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Ein todsicheres Geschäft

Von Alexander Dworzak

Politik

40 Prozent der weltweiten Korruption finden im Waffenhandel statt.|Umsatz: 60 Milliarden Dollar pro Jahr.


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New York/Abu Dhabi/Berlin. Hubschrauber kreisen über das Gelände, Panzer wühlen sich mühelos durch einen Parcours, und über die Monitore flimmern Werbevideos. Sie suggerieren, wie atemberaubend präzise und klinisch sauber Kampfjets ihre Arbeit verrichten. Militärs und Zivilisten frohlocken, auch Familien tummeln sich in Scharen. Dermaßen ausgelassene Stimmung herrscht bei der Waffenmesse Idex, die alle zwei Jahre im Emirat Abu Dhabi stattfindet.

2000 Kilometer nordwestlich ist das vermeintliche Spiel bittere Realität. Seit über eineinhalb Jahren tobt die Schlacht um Syrien, mehr als 40.000 Menschen wurden im Bürgerkrieg zwischen der Armee und den Aufständischen bislang getötet. Dass sich Bashar al-Assad noch immer an der Macht hält, verdankt er in erster Linie Russland - politisch und militärisch. Im UNO-Sicherheitsrat macht Moskau gemeinsam mit China die Mauer gegen ein härteres Vorgehen. Gleichzeitig ist Russland mit Abstand größter Waffenlieferant des Assad-Regimes; 78 Prozent der Waffenimporte von 2007 bis 2011 lieferten russische Firmen.

Als wählerisch gelten Waffenhersteller nicht - ob es sich bei den Kunden nun um demokratische Staaten oder despotische Regime handelt. Dass laut Menschenrechtlern täglich 2000 Personen durch Waffengewalt sterben, tritt angesichts der enormen Geschäftsmöglichkeiten meist in den Hintergrund. 60 Milliarden Dollar werden jährlich bei Waffengeschäften umgesetzt. Unangefochten an der Spitze stehen dabei die USA. Laut Daten des Stockholmer Forschungsinstituts Sipri stammten 30 Prozent aller Lieferungen im vergangenen Jahr aus den Vereinigten Staaten, Russland und Deutschland folgen auf den Spitzenplätzen.

"China beliefert jeden"

Wie in anderen Branchen verfolgt China im Waffenhandel ehrgeizige Exportpläne. Bei 1,4 Milliarden Dollar lagen die Ausfuhren im Jahr 2011, Rüstungsfirmen aus dem Reich der Mitte rangieren damit weltweit bereits auf Platz vier. Sie machen vor allem Russlands Erzeugern Konkurrenz, die aufgrund geringer Preise gegenüber West-Firmen in Schwellenländern bessere Karten haben. Auch regionale Rivalitäten spiegeln sich wider: So greift Pakistan bevorzugt auf Waffen aus China zurück, da Russland bereits Indien beliefert. Als Faustregel gilt: "China beliefert im Prinzip jeden, solange es kein UNO-Embargo gibt", erklärt Sipri-Forscher Siemon T. Wezeman gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".

Mit den sprichwörtlichen Ellbogen wird international um die lukrativsten Deals gekämpft. Nur vier bis sechs Großaufträge im Milliarden-Dollar-Bereich werden pro Jahr vergeben, erklärt der südafrikanische Waffenexperte Andrew Feinstein. Große Summen und wenige Entscheidungsträger - Letztere bedingt durch auferlegte Geheimhaltung mit Verweis auf die nationale Sicherheit - verursachen enorme Kosten. 40 Prozent der weltweiten Korruption sind laut Transparency International auf den Waffenhandel zurückzuführen. Abnehmer sind aber nicht nur Staaten; Territorialkonflikte und ethnische Spannungen sorgen von Afghanistan bis zur Zentralafrikanischen Republik für Nutznießer. "Waffenhersteller und Waffenhändler scheinen in einer Art rechtlichem und politischem Paralleluniversum zu agieren, ungehindert von den Gesetzen und ethischen Vorstellungen, denen Unternehmen in anderen Branchen folgen", urteilt Feinstein.

Mauscheln und kassieren

Der Südafrikaner spricht aus eigener Erfahrung: Als Abgeordneter des Afrikanischen Nationalkongresses ANC machte der heute 48-Jährige zehn Milliarden Dollar schwere Waffendeals publik, bei denen 300 Millionen an Schmiergeldern an Politiker, deren Berater und Beamte gezahlt wurden. An einer Aufdeckung des Skandals war der ANC nicht interessiert; Feinstein legte daraufhin sein Mandat zurück.

"Keine Waffen in Krisengebiete" war jahrzehntelang die Devise für Rüstungsexporte in Deutschland. Angela Merkels Credo lautet dagegen "Ertüchtigung statt Einmischung" - also Bewaffnung. Für Empörung sorgte das Interesse Saudi-Arabiens und Katars am deutschen Leopard-Panzer. Sogar ein Anteilseigner des Herstellers sprach sich gegen den Verkauf aus: "Panzer nach Saudi-Arabien zu schicken, das gerade auch noch in Bahrain die dortige Regierung unterstützt hat, die Opposition mit Panzern niederzudrücken, das halte ich für ein unmögliches Signal an die arabische Rebellion, die wir unterstützen müssen", sagte Burkhart Braunbehrens. Wie alle demokratischen Regierungschefs steht Merkel vor dem Dilemma zwischen moralischen Ansprüchen und der Rechtfertigung gegenüber der heimischen Waffenindustrie, wenn Firmen anderer Länder weniger zimperlich agieren.

Während die Verteidigungsausgaben im Westen bedingt durch die Wirtschaftskrise sinken, befinden sie sich in anderen Nationen im Steigflug. Unter den zehn Staaten mit den höchsten Militärbudgets 2011 haben lediglich Russland, China und Saudi-Arabien ihre Wehr-Etats erhöht. Cassidian, die Rüstungssparte von EADS, sieht seine Zukunftschancen dementsprechend nicht in den Heimatmärkten, sondern im Nahen Osten sowie in Indien - die Umsätze in Europa sollen von derzeit 80 auf 50 Prozent fallen.

Nicht nur groß ist der Waffenmarkt, sondern auch nahezu unreguliert. Kläglich scheiterte im Juli bei den Vereinten Nationen der Antrag, den Handel mit konventionellen Rüstungsgütern zu reglementieren - darunter Panzer, Raketen, Kampfjets und Hubschrauber. Die USA, Russland und China wollten Ausnahmeregelungen durchsetzen. Sie verhinderten dadurch einen Vertrag, nach dem Waffenlieferungen an terroristische Organisationen unterbunden werden sollten; zudem sollten Waffen nur an Staaten geliefert werden, die die Menschenrechte respektieren. Im März will die UNO erneut über ein Abkommen verhandeln.

Feinsteins Resümee fällt ernüchtert aus: "Im 20. Jahrhundert starben 231 Millionen Menschen in kriegerischen Konflikten, die der Waffenhandel entweder erst ermöglicht oder aber verschärft hat. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts deutet darauf hin, dass diese Zahl noch einmal überboten werden soll." Dreht sich bei der Zahl der Toten die Eskalationsspirale ungebremst weiter, sorgen technische Entwicklungen für einen dramatischen Wandel der Kriegsführung. Der letzte Schrei im Westen sind bewaffnete Drohnen: 18 Angriffe flogen die USA während der Präsidentschaft von George W. Bush in den Jahren 2004 bis 2007 im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, um islamische Extremisten zu töten. Unter seinem Nachfolger Barack Obama waren es angeblich 122 Angriffe alleine 2010. Jeden Dienstag werde dem Friedensnobelpreisträger Obama eine Liste mit dem nächsten potenziellen Terroristen vorgelegt - intern "Terror Tuesday" genannt.

In Israel schicken sich ferngesteuerte Kampfgeräte an, auch den Boden einzunehmen: An der Grenze zum Gazastreifen patrouilliert regelmäßig der einem Buggy in Panzergewand ähnelnde "Guardium". Wie ein Abenteuerspielzeug wird das Gerät beworben: In einer Broschüre des Herstellers sind zwei Soldaten vor Monitoren abgebildet und steuern "Guardium" via Lenkrad und Joystick. "Jeder, der mit einer Playstation aufgewachsen ist, lernt die Bedienung binnen Sekunden", sagte der damalige Direktor der Firma, Erez Peled, zu Projektstart 2008.

Im rechtsfreien Raum

Noch ist "Guardium" unbewaffnet. Noch wird der Roboter vom Kommandostand aus gesteuert - kann aber bereits jetzt selbständig auf vorgegebenen Routen patrouillieren. Doch könne das Gerät prinzipiell bereits "verschiedene gewaltsame Methoden anwenden, um die Bedrohung zu eliminieren", vermelden Israels Streitkräfte kryptisch in ihrem Blog.

Roboter, die sich ihre Ziele selbständig suchen, verändern somit weit mehr als die Kriegsführung: Sie stellen das Rechtssystem auf den Kopf. Denn wer ist verantwortlich, wenn etwa ein Sprengkörper versehentlich in einem Wohngebiet einschlägt: der Programmierer, der Einsatzleiter oder gar der Hersteller? Gemeinsam fordern die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und Juristen der Harvard Law School das völkerrechtliche Verbot völlig autonom agierender Waffen. "Noch gibt es kein globales Komitee, das an einer Reform des Kriegs- und Humanitätsrechts arbeitet", erklärt Karl Zemanek, Doyen des Völkerrechts und emeritierter Professor an der Universität Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Erschwerend kommt hinzu, dass die technische Entwicklung der Roboter streng geheim ist. Wann das erste Gerät marktreif ist, weiß außerhalb der Hersteller und deren Dunstkreis derzeit niemand. Für eine rechtliche Regelung notwendige Details bleiben somit im Dunkeln. Wie so vieles in der Branche.