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Ein Tag im Erdöl-Land ohne Benzin

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

In Venezuela verschärft sich der Machtkampf zwischen Nicolás Maduro und Juan Guaidó um die Staatsspitze. Unterdessen werden Studenten zu Grabe getragen, die bei den Protesten erschossen wurden. Ein Lokalaugenschein.


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San Antonio/Caracas. Schon die Einreise über den Landweg ist ein kleines Abenteuer: Von den insgesamt acht Plätzen im kleinen Raum der venezolanischen Migrationsbehörde in San Antonio ist gerade einmal einer besetzt. Dort wartet ein grimmig dreinschauender Beamter, der erst einmal mit dem Reisepass verschwindet. Ein Europäer, der einreisen will. Das muss der Vorgesetzte entscheiden. Nach ein paar Minuten kommt er mit dem Pass zurück und gibt es grünes Licht. Die Einreise ist gestattet.

Auf der ausreisenden "Gegenspur" ist mehr Betrieb. Tausende Venezolaner verlassen über den Grenzübergang an diesem Tag ihr Heimatland, um nach Kolumbien einreisen. Jene, die große Koffer mitschleppen, für immer, andere, um in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta zu arbeiten.

Das nächste Problem ist gravierender: Wie kommt man nach San Cristóbal? Die Stadt ist Oppositionshochburg, geografisch eingeschlossen von grünen Berghügeln - und rund eine Autostunde von der kolumbianischen Grenze entfernt.

Das venezolanische Transportsystem ist nahezu zusammengebrochen. Im ölreichsten Land der Welt gibt es keinen Sprit. Dafür unzählige Autos mit Riesentanks, die offenbar das Benzin über die Grenze nach Kolumbien schmuggeln, um es dort zu verkaufen. Öl ist die einzige nennenswerte Einnahmequelle Venezuelas. Alles hängt am schwarzen Gold. Das Land hat sich bei Russland und China verschuldet und muss nun Milliardenkredite mit Öl begleichen. Für Geld, das schon längst ausgegeben ist.

Die US-Amerikaner wollen künftig ihre Rechnung nicht mehr an Präsident Nicolás Maduro begleichen, sondern an den von Washington anerkannten Interimspräsidenten Juan Guaidó. Die Konten der venezolanischen Zentralbank in den USA sind laut US-Senator Marco Rubio bereits in die Kontrolle Guaidós übergangen.

Ein Fahrer ist bereit den Transport in Richtung San Cristóbal zu übernehmen. Für kolumbianische Pesos allerdings, nicht für venezolanischen Bolivar.

Die Venezolaner haben das Vertrauen in die Landeswährung angesichts von einer Hyperinflation von mehr als 10.000 Prozent allein im Jahr 2018 komplett verloren. Unweit der kolumbianischen Grenze wird aber fast alles in Pesos abgerechnet. Es ist die inoffiziell akzeptierte Parallelwährung, deswegen ist die Versorgungslage im Grenzstädtchen San Antonio auch deutlich besser als im Landesinneren.

Ständige Kontrollen in der Oppositionshochburg

Bei freier Strecke dauert die Fahrt in Richtung San Cristóbal etwa 60 Minuten. Aber die Strecke ist nicht frei. Alle paar Kilometer gibt es Kontrollen. Mal sind es die Drogenfahnder, mal die Nationalgarde, mal Sonderermittler, die Polizei. Es heißt dann raus aus dem Auto, den Pass vorzeigen, den Kofferraum, den Rucksack vorzeigen. "Reine Schikane ist das, weil wir hier gegen die Regierung sind", sagt Fahrer Arturo, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will.

Es geht vorbei an verwaisten Tankstellen des staatlichen Ölkonzerns PDVSA, die mit Gittern versperrt sind. Preistafeln gibt es nicht, denn die venezolanische Regierung verschenkt den Sprit an ihre Bevölkerung. Eine Tankfüllung kostet umgerechnet nicht mal einen Euro. Ökonomischer Irrsinn, ideologisch begründet. Und das Land kommt mit der Förderung seines Erdölreichtums nicht mehr nach: Die Infrastruktur ist schlichtweg kaputt.

Eine vier Kilometer lange Schlange vor der Tankstelle

Das venezolanische Öl gehört den Venezolanern. Nur dass die den Sprit unter der Hand gleich wieder verkaufen. Ökologisch ist das ohnehin nicht mehr zu rechtfertigen. Immerhin zwingt der Spritmangel die Venezolaner zum sparsamen Umgang mit dem Benzin. Fast alle Tankstellen an diesem Tag sind außer Betrieb. An der einzigen Zapfsäule, an der es Sprit gibt, wartet eine Schlange von mehr als vier Kilometern. Sie schlängelt sich durch San Cristobal, einige ganz vorne übernachten sogar im Auto. Niemand will einen guten Platz aufgeben, denn es ist unklar, wann der nächste PDVSA-Tankwagen mit Nachschub kommt.

San Cristóbal ist eine Hochburg der venezolanischen Opposition. Und die hat sich organisiert, verfügt über ein Netzwerk, das Aktionen steuert.

Es gibt WhatsApp-Gruppen, die über die nächste Demo informieren, die vor Polizeisperren warnen oder Verhaltenstipps bei einer Festnahme geben.

Am 23. Jänner, dem Tag, an dem der junge Parlamentspräsident Juan Guaidó zum Interimspräsidenten ausgerufen wurde, gingen in San Cristóbal Zehntausende auf die Straßen, um sich hinter den jungen Ingenieur zu stellen. Wie im ganzen Land. Wie in Caracas, in Maracaibo, in Maracay. Guaidó macht den Menschen, die nicht mit dem Regime Maduro sympathisieren, Hoffnung. Er bündelt die Kräfte einer enthaupteten und dann auch noch zerstrittenen Opposition.

© M. Hirsch

Maduro hat in den vergangenen Jahren alle möglichen Rivalen ausgebootet. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles und die populäre Abgeordnete Maria Corina Machado: Berufsverbot. Der ehemalige Bürgermeister von Caracas Antonio Ledezma: im Exil. Der populäre und potenzielle Präsidentschaftskandidat Leopoldo Lopez: Nach Haft unter Hausarrest. Ex-Parlamentsparlament Julio Borges: Exil.

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 trat Maduro gegen den chancenlosen Kandidaten Henri Falcon an, der ohnehin als Marionette der Sozialisten galt. Deswegen erkennt die Opposition, die bei den letzten wirklich freie Wahlen Ende Dezember 2015 eine haushohe Mehrheit im Parlament eingefahren hatte, die zweite Amtszeit Maduros, die am 10. Jänner begann, nicht an. Die Verfassung sehe dann einen Interimspräsidenten vor, der Neuwahlen organisiert, argumentiert die Opposition und berief Guaidó dann auch zum Interimspräsidenten. Der saugt nun die Zustimmung der Venezolaner wie ein Schwamm auf. Innerhalb von wenigen Stunden verdoppelte sich seine Follower-Zahl bei Twitter auf fast eine Million. So veröffentlichte er auch auf Twitter das vom Parlament verabschiedete Amnestiegesetz, das Militärs Straffreiheit zusichert, wenn sie sich an der "Wiederherstellung der demokratischen Ordnung" beteiligen, sprich der Regierung Maduro den Rücken zukehren. Und während sich Maduro am Wochenende ostentativ mit Soldaten ablichten ließ, rufen weltweit Exil-Venezolaner zu Guiadós Unterstützung auf. Für den kommenden Mittwoch und Samstag will Guaidó die Venezolaner wieder auf die Straße holen.

Paramilitärische Banden erschossen den Studenten

Doch demonstrieren ist in Venezuela lebensgefährlich. Nach Angaben von Aktivisten sind binnen einer Woche 35 Menschen getötet worden.

"Es war seine erste Demonstration", sagt Luigis Onkel Ovalle.

Bei der Trauerfeier für den erschossenen Studenten Luigi Guerreo in der Universität de los Andes sind hunderte Studenten in die Aula gekommen, um sich von ihrem Kommilitonen zu verabschieden. Abwechselnd nehmen sie Aufstellung am Sarg Luigis. Es wird geweint, viel geweint an diesem Nachmittag. Auch Luigi war am 23. Jänner auf den Straßen, zum ersten Mal in seinem Leben hat er demonstriert, berichtet die Lokalzeitung. Dann kamen die gefürchteten "Colectivos", die paramilitärischen Banden Maduros. Sie kommen oft aus dem Nichts, bewaffnet, vermummt und auf Motorrädern, schießen in die Menge und verschwinden wieder. Die Studenten der Universität berichten, einige von ihnen hätten einen kubanischen Akzent gehabt. "Luigi ist dreimal von Schüssen der Colectivos getroffen worden und war sofort tot", sagt Kevin Ibarra, der an dem Tag mit Luigio demonstrieren war, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Die Colectivos wollen Angst verbreiten, damit die Leute, besonders die Studenten, schweigen." Luigis Onkel Alexander Ovalle ist am Boden zerstört: "Luigi war niemals gewalttätig, es war seine erste Demonstration. Er wollte nur das, was seine Kommilitonen auch wollten: ihren Willen nach Freiheit ausdrücken."

Maduro zeigt sich als Oberbefehlshaber der Armee

Das Tauziehen um die Macht in Venezuela ist überall spürbar. Präsident Nicolás Maduro zeigt sich an der Seite der Armee, als Oberbefehlshaber, als Kommandant mit Zugriff auf das ganze Waffenarsenal der venezolanischen Armee. Guiadó an der Seite des Volkes, bei sogenannten Bürgerversammlungen.

Der Kampf um die Macht setzt sich auch auf globaler Ebene fort. China und Russland stehen auf der Seite Maduros, die USA und weite Teile der EU aufseiten Guaidós. Die EU-Kommission drängte am Montag weiter auf Neuwahlen in Venezuela.