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Ein Toter wurde wachgeküsst

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Zehn Gehminuten von der Innenstadt entfernt befand sich drei Jahrhunderte lang städtisches Niemandsland - der Hafen von Düsseldorf. In den letzten Jahren erwachte er zu neuem Leben.


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Es begann im März 1982 mit der Fertigstellung des 240 Meter hohen "Rheinturmes". Dieser elegant-schlanke Fernsehturm bewacht gewissermaßen die Hafeneinfahrt und ist zum Wahrzeichen der Großstadt geworden. Vom sich drehenden Restaurant in 172 Metern Höhe hat der Gast den Überblick auf eine Fülle architektonischer Highlights, die seither auf dem Hafengelände entstanden sind.

Doch blenden wir zurück: Erst im 17. Jahrhundert erhält Düsseldorf sein erstes Hafenbecken. Der Barock-Fürst Carl Theodor von der Pfalz hatte es im Zuge einer Stadterweiterung ("Carlstadt") anlegen lassen. Doch während die Rheinschifffahrt allerorts florierte, beschlossen die Düsseldorfer Stadtväter erst sehr spät, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, den Bau eines konkurrenzfähigen Hafens. Erst vier Jahre vor der Jahrhundertwende konnte auch Düsseldorf am Aufschwung der Binnenschiffahrt teilnehmen - mit dem modernsten Binnenhafen Deutschlands.

Die Hausse währte nicht lange. Erster Weltkrieg, französische Besatzung, Wirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg mit seinen Bombardements machten dem Hafen den Garaus. Ein

kurzes Aufflackern brachte das Wirtschaftswunder der 50er Jahre, doch ein Jahrzehnt später erlosch auch dieses.

Von der nahen quirligen Innenstadt war das Gelände als stadtfremde Industriebrache abgeschottet, gehörte irgendwie nicht dazu. Allmählich setzte ein Umdenken ein, denn schließlich gab es hier eine Flächenreserve für die wachsende Landeshauptstadt. Man wollte Teile des Hafens zu einem modernen Dienstleistungs- und Bürostandort fortentwickeln. Nach dem Ende des staatlichen Rundfunkmonopols eignete sich dafür besonders die aufstrebende Medienwirtschaft.

Zeitgleich mit der Umgestaltung der Londoner Docklands vollzog sich hier am Rhein ein ähnlicher Prozess. Erhaltenswerte Hafenbauten wurden liebevoll restauriert. Schritt um Schritt kamen neue hinzu: Der Fernseh- und Kommunikations-Turm - er konnte etwa 200.000 Telefongespräche gleichzeitig übertragen - stand ja bereits.

1988 folgte der nordrhein-westfälische Landtag mit einem tortenförmigen Neubau, der Westdeutsche Rundfunk errichtete wenig später ein neues Landesstudio, ein asymmetrisches "U", dessen offene Seite zu Landtag, Stadt und Rheinturm hin ausgerichtet ist. Der nach außen ausgestellte Sockel des Gebäudes soll an ein Schiff erinnern. Der 25 Meter hohe bogenförmige Portalvorbau aus Glas ist einem alten Volksempfänger-Radio nachgebildet.

Aushängeschild des neuen Medienhafens wurden drei Gebäude, die Stararchitekt Frank O. Gehry erbaute: das weiße und das rote Haus sowie das Spiegelhaus in deren Mitte. Diese drei Gebäude sind weltweit ein Unikat und werden als Kunstwerk gehandelt. Die schrägen, verschachtelten und verdrehten Fassaden spiegeln sich im mittleren Gebäude mit seiner Metallhaut so, dass in der Tat der Eindruck "tanzender Architektur" entsteht, aber auch die Spiegelungen des Wassers zitiert werden.

Weitere architektonische Leckerbissen folgten. Etwa das sogenannte Stadttor: Zwei Torsäulen mit 16 Geschossen tragen drei Attikageschoße, die ein 75 Meter hohes Tor bilden. Oder das Colorium mit seinen bunten Farbfeldern, das einer riesigen Straßenlampe ähnelt.

Die Großen der internationalen Architekturszene sind hier vertreten - neben Gehry auch Steven Holl, David Chipperfield, Joe Coenen, Fuminiko Maki, Will Alsop und Claude Vasconi.

In nur drei Jahrzehnten wurde so das Dornröschen am Rhein zur Boomtown wachgeküsst.

Markus Kauffmann, seit rund 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.