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Ein Traum wurde wahr

Von Norbert Hoyer

Politik

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Essen - Manch einer in der CDU-Führung hat davon geträumt, eines Tages an der Spitze dieser großen Volkspartei zu stehen. Für die 45-jährige Ostdeutsche Angela Merkel wird dies nun wahr. Ihr neues Amt als Parteichefin ist der - vorläufige - Höhepunkt einer steilen politischen Karriere.

Merkel hat sich in den vergangenen Tagen immer wieder als "ein Kind der deutschen Einheit" bezeichnet. Hätte es 1989 die Wende in der DDR und den Zusammenbruch dieses kommunistischen Staates nicht gegeben, wäre das Leben der promovierten Physikerin völlig anders verlaufen.

In Brandenburg war sie aufgewachsen, nachdem der Vater, ein protestantischer Pfarrer, kurz nach ihrer Geburt in Hamburg aus der Bundesrepublik in die DDR zog. Lehrerin für Russisch und Physik konnte sie wegen der kirchlichen Bindung nicht werden. So arbeitete sie als Wissenschafterin vor allem auf dem Gebiet der Quantenchemie.

Dann aber kam die deutsche Wiedervereinigung. Merkel engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Erst im Sommer 1990 trat sie in die CDU ein - und wurde dort rasch das "Mädchen Kohls". Der Bundeskanzler und langjährige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl entdeckte ihr politisches Talent, machte sie direkt zur Jugend- und Frauenministerin. Sie wurde stellvertretende Parteivorsitzende. 1994 vertraute Kohl ihr das Umweltministerium an.

Merkel lernte schnell die ungeschriebenen Regeln des (west-)deutschen Politik-Betriebs. Sie behauptete sich auf ihren Posten. Die nach wie vor eher unscheinbar wirkende Politikerin wurde von manchem unterschätzt.

Nach Kohls Niederlage bei der Bundestagswahl im September 1998 holte der neue Parteichef Wolfgang Schäuble Merkel an seine Seite. Sie wurde seine Mitstreiterin beim Neuanfang der CDU in der Opposition, der durch glänzende Siege bei den Regionalwahlen des Jahres 1999 gekrönt wurde. Ende vergangenen Jahres wurde Merkel zur engagierten Aufklärerin, als die Dimensionen des Finanzskandals der CDU zu Tage traten.

Als Schäuble im Zuge dieser Affäre zum Verzicht auf seine Spitzenämter gezwungen wurde, zeichnete sie sich bald als unumstrittene Kandidatin für das Amt des Parteichefs ab. Von der Basis wurde sie bei Regionalkonferenzen gefeiert, auch wenn mancher in der Partei und vor allem in der bayerischen Schwesterpartei Christlich Soziale Union (CSU) die Generalsekretärin als zu liberal verdächtigte.

Merkel ist keinem Flügel klar zuzurechnen. Unter ihrer Führung werde "sich nicht alles ändern, aber neue Fragen neu beantwortet werden", hat sie in den vergangenen Tagen betont. Die soziale Marktwirtschaft ist ihr wichtig. Konservativ heißt für sie: "Nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, ihn aber prägen wollen." Konservativ bedeute aber auch, offen zu sein, "für Veränderungen auf der Grundlage klarer Werte", hat sie betont.

Selbstbewusst ist sie, das räumen auch ihre parteiinternen Kritiker ein. So stört es sie nicht, wenn etwa der französische Modeschöpfer Jean-Charles de Castelbajac sie als besonders unmodisch kritisiert, oder das große Boulevardblatt "Bild" die Deutschen über ihre Frisur diskutieren lässt. "Mich amüsiert, welche Ratschläge ich bekommen", sagte sie der "Bild"-Zeitung. "Ich unterwerfe mich aber keinem Modediktat." Zu ihrer Persönlichkeit gehöre ihr eigener Stil: "Ich bin ich." dpa