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Sollte Griechenland ein Teil seiner Schulden erlassen werden, kommen auf die Politik ein paar sehr heikle Fragen zu.
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Leider werden wir vermutlich nie erfahren, ob die damalige Finanzministerin Maria Fekter bewusst die Unwahrheit sagte oder bloß unfähig war, die Fakten zu erkennen, als sie im Jänner 2013 behauptete: "Bei den Schulden haben wir die Krise weitgehend bewältigt. Der Großteil der Staaten hat nur noch ein Defizit um drei Prozent oder darunter. Also: Was die Schuldenproblematik angeht, sind wir über den Berg."
Von wegen. Heute ist glasklar, dass Griechenland seine Schulden - darunter rund acht Milliarden Euro, die Österreich dort direkt oder über Haftungen im Feuer hat - nie begleichen wird können. Die Gläubiger werden früher oder später auf einen erheblichen Teil der Forderungen verzichten müssen, auch wenn der "Schuldenschnitt" vermutlich nicht so heißen wird, sondern als "Umstrukturierung" getarnt wird.
Ökonomisch kann man ihn für sinnvoll halten, politisch hat er freilich eine Reihe von interessanten Konsequenzen.
Erstens: Jeder Schuldenschnitt bedeutet, dass deutsche oder österreichische Steuerzahler Griechenlands Staatsausgaben der Vergangenheit finanzieren - das wäre ein glatter und massiver Rechtsbruch, weil die EU-Verträge genau das zweifelsfrei verbieten. Der Einwand, die Geschichte der Euro-Rettung sei eine Geschichte der Rechtsbrüche, entschuldigt diesen abermaligen Rechtsbruch nicht wirklich.
Zweitens: Wird Griechenland ein Teil seiner Schulden erlassen, gibt es kein logisches Argument gegen Schuldenerlässe für Italien, Portugal oder Spanien. Zu argumentieren, Griechenland habe eben eine noch höhere Schuldenlast, bedeutete implizit, diese oder andere Staaten zu massiver Neuverschuldung zu ermutigen, um ebenfalls möglichst bald in den Genuss einer Entschuldung zu kommen. Anderen EU-Staaten hingegen zu verweigern, was die Griechen für sich in Anspruch nehmen, fügte dem Unrecht des Schuldenschnitts die Ungerechtigkeit der Ungleichbehandlung hinzu. Drittens: Wer entscheidet künftig, nach welchen Kriterien Euroländer ihre Schulden zurückzahlen müssen oder eben nicht? Gibt es dann einen Anspruch auf Schuldenverzicht bei einem Schuldenstand von 120, 150 oder 180 Prozent des BIP?
Viertens: Wenn innerhalb der EU Staaten ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen müssen, werden dadurch viele europäische Sparer teilweise enteignet, die direkt oder indirekt (etwa über Versicherungen oder Sparfonds) Anleihen dieser Länder halten. Damit wird de facto die Altersvorsorge der eigenen Bürger entwertet.
Fünftens: Wenn, wie bei Griechenland, eine Nation direktdemokratisch per Plebiszit darüber abstimmen kann, welchen Beitrag sie selbst zum eignen ökonomischen Überleben leisten will, wird ein Recht der Gläubigernationen, direktdemokratisch darüber abzustimmen, was sie zum Überleben der Partnerländer zu leisten bereit sind, schwer zu bestreiten sein. Der ironischen Forderung des estnischen Präsidenten, in der übrigen EU darüber abzustimmen, "ob die Bürger bereit sind, für Griechenland höhere Steuern zu bezahlen", ist sachlich wenig entgegenzusetzen.
Einen Schuldenschnitt für Griechenland zu fordern, ist nicht schwierig. Die dann notwendigen politischen Konsequenzen zu tragen, dürfte freilich deutlich mühsamer werden.