"Nach zwanzig Jahren Brennen lässt du jedes Jahr einen Fehler weg, und ein neuer kommt dazu": Besuch bei einem Schnapsbrenner in Oberösterreich.
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Rechtzeitig zum Ende des Sommers lädt mich ein Freund in sein kleines Voralpenhäuschen ein, auf dem "ad rem", also "auf der Sache", ein altes "Maria-Theresien-Privileg" liegt. Dies ist ein Sammelbegriff für eine Fülle von Einzelbegünstigungen aus jener Zeit, u.a. eben das Brennrecht landwirtschaftlicher Betriebe, die "nicht existenzfähig" und der sogenannten "Hofflucht" ausgesetzt waren. Ihnen sollte damit ein Zusatzverdienst ermöglicht werden.
Gewohnheitsrechtlich hat sich das Privileg meines Freundes bis heute gehalten, was ihm die schönste Freude ist. Nicht nur, weil er nun jeden Herbst drei Hektoliter Schnaps brennen und sogar verkaufen darf, sondern auch, weil man über den bürokratischen Aufwand, der damit verbunden ist, vorzüglich lachen kann.
Er zeigt mir seinen Bescheid aus dem Jahre 2000, mit dem er die Landwirtschaft von seiner Mutter übernommen hat, ausgestellt vom zuständigen Zollamt, dem man nach Einführung der Schengengrenze in Europa die heimischen Schnapsangelegenheiten umgehängt hat. In diesem Bescheid steht, wie das Brenngerät ausschauen muss; dass er es nicht verleihen oder verändern darf; und wenn er es doch tut, dann würde er das Brennrecht verlieren und auch nicht "neu begründen" können, hingegen würde "bei Gesamtrechtsnachfolge das Recht zur Erzeugung aufrecht" bleiben. Wegen dieses Brennrechts bedrängte vor Jahrzehnten schon der benachbarte Gastwirt, der selbst keines hatte, die Großmutter auf Oberösterreichisch: "Geh, Nochbarin! So vü Baama host! Wos mochst denn mit denan? Gib’s mia!"
Gott sei Dank gab sie seinem Drängen nicht nach, sondern war 1940 persönlich bei der "Vermessungsverhandlung" dabei, von welcher mein Freund noch das Protokoll besitzt. Der Brennkessel wurde dabei vermessen, und zwar so: "Zu diesem Zweck wurde zuerst ein 1-Liter-Hilfsgefäß mit geeichten Gefäßen vermessen, 52 x wurde in den Brennkessel Wasser hinein geleert, das sind 52 Liter", steht darin. "Die haben den ganzen Tag lang geschüttet", lacht er. "Und einer hat es sogar bezeugt."
"Und dann Grüß Gott"
Schon der Voralpendialekt meines Freundes macht Gusto auf seinen Schnaps, er fragt mich, ob ich gleich einen kosten möchte oder lieber zuerst die Bäume sehen? Wir entscheiden uns für die Bäume, die auf einer "klassischen Streuobstwiese, wie sie hier bei den Mostbauern der Brauch ist", stehen: Apfel, Birne, Steinobst, "dort hinten Kriacherln und Zwetschken. Ich brenne eigentlich nur, was auf den eigenen Bäumen wächst." Zum Beispiel den "klassischen Bauernobstler mit 2/3 Birne und 1/3 Apfel". Und dann:
"Schau, die Zwetschken! Da wirst ja narrisch!" Die Äste der Bäume biegen sich tatsächlich unter der Last der Früchte, obwohl er nicht spritzt und bei ihm auch "die Mäuse eine Chance" haben. 180 Liter hat er heuer bereits gesammelt, die über Nacht herabgefallen sind, lässt er "derfäulen". "Da kann sich die Hurnaus (Hornisse, Anm. ) bedienen."
Voriges Jahr, erzählt er, gab es hingegen gar kein Obst, "da konntest du herumtelefonieren, ob in die Steiermark, ob nach Niederösterreich, nichts". Er darf mit seinem Privileg nämlich auch zukaufen, verliert es aber, wenn er zwei Jahre hintereinander gar nicht brennt. "Aber heuer, wenn du irgendwo anrufst und sagst, du brauchst Birnen, fragen sie dich: zehn oder hundert Tonnen?"
Gerade ist er mit den Kriacherln beschäftigt. Er zeigt mir die zehn Bäume, an denen sie wachsen, samtblau ist diese Frucht und schön rund, darum nennt der Volksmund sie "Oarschkriacherl". Sie ergäben "einen Superschnaps"! Aber zuerst müsse er die kleinen Dinger natürlich zusammenklauben. Als Folge hatscht er schon ein bisserl, weil ihm die Knie wehtun und alles andere auch. "200 Liter! Dafür kräulst ein paar Tage herum!"
Das Waschen des Obstes vor der Zerstückelung wäre dann das Wichtigste überhaupt: Keine "Derfäulten" dürfen mit in die Maische, keine Steine, kein Laub, keine Erde. "Weil die Derfäulten erzeugen ja im Fassl gleich einen falschen Ton", sagt er. Das Fasserl wird befüllt und versiegelt, "und dann Grüß Gott".
Den Inhalt der Fässer muss er für die Zollbehörde penibel im Überwachungsbuch erfassen, heuer steht dort etwa: "200 l Kriacherl gelb, Behälter Nr. 15, am 24.07." Wir schauen nach und lesen, dass er im Jahr 2000 die Kriacherl erst am 9. August geerntet hat, also fast drei Wochen später. Aber heuer war eben alles "fantastisch", sagt er, es gab keinen Frost, dafür frühe Blüte und viel Sonne. Nun kommt ihm deswegen die ganze Planung für den Herbst durcheinander.
Den jeweiligen Fässern wird von der Zollbehörde eine exakte Brennzeit zugewiesen, z.B. "500 Liter Birne aus Fass 8 von Montag 7 Uhr bis Freitag 12 Uhr". Würden ihn die Prüfer eine Viertelstunde vorher oder danach beim Brennen erwischen, "hätte ich das G’scher". Dann nämlich drohe ihm schon wieder der Entzug des Privilegs. Oft wurde er freilich noch nicht geprüft, "die sagen sich ja auch: Wegen der paar Hunderter Steuerlast komme ich nicht jedes Jahr zu dir". Aber: "Große Brenner haben plombierte Zolllager, da sind sie jedes Monat einmal dort."
Bei mindestens zwanzig Grad Raumtemperatur im Keller arbeitet mein Freund dann mit der "Spontangärung" ohne zusätzliche Hilfsmittel: keine Hefe, keine Säuren, keine Aromastoffe. Andere hingegen würden manchmal so arbeiten: "Wenn das eine lasche Partie ist, dann hau ich halt ein Williamsaroma hinein . . ." So eines gäbe es in der Apotheke zu kaufen, aber er selbst macht das nie. Ehrensache.
Der Raum, in dem er brennt, ist vollgeräumt mit kleinem Knebelholz von den alten Obstbäumen, er regelt damit händisch die Temperatur des Kessels. Zwei Stunden lang bringt er ihn langsam zum Erhitzen, "ideal sind 83°", sagt er. "Der Dampf geht ins Kupferrohr, wird mit fließendem Kaltwasser runtergekühlt und kommt verflüssigt als Raubrand heraus." Würde er den Kessel dabei überhitzen, "speibt er hinein". Es ginge also Maische mit in den Auffangbehälter, und das wäre "furchtbar", weil alles geputzt werden müsse und wertvolle Zeit verloren ginge. Im November jedenfalls geht’s los: "I g’frei mi schon!", strahlt er.
Die Maische vom Raubrand wird entsorgt, danach wird er eingefüllt in die Brennblase, und er macht den Feinbrand, der wiederum drei Phasen kennt: Der hochprozentige Vorlauf ist reiner Methylalkohol, der "riecht wie Aceton, wie Uhu". Gesetzlich vorgeschrieben ist dessen Vernichtung, viele verwenden ihn aber zum Fensterputzen. Er selbst hat von einem gehört, der hat ihn sich in die Waschanlage fürs Auto gefüllt. Der wurde dann einmal von der Polizei angehalten, weil er so nach Schnaps stank.
Nach dem Vorlauf kommt der "Herzbrand" heraus, oder wie mein Freund sagt: "Der Guade" mit durchschnittlich 70 Prozent Alkoholgehalt. Dieser kommt in 10-Liter-Ballons, die er unten im Keller zwei Jahre lang lagert. Dort ist es bei durchgehend kühler Temperatur schön dunkel, dort reift er nach, wird milder. Mit dem "Nachlauf", der ein bisschen minderwertiger ist ("Du merkst auf der Zunge sofort, wenn Fuselstoffe drin sind, die nicht reingehören") macht er Ansätze: "Nuss, Zirberl. Auch sehr gut!"
Oben in seinem Arbeitsraum unter der Graupe macht er schließlich nach zwei, drei Jahren Lagerung aus dem Herzbrand "verschiedene Sachen. Da habe ich meine Füllanlage, wo ich filtere und mit Granderwasser auf 45 Prozent heruntermische. Das ist eine schöne Winterarbeit", sagt er. Auf den Etiketten steht der Alkoholgehalt seines Schnapses, und der muss passen. "Wenn du 47 Prozent drauf schreibst, und du hast nur 45 Prozent drin, dann hättest du schon wieder ein G’scher."
"Wichtig beim Mischen ist eine gleichbleibende Temperatur", sagt er. "Sonst wird er trüb. Der Schnaps muss aber, wenn du durchschaust, klar wie Bergkristall sein." Und das, überzeuge ich mich bei der Verkostung, ist er. Treibt ihn der Ehrgeiz?, frage ich. "In Wirklichkeit ist es mir wurscht", sagt er. "Aber wenn es was wird, dann freue ich mich." Insgesamt gilt: "Nach zwanzig Jahren Brennen lässt du jedes Jahr einen Fehler weg, und ein neuer kommt dazu." Das Schöne ist: "Beim Schnapsbrennen werden total andere Gehirnteile eingeschaltet, da sind so viele Emotionen dabei. Und du merkst sofort, ob du einen Fehler gemacht hast oder nicht."
"Wenn ich jetzt nachdenke, wie viele Stunden und Tage ich gekniet bin wegen der Zwetschken, und dann wird das nichts, dann bist du natürlich verweint. Aber wenn es was wird - klass!" Dann freut er sich darauf, mit seinen Freunden um einen Tisch zu sitzen und ein Flascherl aufzumachen, und vielleicht ein zweites auch noch.
"Heulendes Elend"
Genau das tun wir jetzt auch. Wir fangen mit seinem Obstler an und arbeiten uns über die Birne zur Zwetschke zum Kriacherl zur Nuss zum Zirberl und wieder zurück, Prost! Dabei blättern wir in den Aufzeichnungen seines Großvaters, der ein gelehrter Herr war und auf 156 Seiten, abgeheftet in einem Bene-Ordner, alles Wissenswerte zum Thema aufgeschrieben hat.
Laut dessen Aufzeichnungen leitet sich das Wort "Schnaps" von "Schnappen" ab, also einer Menge, die man "auf einmal mit dem Mund schnappen kann". Später ging die Bezeichnung als Substantivum auf den Stoff selbst über, in alten niederdeutschen Dialekten bedeutete "Snapps" (auch "Snappa" oder "Snips") "ein Schluck Branntwein". Aus dem Niederdeutschen fand das Wort schließlich als "Schnaps" seinen Weg ins Hochdeutsche.
Auch lesen wir in dieser Sammlung eine "längst vergessene Moritat": "Herr Klink war sonst ein braver Mann, von Stand ein Stadtsoldate; Nur schade, dass er dann und wann, ein wenig schnapsen thate. Und dass er dann in seinem Zurn die arme Anne schlug. Wenn sie nicht gleich, wie er befahl, ihm Schnaps entgegentrug."
Schon früh kannte man auch den Zustand unerklärlichen Traurigseins infolge zu starken Schnapskonsums, man nannte diesen "heulendes Elend". So weit sind wir dann noch lange nicht, als wir uns eine weitere Birne einschenken, und wir werden es gewiss nicht so weit treiben wie jener Herr aus Vorarlberg, auf dessen Grabstein in Feldkirch seit 1869 steht: "Hier ruht Franz Joseph Matt, der sich zu Tod gesoffen hat, Herr, gib ihm die ewige Ruh’, und ein Gläsle Schnaps
dazu."
Ist es aber dann doch einmal so weit, können wir immer noch Folgendes verfügen: "Wenn einst der alte Knochenhauer mit unserm Leben punktum macht, so werde mir statt aller Trauer ein Gläschen Schnaps ans Grab gebracht. Dies nehm ich als viaticum hinüber ins Elysium." Wenn es dort so schön ist wie auf der Streuobstwiese meines Freundes, dann - Prost!
Manfred Rebhandl, geb. 1966 im oberösterreichischen Roßleithen, lebt in Wien. Er schreibt Krimis um den Superschnüffler Rock Rockenschaub, die am Wiener Brunnenmarkt spielen, und Reportagen für Zeitungen.