Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es gibt eine lange und in manchen Kreisen erfolgreiche Erzählung von der Überkomplexität Österreichs. Die ist nicht einmal falsch, auch wenn das Beispiel der zehn Regierungen für acht Millionen Menschen - neun Länder plus Bund - immer schon Unsinn war. Dafür gibt es nicht wenige Bereiche, die in diesem schönen Land tatsächlich jenseitig organisiert sind. Die Bereiche Bildung, Gesundheit und Pflege zählen etwa dazu, wie kürzlich die "Wiener Zeitung" im Detail wieder einmal nachgezeichnet hat. Hier besteht ein klarer politischer Handlungsauftrag über alle inhaltlichen Grenzen hinweg.
Davon abgesehen ist es Zeit für ein Plädoyer für die Dezentralisierung demokratischer Macht (wobei man es, man denke nur an Belgien, immer übertreiben kann). Grundsätzlich gilt: Je mehr Interessen - von Ländern über Sozialpartner bis hin zu anderen Formen der Teilhabe - in die große Entscheidungsmaschine eingespeist werden, desto breiter fällt am Ende die Zustimmung zu den konkreten Lösungen aus.
Das ist natürlich im Vergleich zur Lizenz zum Durchregieren weit mühsamer. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass Demokratie den Zweck hat, den Regierungen das Regieren zu erleichtern. Und mit guten Gründen muss man an dieser strukturellen Diffusion staatlicher und politischer Macht sogar eine Entlastung für die jeweils Regierenden sehen: Der allgegenwärtige Druck zu extensiver Überzeugungsarbeit nimmt radikalen Ideen ihren revolutionären Charakter. Aus einem Bruch wird so ein Schritt.
Das ist natürlich in den Augen all jener eine bittere Niederlage, die am liebsten alles ganz anders machen würden. Und die Sehnsucht nach dem radikal Anderen ist bei immer mehr Bürgern mindestens so ausgeprägt wie bei ehrgeizigen Politikern aller Farben.
Die reale Diffusion von Macht ist auf Kollisionskurs mit solchen Wunschvorstellungen von einer "Politik aus einem Guss", worauf in der Folge gerne und lautstark das alte Lied von der blockierten Republik - oder der Republik der Blockierer? - angestimmt wird.
Das kann man natürlich machen, aber es ist eben auch ein bisschen wehleidig und kleingeistig. Denn tatsächlich ist die Idee von einer grundsätzlichen Veränderung des Status quo nicht nur der Anfang. Sie ist Vision und Absicht. Aber erst ab diesem Zeitpunkt beginnt die wirkliche Politik. Und diese zielt darauf ab, nicht nur politische Mehrheiten im Parlament für Beschlussfassungen zu organisieren, sondern auch die Betroffenen wie die breite Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens zu überzeugen. Am besten mit der Kraft der besseren Argumente. Wenn diese stechen, bekommt nämlich wiederum der Widerstand gegen Veränderung ein Problem. Und so soll es auch sein, nur ist es leider fast nie so.