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"Ein Start-up für den Frieden"

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik
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Dialog statt Kriegsrhetorik: Edry betreibt vom Wohnzimmer aus seine Friedensinitiative.
© Hackl

Gründer Ronny Edry mobilisiert gegen das stereotypische Feindschaftsbild.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Tel Aviv. Der Israeli Ronny Edry liebt Menschen im Iran. Und sie lieben ihn zurück. Mit einem auf Facebook gestellten Poster hat der Grafikdesigner letztes Jahr eine kleine Friedensrevolution im Internet ausgelöst, während sich Politiker Kriegsdrohungen entgegen warfen. Auf dem Poster war Edry mit seiner Tochter im Arm zu sehen. In der Hand eine israelische Flagge. Darunter der Schriftzug, "Iraner, wir werden euer Land nicht bombardieren. Wir lieben euch." Heute hängen seiner "Friedensfabrik" mehr als hunderttausend Menschen an. Das zumindest im Netz. In seiner Wohnung in Tel Aviv gibt der 42-Jährige sein persönliches Fazit über Friedensaktivismus im Internet und den Konflikt zwischen Israel und dem Iran.

"Wiener Zeitung": Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihr Internet-Projekt "Israel Loves Iran" zu starten?Ronny Edry: Was ich heute mache, hat mich gefunden und nicht umgekehrt. Alles hat mit diesem einen Poster von mir begonnen. Die Leute haben es dann online verbreitet und plötzlich selbst Poster erstellt. Sofort haben Menschen aus dem Iran darauf reagiert. Da wurde mir klar, dass ich einen Nerv getroffen habe. Denn bei all der Kriegshetze kann man in Israel nicht mit Iranern sprechen. Umgekehrt genauso wenig. In iranischen Reispässen steht etwa, dass sie in Israel ungültig sind. Man kann von hier aus auch niemanden im Iran anrufen. Übers Internet ist das alles kein Problem.

Wo steht Ihre Online-Gemeinschaft heute, was haben Sie damit erreicht?

Nachdem die Reaktionen auf mein erstes Poster so stark waren, musste ich mich entscheiden, was ich mit diesem Moment anfangen will. Mittlerweile hat sich eine weltweite Friedensgemeinschaft daraus entwickelt. Dabei geht es nicht mehr nur um Israel und den Iran. Es gibt Gruppen in Pakistan, Bulgarien und natürlich auch eine zu Palästina. Ich bekomme Anfragen aus Deutschland, Frankreich und den USA. Es sind Leute, die sagen: "Ich will bei diesem Prozess dabei sein." Es sind Leute, die jeden Tag Nahost-Nachrichten lesen und es einfach satt haben. Wir geben den Leuten die Möglichkeit, eine starke Message zu übermitteln. Und das geht ganz einfach. Sie schicken mir ihr Foto, ich mache daraus ein Poster. Kurz gesagt: Wir sind Teil einer globalen Bewegung geworden.

Jetzt könnte man sagen, das spielt sich alles nur im Internet ab. Wie wirkt sich das auf die reale Welt aus?

Die Frage ist, was ist der Unterschied zwischen der Kommunikation auf Facebook und der sogenannten realen Welt? Für eine reale menschliche Verbindung braucht man keinen Händedruck. Wichtig sind Emotionen - und mit denen arbeiten wir. Zu Hause vorm Fernseher hocken ist bestimmt nicht realer als jene Kontakte, die übers Netz entstehen. Wir sprechen von realen sozialen Medien, von einer durch Menschen getragenen Realität. Für mich ist das ganz einfach die Möglichkeit, plötzlich mit Menschen aus dem Iran sprechen zu können. Ich habe ich die Möglichkeit, meine Ideen auf Facebook zu verbreiten, ohne auch nur irgendjemanden Fragen zu müssen. Unsere Bewegung hat das Saatgut gestreut, durch das so etwas wie Freundschaft entstehen konnte. Wir haben Millionen Menschen erreicht, so viel steht fest.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit dem israelisch-iranischen Konflikt umgehen?

Eine echte Demokratie entsteht, wenn man den Menschen zuhört. Aber unsere Politiker haben ihre eigene Agenda. (Israels Ministerpräsident) Netanyahu ist nicht dumm. Und er weiß, wie er aus Angst und Krieg Gewinn schlagen kann. Das ist ein politisches Werkzeug, um den Chefsessel zu halten. Und jetzt wurde er ja wieder gewählt. Ich glaube jedoch nicht, dass es zu einem Krieg zwischen Israel und dem Iran kommen wird. Hier denken wir, (Irans Präsident) Ahmadinedschad ist verrückt. Aber er ist auch ein Politiker, der ein Morgen sehen will. Die Angstmache auf beiden Seiten ist politische Rhetorik. Was würde er auch erreichen, indem er Israel angreift? In Israel sitzt uns auch eine sehr tiefe Angst im Nacken. Die Angst, so etwas wie den Holocaust noch einmal zu erleben.

Es gibt auch eine "Israel liebt Palästina"-Seite auf Facebook. Was ist hierbei die Kernaussage?

Israel-loves-Palestine und Palestine-loves-Israel sind die zweitwichtigsten Seiten nach der Iran-Initiative. Immerhin steht uns Israelis das Palästinenserthema viel näher. Es ist eigentlich viel wichtiger. Den Konflikt mit den Palästinensern zu lösen würde viel Spannung im gesamten Nahen Osten abbauen. Die Palästinenser werden heute von allen Seiten missbraucht. Auch der Iran instrumentalisiert sie für seine eigene Agenda. Wenn er den Menschen in Palästina wirklich helfen wollte, würde er sich am Aufbau beteiligen, anstatt der Hamas Waffen zu liefern.

Wie verorten Sie Ihre Online-Bewegung global gesehen, auch im Hinblick auf andere zivile Widerstandsbewegungen?

Mittlerweile gibt es ja eine globale Bewegung, die Politik neu definiert, egal ob "Occupy Wall Street" oder Proteste in Spanien, wo ich vor kurzem war. Dort, wie an vielen anderen Orten, arbeiten Leute daran, über soziale Medien die Stimmen Einzelner an die große Masse zu bringen. Sogar die Internetgemeinschaft Couch-Surfing, über die man weltweit gratis bei Leuten übernachten kann, ist Teil dieser Bewegung. Das sind Leute, die sagen: Wir machen es auf unsere Art, ohne Hotel, ohne viel Geld. Carsharing wird immer größer, genauso das Teilen von Wohnungen. Die Menschen wachsen über die Grenzen von Wirtschaft und Politik hinweg aus eigener Initiative immer mehr zusammen. Gemeinsam mit dem Internet markiert das eine neue Ära der Befreiung. Die wahre Macht liegt immer noch bei anderen. Aber Wandel braucht Zeit.

Waren auch die israelischen Massenproteste für soziale Gerechtigkeit von 2011 Teil dieses Wandels?

Als diese Proteste in Israel begonnen hatten, habe ich den Leuten gesagt, dass wir eine Partei gründen müssen, anstatt bestehenden Parteien beizutreten. Es ging um die Möglichkeit, für deine eigenen Ideen stimmen zu können. Aber diese Stimmen sind verloren gegangen. Viele Parteien wollten die Aktivisten der Sozialproteste für sich gewinnen. Manche mit Erfolg. Dabei waren alle bestehenden Parteien Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Doch die Bewegung selbst hatte stark mit Selbstbefreiung zu tun.

Was wollen Sie in Zukunft aus Ihrem Friedensimperium im Internet machen?

Unsere größte Seite auf Facebook, Israel-loves-Iran, hat jetzt mehr als 109.500 Likes. Bei gezielten Kampagnen erreichen wir um die zwei Millionen Menschen pro Woche. Jetzt arbeiten wir daran, auch offline einen Ort in Israel zu schaffen, an dem sich Leute zum Ideenaustausch und zur Projektplanung treffen können. Eine echte Friedensfabrik sozusagen. Ein Start-up für den Frieden. Das wäre ein neuer Anfang. Es geht um einen für alle zugänglicheren Nahen Osten.

Zur Person

Ronny Edry ist Grafikdesigner und Betreiber der Peace-Factory, dem Sprungbrett für seine Online-Initiativen. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern in Tel Aviv, wo er an der von ihm gegründeten Grafikschule Pushpin unterrichtet.Aufgewachsen ist der heute 42-Jährige in Paris; seit 1989 lebt er in Israel.