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Ein Tod weckt Hoffnung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Die Proteste gegen Rassismus zeigen Wirkung. Um Strukturen zu ändern, braucht es aber Ausdauer.


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Seit dem gewaltsamen Tod George Floyds durch Polizisten in Minneapolis am 25. Mai hat eine Protestwelle gegen Rassismus die USA und Europa erfasst. Und die Wut und Frustration der Hunderttausenden zeigt Wirkung.

In den USA wird über eine überfällige Reform der Polizeiarbeit nicht mehr nur geredet, sondern es wird auch gehandelt. In dem Land, in dem auch die Zivilbevölkerung bis an die Zähne bewaffnet ist, lernen angehende Polizisten vor allem den gezielten Einsatz der Waffe. In Österreich dauert die Grundausbildung zum Polizisten zwei volle Jahre, in etlichen US-Bundesstaaten sind es nur wenige Wochen.

Auch in Europa wird als Folge
der Proteste einmal mehr über Rassismus und strukturelle Benachteiligung diskutiert. Neben der Gegenwart steht auch die Vergangenheit auf dem Prüfstand: In Bristol wurde die Statue von Edward Colston in den Avon geworfen; Colston war ein Sklavenhändler, der Schulen, Spitäler und Armenhäuser unterstützte. Und Antwerpen verräumt eine Statue von König Leopold II., der im Kongo wütete, während in den USA ein neuer Anlauf genommen wird, die Erinnerungen an Südstaaten-Helden aus dem Bürgerkrieg aus der öffentlichen Lobpreisung zu verdrängen.

Der Tod George Floyds könnte also nicht ganz sinnlos gewesen sein. Davon ist jedenfalls auch Joe Biden überzeugt; der demokratische Herausforderer von US-Präsident Donald Trump bei den Wahlen im November erklärte bei einem Treffen mit der Familie des getöteten Floyd folgenden Satz: "Ich denke, was hier passiert ist, ist einer dieser großen Wendepunkte in der amerikanischen Geschichte, was bürgerliche Freiheiten, Bürgerrechte und die gerechte Behandlung von Menschen mit Würde betrifft."

Man würde sich wünschen, dass Biden recht behält. Allerdings hält sich die Geschichte nur selten an unsere Vorgaben, und sie pflegt, wenn sie denn überhaupt eine Richtung kennt, Umwege vorzuziehen. Nur ein winzig kleines Beispiel: Als Präsident Lyndon B. Johnson 1964 die Rassentrennung im US-Süden aufhob, war die Hoffnung auf Chancengleichheit und Gleichberechtigung der schwarzen US-Bürger groß.

Heute wissen wir es besser; dafür machte Johnsons Reform die einst im Süden dominierenden Demokraten zur Minderheit und die Republikaner zur bestimmenden Mehrheit, was für sich genommen nicht weiter schlimm wäre, wenn sich die Partei Abraham Lincolns heute nicht der manischen Selbstbezogenheit Trumps ausgeliefert hätte.

Das große Bauprojekt einer besseren Welt ist kein Selbstläufer. Und die Erosion verfestigter Ungleichheit ist ein Projekt für Jahrzehnte, nicht für Wochen.