Eine Taskforce aus Sozialpartnern, Wissenschaft und Systemvertretern fordert per Manifest Gesundheitsreformen.
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Wien. Eigentlich sind es nur fünf Handlungsfelder, die harmlos klingend von "Kompetenz stärken" über "Qualität sichern" bis hin zu "Schnittstellen koordinieren" reichen. Eigentlich, denn es geht um das Thema Gesundheit und da birgt jede einzelne Forderung des "Manifests" der Taskforce aus Sozialpartnern, Wissenschafter und Systemvertretern Konfliktstoff: Schließlich geht es mit 35 Milliarden Euro um ein System, das viel Geld, mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, kostet. Es ist eines, das laut Manifest "durch die zersplitterte Kompetenzlage schwerfällig, komplex und überreguliert ist" und laut Gerald Bachinger, selbst Patientenanwalt in Niederösterreich und Sprecher der Patientenanwälte aller Bundesländer, "endlich patientenorientiert aufgestellt werden muss. Das kommt einem echten Kulturwandel gleich, den es dringend braucht."
Österreichs System ist krankenhauslastig
Warum sieht Gerald Bachinger die Lage so dramatisch? "Weil bei uns immer noch das rückwärtsgewandte Credo ,Ohne Ärzte geht es nicht‘ vorherrscht", sagt der Patientenanwalt. "Im 21. Jahrhundert muss es vielmehr heißen: No Nurse, no Future!"
Zwar würden von 1000 Erkrankten laut sozialmedizinischer Faustregel 900 ihr medizinisches Problem selbst lösen, 90 bräuchten maximal eine Primärversorgung, neun einen Facharzt und nur ein Patient einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus. Anders in Österreich: Hier suchen von 1000 Personen ein Drittel einen Allgemeinmediziner, ein weiteres Drittel einen Facharzt oder eine Krankenhausambulanz auf. Und 37 Patienten werden während eines stationären Krankenhausaufenthaltes behandelt.
Das hat mehrere Gründe: Einer ist, dass der Blick auf "gesundheitsmündige Bürger" fehlt, sagt Bachinger. "Es gibt nach wie vor zu wenig Anreize und zweckgebundene Mittel für Gesundheitsprävention und Hilfe zur Selbsthilfe." So bliebe den Patienten oft nur der Weg zum Arzt oder ins noch teurere Spital.
Gemeindegesundheitszentren als Erfolgssystem
Bachinger plädiert im Sinne der Patienten für mehr Primärversorgung, die die Laien bei der Selbsthilfe unterstützt. Am Beispiel von Diabetes zeigt der Patientenanwalt auf, dass Patienten mit dieser chronischen Erkrankung in 99,08 Prozent ihrer Zeit alleine auf sich gestellt damit zurechtkommen. Nur 0,02 Prozent ihrer Zeit verbringen Diabetiker unter ärztlicher Aufsicht.
Pilotprojekte wie jenes eines Primärversorgungszentrums in Enns beweisen, dass es für Diabetes- und Wundmanagement nicht unbedingt Ärzte benötigt, sondern solche Leistungen auch von Pflegepersonen selbständig erledigt werden können. Mit 50 bis 80 Prozent der weltweiten Gesundheitsausgaben betreffen mittlerweile chronische Krankheiten, heißt es auch im Manifest der Taskforce. "Trotzdem konzentriert sich der Blick im Gesundheitswesen immer auf die Ärzte, nicht auf den Bereich, der solche Patienten am meisten unterstützen könnte: die Krankenpflege."
Nordische Länder oder auch Großbritannien zeigen vor, dass durch ein gut ausgebautes, niederschwelliges Community-Nurse-System nicht nur Arzt- und Krankenhausbesuche seltener sind und bei den Kosten gespart werden kann. "Es ist auch der maximale Nutzen für Patienten ein höherer", sagt Bachinger. Mit Gesundheitszentren, wo Vertreter verschiedener Berufsgruppen, von Sozialarbeitern, Kranken- und Langzeitpflegern über verschiedene Therapeuten bis hin zu Psychologen und Ärzten, zusammenarbeiten, finde der mündige Bürger die Unterstützung vor, die er jeweils braucht. "Wir müssen die interprofessionelle Zusammenarbeit stärken", folgert der Patientenanwalt.
Interessen von Ärzten sind nicht jene von Patienten
Das Interesse von Patienten, möglichst lange gesund zu bleiben und das möglichst gelindeste Mittel gegen die eigene Erkrankung zu erhalten, entspreche aber systembedingt nicht jenem von Ärzten. "Primärversorgungszentren sorgen für weniger Arztbesuche, das entlastet das klassische System sowohl personell als auch finanziell. Ärzte aber haben ein Interesse an einer möglichst hohen Frequenz an Arztbesuchen", sagt Bachinger, um nur ein Beispiel zu nennen.
Denn das Manifest birgt weit mehr Konfliktpotenzial für Reformen: Schließlich sind es 60 Akteure, die sich auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene die Kompetenzen im Gesundheitssystem und damit auch für Reformen teilen.