Gehirn sich überfordert fühlt von der Informationsmenge, die es verarbeiten soll, dann passiert nicht, dass man sich hinsetzt und versucht, differenzierter zu denken. Stattdessen schaltet das Gehirn in einen Modus, undifferenziert zu denken und die Informationen eher abzuwehren", erklärte Martin Korte von der TU Braunschweig jüngst der Deutschen Presse-Agentur. Er untersucht die zellulären Grundlagen von Lernen, Gedächtnis und Vergessen.

Ein von Lehrern oft beobachtetes Phänomen wird von Korte in einen allgemeingültigen Zusammenhang mit der überwältigenden Informationsflut unserer digitalen Welt gebracht, der nicht nur Schüler betrifft: die sinkende Fähigkeit, differenziert nachzudenken.

Dabei ist gerade differenziertes (Nach-)Denken auch im 21. Jahrhundert gefordert, wenn man die Top-5-Nennungen für "2022 benötigte Fähigkeiten" der Studie "The Future of Jobs" der World Economic Foundation aus dem Jahr 2018 liest:

1. Analytisches Denken und Innovation;

2. Aktives Lernen und Lernstrategien;

3. Kreativität, Originalität und Initiative;

4. Technologie-Design und Programmieren;

5. Kritisches Denken und Analysieren.

Bis auf den vierten Punkt haben Eltern führender Milieus in allen Kulturen seit Menschengedenken ihre Kinder in diesen Bereichen gefördert. Denn so wie diese Fähigkeiten die Grundlagen einer individuell erfolgreichen Lebensgestaltung sind, bilden sie die Basis für eine prosperierende Gesellschaft: Sie werden auch 2022 in technisch orientierten Berufen ebenso benötigt wie auf allen Ebenen von Finanz- und Personalwesen, Einkauf, Marketing, Vertrieb und Logistik - unabhängig davon, ob in einem Gewerbebetrieb, einem Dienstleistungs- oder einem Produktionsunternehmen.

Unbestritten ist auch, dass Analyse-, Lern- und Innovationsfähigkeiten eine vielfältigere und zeitintensivere Förderung benötigen als zum Beispiel das Lernen der Systematik der Doppelten Buchhaltung oder der Gebrauch eines Smartphones. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass die Silicon-Valley-Elite ihren Kindern Letzteres erst ab einem Alter von 14 Jahren erlaubt.

Die Zeit bis dahin gestehen sie ihnen zu, in möglichst vielen Gebieten Erfahrungen mit selbständigem Denken zu sammeln. Nur so werden sie eines Tages wie ihre Eltern komplexe Herausforderungen bewältigen können. Korte nennt zwei Voraussetzungen, um über komplexe Probleme nachdenken zu können: selbst Wissen abzuspeichern und Konzentrationsfähigkeit.

Schule muss genau dafür heute in allen Stufen mehr Lernräume bieten als je zuvor, wenn wir ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort bleiben wollen. Denn in einer digitalen Welt wettbewerbsfähig zu sein, bedeutet wie seit Menschengedenken, menschliche Fähigkeiten zu beherrschen. Die technischen Devices, die Kinder meist schon in die Schule mitbringen oder zu deren Verwendung sie auch in der Schule angehalten werden, müssen dabei bleiben, was sie auch für die Silicon Valley-Elite sind: Werkzeuge, eingesetzt von einem kritischen Geist.