Als einer der Tiger-Staaten wurde Taiwan ob seiner rasanten Entwicklung vom Agrarland zur Industrienation binnen weniger Jahrzehnte bekannt. Der jüngste Aufschwung nach dem Einbruch im Jahr 2001 wird in der Weltöffentlichkeit vom Boom in der Volksrepublik China überschattet. Taipeh feilt an einer wirtschaftlichen Neuausrichtung. Die Voraussetzungen dafür sind gut, glaubt der österreichische Handelsdelegierte.
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Ähnlich einer gigantischen, leicht in die Jahre gekommene Raumstation erhebt sich der Gebäudekomplex des Industrial Technology Research Institutes (ITRI) über einen grünen Hügel. Das vom Wirtschaftsministerium 1973 gegründete Institut gilt seither als Motor der technologischen Entwicklung der Insel: Das international diplomatisch weitgehend isolierte Taiwan ist die fünfzehntgrößte Handelsnation weltweit. Aus dem ITRI hervorgegangen sind etwa die beiden größten Waferhersteller (Halbleiterindustrie) der Erde, Taiwan Semiconductor Manufactoring Ltd. und United Microelectronics Corp. Das geschah während der letzten Neuausrichtungsphase der taiwanesischen Wirtschaft von arbeitsintensiver Massenfertigung wie billigem Spielzeug, Textilien und Kunststofferzeugnissen hin zu IT-Produkten Mitte der 80er Jahre. Weltmarktführer ist die Insel auch bei Scannern, Notebooks, Motherboards (Computer-Hauptplatinen) und LCD-Bildschirmen, Zweiter - nach Südkorea - bei großformatigen TFT-LCD-Bildschirmen.
Erster Einbruch seit 1950
"Lange Zeit hielten die Taiwanesen ihre Wirtschaft für unverwundbar", umschreibt David S. Hong, Vizedirektor des Taiwan Institute of Economic Research, die das ökonomische Selbstbewusstsein seiner Landsleute. Selbst das Platzen der IT-Blase Ende der 90er konnte dem kleinen Tiger nichts anhaben. Umso erschrockener waren die Reaktionen auf den Einbruch 2001: Minus 2,2% Wirtschaftswachstum - ein Schock, bei plus 8% pro Jahr im Schnitt seit den 50ern. Verantwortlich dafür waren die Konjunkturflaute beim damals wichtigsten Handelspartner USA, den in diesem Jahr die traumatischen Terroranschläge vom September bremsten, und die anhaltende Krise am internationalen IT-Markt.
Höchste Wachstumsraten
Zwar erholte sich die Insel seither - in den ersten Quartalen 2004 verzeichnete Taiwan mit 6,68% und 7,67% die höchste Wachstumsrate seit vier Jahren. Die Gesamtjahresvorhersage wurde von 5,4% auf 5,9% nach oben revidiert. Und Hong lässt einen Vergleich mit der Volksrepublik China, für die 2004 ein Wirtschaftswachstum von 8-9% erwartet wird, nicht gelten: "China befindet sich in einer frühen Phase der industriellen Entwicklung. Die Wachstumsraten beziehen sich daher auf eine sehr niedrige Basis und entsprechen in etwa unserem Schnitt über 50 Jahre bis 2000". Dass eine Neuausrichtung der Wirtschaft Taiwans ansteht, sieht Hong aber ganz klar. "Wir müssen auf Know-How-basierende Produktion umstellen". Etwa Digital Content sieht Hong als Zukunftsperspektive. "Einmal entwickelte Software kann man zehn Mal oder auch zehn Millionen Mal verkaufen. Smart arbeiten statt hart arbeiten ist angesagt, wie uns das zum Beispiel die USA vormachen". Ein weiterer Schwerpunkt wird auf Forschung und Entwicklung (R&D) zur langfristigen Etablierung Taiwans auf dem Gebiet der Bio- und Nanotechnologie gelegt. Im Rahmen des nationalen Entwicklungsplans "Challenge 2008" sind 11,8 Mrd. US-Dollar für "Digital Taiwan" vorgesehen. 663,27 Mio. sollen über die kommenden sechs Jahre in die Entwicklung der nationalen Nanotechnologie-Industrie investiert werden.
Etablierung von Marken
Wie schon bei der ersten industriellen Revolution, als die Massenfertigung von Billigware in den 60ern und 70ern den Aufschwung brachte, habe sich Taiwan auch beim IT-Boom weitgehend auf Zulieferprodukte beschränkt. "Nun ist es an der Zeit, Marken zu etablieren", befindet der Wirtschaftsforscher. Das gelte nicht nur für den Elektroniksektor, wo Computer von Acer und BenQ oder Motherboards von Asus bereits weltweit einen guten Ruf genießen. Auch die Weiterentwicklung der traditionellen Industrien, wie der Textilproduktion, gelte ein wesentliches Augenmerk. Weg von der Massenproduktion einfacher Stoffe hin zu High-Tech-Fasern, lautet die Devise.
Einzigartige Verschränkung
"Die geplante Neuausrichtung wird Taiwan wegen der einzigartigen Verschränkung von Regierung, Forschung und den Unternehmen auch gelingen", ist Wolfram Moritz, Österreichs Handelsdelegierter in Taipeh überzeugt. So wird den Klein- und Mittelbetrieben, die das Rückgrat der taiwanesischen Wirtschaft bilden, in den so genannten "Sience Parks" Know-How, Infrastruktur und Steuererleichterungen in großem Stil zur Verfügung gestellt. Allein der 1980 gegründete Hsinchu Science Park bestreitet heute etwa 24% der IT-Industrie und 10% des Außenhandels, wie die Parkverwaltung erklärt.
"Die Wirtschaft im Land unterliegt etwa alle zehn bis 15 Jahre einer neuen Schwerpunktsetzung", erläutert Moritz. Die Umstellung erfolgt hier viel schneller als etwa in Europa. Ab dem Zeitpunkt wo man von ersten Plänen für ein Produkt hört, bis zur Markteinführung vergehen nur etwa ein bis zwei Jahre", umreißt der Handelsdelegierte die Dynamik.
Beziehungen zum Festland
Für die industrielle Revolution brauchte die Insel nur gute 20 Jahre. Schon Anfang der 80er Jahre folgte die Initialzündung für die Elektronikindustrie der Insel. Längst kein Billiglohnland mehr, wurde die Fertigung der taiwanesischen Produkte - auch der High-Tech-Sparte - vielfach ausgelagert. In den letzten Jahren wurde massiv in der Volksrepublik China investiert. So gespannt das politische Verhältnis zwischen Peking und Taipeh ist, so florierend entwickeln sich die Wirtschaftsbeziehungen. Zehntausende Firmen in Hongkong und Shanghai sind in taiwanesischer Hand, ein bis zwei Millionen Taiwanesen verbringen mehr als 183 Tage im Jahr am Festland, skizziert Moritz. Die Volksrepublik ist seit 2002 der wichtigste Handelspartner. Obwohl nach wie vor - ob der politischen Eiszeit - keine direkten Transportwege existieren. Logistisch wird über Hongkong oder Drittländer abgewickelt, was mit enormen Zusatzkosten verbunden ist. So wird auch das Ringen der Regierung in Taipeh um eine Verbesserung der Beziehungen zu Peking für die wirtschaftliche Zukunft der Insel von großer Bedeutung sein.