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Der französische Royalist und Moralist Antoine de Rivarol (1753-1801) war ein Meister der zugespitzten Aperçus. Als Revolutionsgegner emigrierte er nach Deutschland. Seine Schriften liegen in exzellenter Neuausgabe vor.
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Wer sich vor Unberechenbarkeiten fürchtet, sollte nicht auf Revolutionen setzen. Das führen soeben wieder die politischen Vorgänge in Ägypten und anderen südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers auf beklemmende Weise vor Augen. Zur Unberechenbarkeit zählt meist auch das Auftauchen von Führerfiguren, die den Umsturz als willkommene Gelegenheit nützen, sich der Massen manipulativ zu bemächtigen. Für diese Taktiker des Unbedingten zählt kein Zweifel. Als "schreckliche Vereinfacher" (Jacob Burckhardt) ist ihnen bedenkenlos jedes Mittel recht, wenn es ihrem Ziel dient. Eine Welt wird zerstört, eine andere an ihre Stelle gesetzt. Das allein ist für sie maßgebend.
Der Star-Causeur
Der französische Royalist und Moralist Antoine de Rivarol fürchtete sich vor solchen Unberechenbarkeiten, weshalb er früh zu einem leidenschaftlichen Gegner der Revolution von 1789 wurde. Von ihm kann man erfahren, wie es einem Zeitzeugen erging, der sich nicht an dem allgemeinen Aufstand der gedemütigten Massen gegen die alte Ordnung, gegen Thron und Altar, beteiligte, sondern mit dem Vorbehalt gegen eine geschichtsformende Teleologie weiterhin dem Ancien Régime anhing.
Indes, Rivarols Vorbehalt gegen den ihn überwältigenden Umsturz und die folgende Terrorpolitik entsprach auch seinem Eigennutz. Der am 20. Juni 1753 als ältestes von 16 Geschwistern im Languedoc geborene Meister der geistreichen Konversation und des zugespitzten Aperçus war als sozialer Aufsteiger aus dem Midi in Paris ein Günstling der höfischen Gesellschaft geworden.
In der renommierten Zeitschrift "Mercure de France", vor allem aber in den Salons der Hauptstadt hatte er seine satirischen Sottisen zum Besten gegeben und war rasch zum Star-Causeur avanciert. Als ebenso bewunderter wie gefürchteter Wortführer spitzzüngiger Sentenzen wurde er herumgereicht. Als beispielsweise Madame de Staël ihn einmal fragte: "Was denken Sie über mein Buch, Monsieur?", erwiderte er: "Ich mache es wie Sie, Madame, ich denke nicht."
Europaweit bekannt wurde Rivarol, als die Berliner Akademie 1784 die Rede des gerade 30-Jährigen über die Universalität der französischen Sprache mit dem ersten Preis auszeichnete - eine Berühmtheit, die er, auch posthum, nie mehr erreichte. Seine Übersetzung von Dantes "Göttlicher Komödie" ins Französische nahm Friedrich II. zudem zum Anlass, ihn als Mitglied in die Akademie aufzunehmen.
Die Französische Revolution hat Schockwellen über die Erde gesandt, welche die Menschheitsgeschichte veränderten. Dass diese Umwälzung angesichts der vorangegangenen Missstände und Ungerechtigkeiten unvermeidlich war, lässt sich nachträglich trefflich ausführen - eine Vielzahl der Zeitgenossen freilich wurde von ihr wie von einem Naturereignis überrollt. Aus der historischen Rückschau weiß man, wie schnell damals der allgemeine Volkswille in die Terreur umsprang. Wohin sich die Menschen wandten, erlebten sie Aufruhr, Hass, Verrat, blutige Gewalttaten, wie zahlreiche Zeugnisse von Pariser Bürgern überliefert haben.
Als Frankreichs Revolutionäre am 21. Jänner 1793 den Bourbonenkönig Ludwig XVI. auf die Guillotine führten, war Rivarol gewiss nicht der Einzige, der sein Taschentuch mit Tränen netzte. Zwar war der Monarchist zu diesem Zeitpunkt längst auf beschwerlichen Umwegen in die Emigration entwichen: Im Juni 1792 hatte er, ob seiner Äußerungen höchst gefährdet, sich eilends nach dem damals österreichischen Brüssel begeben, von wo aus er erst nach London und schließlich nach Hamburg gelangt war.
Aber er hatte vom Sommer 1789 bis zum Ende 1790 im "Journal politique national" den Verlauf der Revolution kommentiert und deren geistige Urheber aufs schärfste verurteilt: "Ich kann mir die Feststellung nicht ersparen, dass die Rousseaus, Helvétius’, Diderots, d’Alemberts und Voltaires zur richtigen Zeit gestorben sind. Als sie am Vorabend unserer Missgeschicke von uns gingen, genossen sie den Beifall des Jahrhunderts; sie brauchen die Revolution, die sie vorbereitet haben, nicht zu beklagen, sie müssen nicht über die Huldigungen des Konvents erröten. Wenn sie noch lebten, würden sie von den Opfern, die sie gelobt haben, verabscheut und von den Henkern, die sie vergötterten, massakriert."
Das Tier im Menschen
Gegen Rousseaus Appell, sich der ursprünglichen Freiheit des Naturwesens Mensch zu besinnen, suchte Rivarol das Geschichtswesen Mensch darzustellen und so die Unveränderbarkeit der gesellschaftlichen Bedingungen menschlichen Zusammenlebens zu erhärten: "Das ist tatsächlich der Mensch: Die Einfachheit seines Ursprungs verliert sich in der Majestät seiner Geschichte, die Schlichtheit seiner Grundstoffe in der Großartigkeit seiner Werke. Seine ursprünglichen Bedürfnisse und seine ersten Leidenschaften sind nichts im Vergleich zu den Bedürfnissen und Leidenschaften, aus denen er seitdem eine so offenkundige Notwendigkeit gemacht hat. Der Baum unterscheidet sich vom Samenkorn und das Tier vom Fötus nicht so sehr wie der gesellschaftliche vom primitiven Menschen: Das ist eine zweite Geburt, ein anderes Wachstum, das uns erwartet." Und er macht deutlich: "Beim Menschen ist die Kraft wirklich aus der Schwäche entstanden. Wir werden begrenzt geboren, doch unsere Grenzen sind versetzbar; die der Tiere sind unveränderlich."
Rivarol hatte sich vehement in die Debatte um das Tierische im Menschen und vice versa eingemischt, die seine Zeitgenossen umtrieb: "Viele Philosophen behaupteten, wenn das Tier wie wir geschaffen und der Mensch wie das Tier geschaffen wäre, würden wir Tiere und die Tiere Menschen sein. Wenn unsere Arme und Beine, sagt Helvétius, in Hufen endeten und wenn die Pferde Hände hätten, würden wir über die Felder galoppieren und die Pferde würden Städte bauen und Bücher und Gesetze schaffen."
Bis hin zu Maurice Maeterlinck und dessen denkenden Pferden reichte diese Spekulation, der Rivarol mit Blick auf die Revolution mit nachdrücklicher Ablehnung begegnete: "Wenn solche Revolutionen die Vernunft bekümmern, das Recht verletzen und die Menschheit verzweifeln lassen, was wäre dann erst der Umsturz, den sich diese Philosophen vorstellen? Der Abstand zwischen Grobheit und Erziehung, Unwissenheit und Genie ist nichts im Vergleich zu dem, der Mensch und Tier trennt. Das Ärgernis der politischen Revolutionen ist vorübergehend; . . . Hier aber wäre die Unordnung nicht wieder auszugleichen: Nicht mehr die menschlichen Vereinbarungen, sondern die Gesetze der Natur wären auf den Kopf gestellt, und man könnte weder an die Vernunft noch an die Nachwelt appellieren."
Die ganze Verachtung des Revolutionsgegners Rivarol gehörte den geistigen Urhebern des Umsturzes: "Wenn die alten Philosophen nach dem höchsten Gut suchten, so haben die neuen nur nach der höchsten Macht gesucht." Denn: "Sie nahmen an, in dieser Revolution könne man alles entstellen, ohne etwas zu zerstören, oder alles gefahrlos zerstören und die Menschheit aufs Spiel setzen, ohne ein Verbrechen zu begehen."
Dass diese Intellektuellen zudem eine Menge Mitläufer wie einen Kometenschweif nach sich zogen, widerte ihn über die Maßen an: "Von einer Menge anderer Philosophen möchte ich gar nicht reden, von Leuten, die bei diesen Themen wenig Ansehen genießen, abenteuerliche Geister, die die Natur nicht behandeln mit dieser von Ehrerbietung verstärkten Inbrunst, sondern als indiskrete Männer, die nur Neuheit, Mode und Aufsehen suchen und den Gegenstand ihrer Verehrung allzu oft entehren."
Wie alle eingefleischten Konservativen glaubte Rivarol an die Unveränderlichkeit des Menschenbilds - und wie Hobbes an den Kampf aller gegen alle: "Die Welt ist ein großes Festmahl, zu dem die Natur alle Lebewesen einlädt, unter der Bedingung, dass sich die Tischgenossen gegenseitig auffressen: De morte vita datur."
Als subjektiver Beobachter der Revolution ist Rivarol ein geist- und überraschungsreicher Zeuge. Als objektiver Analytiker von deren Ursachen erweist er sich als vorsätzlich blind: Die soziale Wirklichkeit, die ihn umgab, kannte er vom Wegsehen. "Die Menschen essen Gras wie die Schafe und kommen um wie die Fliegen", hatte der Bischof von Chartres auf die Frage des Königs nach dem Zustand seines Reichs geantwortet. Für den Aufsteiger Rivarol war die Not-wendende Abwehr absolutistischer Willkürherrschaft nur der Aufruhr des Pöbels.
In Frankreich gelten seine Gedanken und Einsprüche vielfach noch immer als anstößig. Dabei sind sie vor allem anstoßgebend für ein dialektisches Denken einer Aufklärung, die auf Erfahrung gründete: "Die zivilisiertesten Nationen sind der Barbarei so nah wie das geschliffene Eisen dem Rost. Nationen wie Metalle glänzen nur an der Oberfläche." Edmund Burke, der englische Bruder Rivarols im umsturzkritischen Geist, nannte ihn "den Tacitus der Revolution".
Scharfes Sittenbild
Dieses Urteil lässt sich nun im Deutschen dank eines voluminösen Auswahlbands von Rivarols Schriften, die der Übersetzer Ulrich Kunzmann herausgegeben hat, glänzend überprüfen. Die Ausgabe übertrifft alles, was gegenwärtig in Frankreich von Rivarol erhältlich ist. Was der Schweizer Essayist Max Rychner 1956, anlässlich einer von Ernst Jünger herausgegebenen Rivarol-Werkauswahl schrieb, könnte endlich wahr werden: "Nun tritt dieser französische Klassiker, nach wenig beachtetem Beginn, seinen deutschen Weg an, unter Auspizien, wie sie kaum günstiger gedacht werden könnten!"
Die französischen Moralisten waren weniger moralische Wachhabende als vielmehr ebenso scharfäugige wie scharfzüngige Schilderer der Sitten. Und manche, wie Rivarol, waren auch überzeitlich nützliche Beobachter: "Man muss scharf unterscheiden zwischen der arithmetischen und der politischen Mehrheit im Staat."
Im Hamburger Exil hatte Rivarol mit dem Schweizer Verleger Fauche aus Neuchâtel einen Vertrag über ein neues französisches Wörterbuch abgeschlossen: "In den Wörterbüchern gibt es abgebrauchte Wörter, die auf den großen Schriftsteller warten, der ihnen ihre Energie zurückerstattet." Aus dem Vorhaben wurde wenig, der säumige Autor zerstritt sich mit dem Verleger.
Rivarol starb am 13. April 1801 im Alter von nur 47 Jahren in Berlin, in sozial so kümmerlichen Verhältnissen, wie sie nur Exilanten in der trügerischen Hoffnung auf Besserung erdulden können. Tatsächlich hätte Rivarol wenig später in Ehren heimkehren können: Napoleon hatte als Masseverwalter der Revolution seinen geflüchteten Landsleuten ein großzügiges Rückkehr-Angebot unterbreitet.
Antoine de Rivarol: "Vom Menschen." Gedanken und Maximen, Porträts und Bonmots. Hrsg. u. Übersetzer Ulrich Kunzmann. Nachwort v. Johannes Willms. Matthes & Seitz, Berlin 2012, 500 Seiten, 41,- Euro.Oliver vom Hove, in Großbritannien geboren, aufgewachsen in der Schweiz und in Tirol. Lebt als Dramaturg, Literaturwissenschafter und Publizist in Wien.