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Ein Tag der Dankbarkeit

Von Veronika Eschbacher

Politik

Der Präsident Kasachstans lässt sich am Sonntag in einer Scheinwahl wiederwählen.


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Astana/Wien. Festlich geschmückt war die kasachische Völkerversammlung, als Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew diese Woche vor Vertretern der 130 Ethnien des Vielvölkerstaates sprach. Es sei gerecht, wenn es fortan einen Tag der Dankbarkeit gebe im flächenmäßig neuntgrößten Land der Erde. Gegenseitiger Dank der Nationalitäten solle mit einem derartigen Feiertag ausgedrückt werden, vor allem aber Dank gegenüber den ethnischen Kasachen, die während der Deportationswellen unter Stalin Deutsche, Nordkaukasier, Polen, Ukrainer und Koreaner aus dem Fernen Osten Russlands aufgenommen hätten "wie eigene Verwandte". Viel Zeit nahm sich der 74-Jährige, um die Eintracht der Völker zu beschwören. Auf die am Sonntag anstehende Präsidentschaftswahl kam Nasarbajew erst 50 Minuten nach Beginn seiner Rede zu sprechen. Er sei mit der um ein Jahr vorgezogenen Wahl dem Ruf der Gesellschaft gefolgt. Und: Es mögen doch so viele wie möglich an der Wahl teilnehmen, denn je mehr das tun, desto größer sei der Respekt für das Land.

Schwere Wirtschaftskrise

Wirklichen Respekt wird die Scheinwahl international kaum auslösen. Und wahlkämpfen im klassischen Sinne musste Nasarbajew angesichts fehlender Konkurrenz auch nicht. Gegenkandidat Turgun Syzdykow von den Kommunisten kritisiert westliche Werte und fordert ein Verbot von Fast Food. Und der parteilose Abelgazy Kussainow, wirbt für Umweltschutz und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz. Alles Randthemen im ressourcenreichen Kasachstan.

Beobachtern zufolge liegt der wahre Grund der vorgezogenen Wahl vielmehr darin, dass sich der Präsident angesichts der schweren Wirtschaftskrise rasch im Amt bestätigen lassen will, bevor er zu unpopulären Maßnahmen greifen muss. Der niedrige Ölpreis (mehr als 80 Prozent der Ausfuhren sind Erdöl und Erdgas) hat ein Loch in die Staatskasse gerissen. Eine Schwemme an billigen, russischen Waren, die seit der Zollunion mit Russland nach Kasachstan kommen, setzt der heimischen Wirtschaft zu. Der niedrige russische Rubel wiederum verteuert kasachische Exporte an den wichtigen Handelspartner. Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent erwartet - nach 4,3 Prozent 2014.

Erste Rohstoffkonzerne kündigten bereits Entlassungen an. Nasarbajew versucht mit einem Investitionsprogramm, gespeist aus den 100-Milliarden-Dollar-Reserven des Landes, gegenzusteuern. Plan ist weiterhin, bis 2050 zu den 30 stärksten Industrienationen der Welt zu gehören. Damit soll auch das bisher Erreichte abgesichert werden. Im zentralasiatischen Vergleich ist der 17-Millionen-Einwohnerstaat das mit Abstand wohlhabendste Land.

Furcht vor Neuem

Für die bisherigen wirtschaftlichen Errungenschaften wird Nasarbajew von vielem im Land geachtet. Dem Präsidenten gebühre Dank für die Stabilität, ist häufig zu hören. Manche witzeln, viele Kasachen würden sich wohl wünschen, der Präsident sei unsterblich. Alles Neue bedeute ein Risiko. Alternativen zu Nasarbajew sind aber ohnehin nicht in Sicht.

Mit der Angst vor Neuem wird aber auch gespielt. Furcht vor einem Szenario wie in der Ukraine und vor extremistischen Gruppierungen wird Beobachtern zufolge gerne von den Behörden selbst bewusst geschürt. So könnten die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zunehmend eingeschränkt werden. Der UN-Sonderberichterstatter für Versammlungsfreiheit erklärte nach einem Kasachstan-Besuch, der Raum, abweichende Ansichten auszudrücken, sei "sehr begrenzt".

Der Präsident, unter dessen Amtszeiten die Opposition aufgerieben wurde, spricht selbst immer wieder von der Notwendigkeit einer Demokratisierung des Landes. In seiner 2050er-Strategie hat dennoch der Ausbau der Wirtschaft Vorrang. Und auch Analysten erklären, der Bevölkerung scheine eine gesicherte Existenz, ein Auto, eine Wohnung wichtiger als demokratische Partizipation. Bleibt abzuwarten, wie viele einträchtige Tage der Dankbarkeit Kasachstan mit Fortschritt der Krise feiern wird.