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Kabul - Ein einzelner Hornist spielte den traditionellen Trauermarsch der US-Armee, und die Flagge auf dem Gelände der US-Botschaft in Kabul wurde am Mittwoch auf Halbmast gesetzt. Ein Trümmerteil des zerstörten World Trade Centers in New York ruht nun in der Erde des Landes, das neben den USA am meisten von den Folgen der Terroranschläge des vergangenen Jahres betroffen war. Ein grauer Marmorstein mit der Inschrift "Wir dienen, weil sie es nicht mehr können" weist auf die Stelle, unter der das Trümmerteil ruht.
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Das Trümmerteil des WTC wurde von Marineinfanterist Leutnant Kyle Aldrich nach Kabul gebracht. Der 27-jährige New Yorker arbeitete früher in der Wall Street und hat bei dem Anschlag auf die Zwillingstürme mehrere Freunde verloren. Das Teil "ist ein Konglomerat verschiedener Stücke Glas und Zement, die zu einem Klumpen verschmolzen sind", sagt Aldrich. "Es ist dunkel, schwarz und blutrot und staubig, als ob es mit einer Blutkruste bedeckt wäre." Das Trümmerstück wurde am Dienstag in einem besonderen Behälter unter dem Fahnenmast vergraben, der Gedenkstein wurde in der Zeremonie am Mittwoch enthüllt.
Aldrich arbeitete bis Jänner vergangenen Jahres in New York und ging dann zur Armee. Viele seiner Freunde waren bei den Brokerfirmen Cantor Fitzgerald und Morgan Stanley im World Trade Center beschäftigt. Einige kamen ums Leben, anderen gelang die Flucht aus den brennenden Türmen. "Eine Menge Leute, die ich kenne, rannten um ihr Leben und sprangen fast in den Hudson", erinnert sich Aldrich. Beim Erklingen der Nationalhymne gehen seine Gedanken zurück nach New York - zu den toten Freunden, den Überlebenden, zu seiner Wohnung im Stadtteil Soho, von der er das WTC sehen konnte.
"Es war fester Bestandteil meines Lebens", sagt der 27-Jährige. "Nach Norden sah man das Empire State Building, nach Süden das World Trade Center. Das war etwas Besonderes, weil man beide vom selben Block aus sehen konnte." Weil er und einige Kameraden der Opfer in besonderer Weise gedenken wollten, entschlossen sie sich, ein Teil des zerstörten New Yorker Wahrzeichens nach Afghanistan zu bringen. Der einfache Gedenkstein trägt in tief schwarzen Buchstaben eine Inschrift mit dem Leitmotto der Marineinfanteristen auf Lateinisch und Englisch - "Semper Fidelis", immer treu.
Wie fühlt sich Aldrich nun, ein Jahr nach dem schrecklichen Ereignis? Traurig, wie er sagt. Vor allem aber gehe es ihm darum, dass die Menschen die Getöteten nicht vergessen.