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Drei Jahre nach der Revolution foltert Ägyptens Polizei noch immer.
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Kairo. Nicht zuletzt die exzessive Gewaltanwendung durch Polizei und Staatssicherheit lieferte einen der Gründe für die Revolution in Ägypten im Jänner 2011. Drei Jahre danach zeigen die stets neuen Fälle, dass dieses Folter-System nach wie vor etabliert ist. Die "Wiener Zeitung" analysierte mit Suzan Fayad die Situation. Sie ist Mitbegründerin des Nadeem-Zentrums, das sich seit 1993 um Opfer von Folterungen kümmert. Das Zentrum bietet Rechtsbeistand sowie medizinische und psychologische Betreuung für Folteropfer.
Dezember 2013: Die 21-jährige Medizinstudentin Jehad Safwat wird in der Polizeistation Azbakia zwei Wochen lang Jungfräulichkeits- und Schwangerschaftstests unterzogen.
24. März 2014:Der 19-jährige Omar el-Shouekh wird in einer Polizeistation in Kairo vergewaltigt, verprügelt und Elektroschocks ausgesetzt.
Suzan Fayad : "Das ist eine Art Bestrafung. Natürlich müssen sie nicht wissen, ob man Jungfrau ist oder nicht. Sie inspizieren jeden Körperteil des Mädchens, manchmal passiert das gleichzeitig mit sexueller Belästigung. Das passiert Männern und Frauen, aber meistens Frauen. Manchmal sogar im Hof der Polizeistation."
17. August 2013: 37 Gefangene sterben in einem Gefängnistransporter vor dem Gefängnis Abu Zaabal. Sie randalieren, weil sie stundenlang ohne Ventilation in sengender Sonne im Transporter ausharren müssen. Die Polizei feuert Tränengas auf die Randalierer im Transporter, schließt die Türen und 37 der 45 Insassen ersticken.
Fayad: "Es ist systematisiert, sie zielen darauf ab, die Menschen zu verletzten, sie haben keine Angst davor, dass sie sterben könnten, sie sagen: ,Wir haben berechtigte Gründe dafür.‘."
Jänner/Feburar 2014: Der 30-jährige Ingenieur Khaled al-Sayed wird im Gefängnis Abu Zabaal verprügelt, mit kaltem Wasser übergossen und muss am Betonboden schlafen.

"Normalerweise wird man verhaftet und von dem Zeitpunkt, an dem man Handschellen angelegt bekommt, ist es vorbei. Man leistet keinen Widerstand und es gibt keine Gefahr. In Ägypten ist das nicht so", sagt Fayad.
Für die Menschen, die zu ihr kommen, spielt die Rechtshilfe schon eine große Rolle in der Behandlung, da das Opfer damit das Gefühl bekommt, dass etwas getan wird gegen das Unrecht das ihm wiederfahren ist. Laut Fayad ist Folter in Ägyptens Polizeistationen und Gefängnissen die Regel. Auch wenn ein Insasse behaupte, nicht direkt gefoltert worden zu sein, um Informationen aus ihm heraus zu bekommen, so wäre er auf jeden Fall extremer Gewaltanwendung durch die Polizei ausgesetzt gewesen, meint die Psychiaterin. Das heißt Schläge, Entzug von Frischluft, Sonnenlicht und sauberem Wasser. Des weiteren werden dutzende Insassen auf engstem Raum zusammengepfercht.
Laut Amnesty International definiert die Antifolterkonvention von 1984 Folter als jede Handlung "durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr (...) eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr (...) begangene Tat zu bestrafen oder um sie (...) einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund."
Kriminelle Schläger im Dienst der Polizei
Für Suzan Fayad fallen aber auch die oben genannten unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen unter Folter. Das systematische Quälen der Menschen ist aber längst nicht auf das Gefängnis beschränkt. Prügel und Beschimpfungen hagelt es meist schon bei der Verhaftung, wobei die Polizei diese Drecksarbeit den "El Muataneen el Shurafa‘" überlässt. Übersetzt heißt das "die ehrbaren Leute". Das sind meistens ehemalige Kriminelle, die in zivil gekleidet den Polizisten bei solchen Aufgaben helfen und auf Demonstranten oder andere Verdächtige losgelassen werden. Bezahlt werden sie mit den Besitztümern der Verhafteten. Das können Handys bis hin zu Bargeld und Goldschmuck sein. Laut Fayad wurde kurz nach der Revolution 2011 bewiesen, dass rund 400.000 solcher Kriminelle für die Polizei arbeiten.
Seit dem Sturz des Präsidenten der islamistischen Muslimbruderschaft Mohamed Mursi am 3. Juli 2013 macht die ägyptische Regierung Jagd auf politische Aktivisten. In erster Linie Anhänger des gestürzten Präsidenten und der Muslimbruderschaft, aber zunehmend auch auf liberale Aktivisten. Ein wichtiges Instrument dafür ist ein neues Demonstrationsgesetz, das im November 2013 in Kraft getreten ist. Proteste mit mehr als zehn Personen müssen drei Tage im Voraus angemeldet werden und können aus nebulösen Gründen von den Autoritäten jederzeit abgesagt werden. Die Polizei kann Proteste beim geringsten Anlass mit Gewalt auflösen und Demonstranten drohen bei vagen Tatbeständen schwere Gefängnisstrafen.
Ein in Ägypten sehr bekannter liberaler Aktivist, Alaa Abd El Fattah, wurde gerade zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er im November gegen das Demonstrationsgesetz verstoßen hatte. Am 21. Juni fand ebenfalls eine Demo gegen das Gesetz statt, wobei laut Medienberichten 24 Menschen festgenommen wurden. Weil das Gesetz verfassungswidrig ist, wurde von zwei ägyptischen NGOs, die sich im Rechtsbereich engagieren, zwar gerade eine Klage durchgesetzt. Dennoch gehen die Gefängnisse Ägyptens im Moment über vor politischen Gefangenen. Laut dem Internetportal "Wiki Thawra", das Statistiken über Verletzte, Getötete und Gefangene seit der Revolution 2011 erstellt, wurden seit dem Sturz Mursis rund 41.160 Menschen verhaftet. Dadurch bekommt die Folter eine neue Dimension. "Die Plätze in den Gefängnissen sind sehr begrenzt und die Einrichtungen sind nicht ausreichend ausgestattet um diese Anzahl an Demonstranten handhaben zu können", erklärt Fayad.
Februar 2014: Dem 30-jährigen Ingenieur Khaled al-Sayed werden die Hände auf dem Rücken gefesselt. Er wird gegen eine Säule in der Zelle geschleudert. Aber er wird wütend und setzt sich zur Wehr.
"Der Polizist verprügelte mich. Ich sagte ihm, dass er krank im Kopf ist und mit Tieren so umgehen kann aber nicht mit Menschen. Die Prügel wurden natürlich stärker. Ich wurde wütend auf sie und sagte, dass sie sadistisch sind und dass ich, wenn ich frei bin, ihnen Schlimmeres antun werde. Dann warfen sie mich auf den Boden und traten mich in Rücken und Kopf ungefähr 15 oder 25 Minuten lang," berichtet Khaled al-Sayed von seinen Erlebnissen im Gefängnis Abu Zaabal. Khaled al-Sayed ist seit vielen Jahren politischer Aktivist. Verhaftet zu werden ist für ihn nichts neues. 12 Mal hat er das bereits erlebt. Nach einigen Stunden wurde er aber immer wieder frei gelassen. Auch als er am 25. Jänner dieses Jahres mit Freunden zu Demonstrationen ging, hat er damit gerechnet. Aber, dass die Sicherheitskräfte so brutal gegen Demonstranten vorgingen, hat ihn doch ziemlich überrascht. Laut Angaben des Gesundheitsministeriums wurden an dem Tag mindestens 50 Menschen getötet, über 1000 wurden laut Innenministerium verhaftet. Khaled al-Sayed war auch darunter.
Nach einigen Tagen in zwei verschiedenen Polizeistationen in Kairo wurde er in das berüchtigte Gefängnis Abu Zaabal verlegt. Es ist eines der schlimmsten wenn es um Folter an Gefangenen geht. Die Tortur beginnt schon am Eingang. Eine Tradition in ägyptischen Gefängnissen ist es den Neuankömmlingen eine "Empfangsparty" zu bereiten. "Vor dem Gefängnis sind wir ungefähr zwei Stunden in den Transportern geblieben, die ganze Zeit standen draußen Soldaten und Polizisten mit Schlagstöcken für die Empfangsparty. Wir stiegen alle aus den Autos aus und jeder wurde von den Polizisten schrecklich verprügelt, mit Stöcken, mit Händen und Füßen, einfach mit allem", berichtet Khaled al-Sayed.
Prügel-Empfang und verdorbenes Essen
Mit Prügel geht es weiter im Inneren der Haftanstalt, am Ankunftstag und an den Tagen danach. Einmal am Tag gibt es verdorbenes Essen, auch das Wasser ist ungenießbar und verursacht Vergiftungen. Khaled al-Sayed lässt sich das alles aber nicht gefallen und beschwert sich während seines Aufenthalts dort immer wieder. Seine Frau Hoda startet eine große Kampagne und informiert die Öffentlichkeit über die skandalöse Behandlung ihres Mannes. Der wird dann ins Tora-Gefängnis verlegt und kommt Anfang März nach insgesamt 42 Tagen schließlich ganz frei.
In der Abteilung für Gefängnisverwaltung im Innenministerium will man von all dem nichts hören. In einem informellen Gespräch mit Oberst Mohamed Elewa meint der zu den Foltervorwürfen lediglich: "Ein Gefängnis ist kein Ort für Ermittlungen. Also haben es die Beamten dort nicht notwendig zu foltern, um Informationen zu bekommen." Das ist auch schon die konkreteste Antwort, die man von dem Oberst erhält. Ganz im Gegenteil rühmt Mohamed Elewa sogar die hervorragenden Bedingungen in seinen Gefängnissen. Die Insassen würden rehabilitiert und könnten mit freiwilliger Arbeit im Gefängnis Geld verdienen. Auch die medizinische Versorgung sei exzellent. Die politischen Aktivisten, die im Moment einsitzen und mit öffentlichen Beschwerden Aufmerksamkeit erregen, seien wegen Kleinigkeiten unzufrieden.
Viele Folteropfer haben Angst davor, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen, weil sie Rache befürchten. Khaled al-Sayed versteht diese Haltung, aber er wird immer laut aussprechen, was ihm passiert ist. "Man muss dieses unterdrückerische System anprangern. Immerhin war es ein sehr wichtiger Grund für die Zündung der Revolution. Eines Tages müssen alle diese Leute für jedes Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden."