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Ein Stück in Richtung demokratische Normalität

Von Lisa Rettl

Gastkommentare

Die gute Nachricht: Die Republik hat sich durchgerungen, ein Gesetz zu beschließen, wonach alle Urteile, die zwischen 1938 und 1945 von Stand- und Sondergerichten, vom Volksgerichtshof und von "Erbgesundheitsgerichten" gefällt wurden, pauschal aufzuheben sind. Delikte wie Fahnenflucht und Kriegsverrat werden nun per Gesetz explizit als Akte des Widerstandes definiert. Deserteuren und anderen Opfern der NS-Unrechtsjustiz spricht die Republik Österreich offiziell ihre Achtung aus.


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Damit sind also Deserteure, Wehrdienstverweigerer, Selbstverstümmler, kärntner-slowenische Partisanen und die Opfer von Zwangssterilisationen offiziell rehabilitiert. Ohne Zweifel: ein großer Schritt, eine späte Genugtuung für die wenigen noch lebenden Opfer der NS-Justiz.

Die schlechte Nachricht: Das Gesetz kommt 64 Jahre nach Kriegsende. De facto haben diese Opfer also nicht nur den NS-Terror überlebt, sondern auch die jahrzehntelange Marginalisierungspolitik der Zweiten Republik, die auf der gelebten Ebene der Dorfgemeinschaften veritable Ausgrenzungs- und Diffamierungserfahrungen mit sich brachte. Im lokalen Machtgefüge der Kameradschaftsverbände, der einstigen Pflichterfüller und entnazifizierten Nazis, die ihre Plätze wieder in der ersten Reihe eingenommen hatten, blieb wenig Platz für die Geschichten der Opfer - der Makel von "Asozialität", "Heimatverrat" und "Kameradenmord" blieb.

Das neue Gesetz beendet de jure also auch eine jahrzehntelang andauernde, unausgesprochene Komplizenschaft der Republik mit der Rechtssprechung der NS-Diktatur. Es wäre aber nicht Österreich, wenn es konsensual beschlossen worden wäre und seine Entstehung einem inneren, demokratiepolitischen Hygienebedürfnis der Republik entsprochen hätte. Die Kommentare aus dem rechten und teils konservativen Lager zeigen, dass das Gesetz in seiner Diktion tatsächlich weiter ist als der reale Ist-Zustand des historisch-politischen Bewusstseins.

Trotzdem: Geht alles gut, wird dieses Gesetz - in Gang gesetzt durch die Impulse der Ausstellung "Was damals Recht war" und die jahrelange Arbeit des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militär-justiz" - mit 1. Dezember 2009 in Kraft treten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an eine Feststellung der Kärntner Slowenen aus dem Jahr 1955, als sie den Staatsvertrag und den darin enthaltenen Artikel 7 in einem Memorandum begrüßten, darin jedoch festhielten, dass "es der Geist und nicht der Buchstabe ist, der einem Vertrag Leben verleiht. Der Wortlaut bleibt ein toter Buchstabe (.. .), wenn ihm der richtige Geist fehlt".

Und hier steht dem Land die schwierigste Aufgabe noch bevor: dem Gesetz nachdrücklich Leben einzuhauchen.

Lisa Rettl ist freiberufliche Ausstellungskuratorin und Historikerin mit dem Schwerpunkt österreichische Erinnerungskultur in Wien. Mehr zu ihrem aktuellen Projekt: www.wildeminze.at.