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Der Chef der mazedonischen Opposition Zoran Zaev über den Abhörskandal und die politische Krise.
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Mit der Veröffentlichung einer Serie von heimlich abgehörten Regierungskonversationen, genannt die "Bomben", trat der mazedonische Oppositionschef und Sozialdemokrat Zoran Zaev eine Protestwelle los, die viele tausende Menschen auf die Straße trieb. Auf den Aufnahmen, die Zaev von "Patrioten" erhalten haben will, war unter anderem zu hören, wie der seit 2006 amtierende Premier, Nikola Gruevski, dem die Opposition einen zunehmend autoritären Regierungsstil vorwirft, gemeinsam mit seinem Kabinett die Vertuschung eines Mordes plant. Insgesamt sehen sich Kritiker Gruevskis, dem seit Jahren Korruption, Vetternwirtschaft und drastische Einschränkungen der Pressefreiheit vorgeworfen wird, durch die Leaks bestätigt.
Kürzlich forderten mehr als 20.000 Demonstranten den Rücktritt Gruevskis. Mit der "Wiener Zeitung" sprach Oppositionschef Zaev über den Abhörskandal, die gegenwärtige politische Krise und seine Ambitionen, sollte er bei den nächsten Wahlen als Premier hervorgehen.
"Wiener Zeitung": Was hat Sie an den von Ihnen geleakten Audioaufnahmen am meisten überrascht?Zoran Zaev: Dass das Privatleben der Gegner analysiert und archiviert wurde. Es wäre akzeptabler für mich, wenn es nur um berufliche Aktivitäten gehen würde. Aber das Privatleben so auseinander zu nehmen ist schlimm. Es gibt 86 Ordner über Streitigkeiten zwischen mir und meiner Frau, über die Kinder, wie es ihnen in der Schule geht und all diese Dinge.
Es kursieren Gerüchte, die Aufnahmen stammen vom US-Geheimdienst NSA. Stimmt es, dass Sie wegen Zusammenarbeit mit einem ausländischen Geheimdienst angeklagt wurden?
Nein. Die Anklage gegen mich lautet, dass ich Gewalt gegen Vertreter hoher Institutionen ausübe, gegen den Premierminister (Nikola Gruevski, Anm.). Ich verlange von ihm die Einsetzung einer Übergangsregierung und freie Wahlen.
Sollte jemand, der mit einem ausländischen Geheimdienst zusammenarbeitet, um die Regierung zu stürzen, ins Gefängnis kommen?
Wenn es Beweise gibt, dass er durch die Veröffentlichung solcher Informationen dem Land schadet, dann sollte er zur Verantwortung gezogen werden. Aber wenn jemand versucht, Kontakt mit ausländischen Medien aufzunehmen, um aufzuzeigen, wie schwierig es in unserem Land ist . . . Medien sind keine Geheimdienste. Allein, dass ich Ihnen heute ein Interview gebe, würde mich nach diesen Maßstäben zum Spion machen.
Viele Menschen glauben, dass westliche Staaten Premier Gruevski unter anderem wegen seiner Nähe zu Russland gerne aus dem Amt entfernt sähen. Für diese wäre es doch ein Leichtes, Ihnen solche Abhörbänder zuzuspielen, damit genau das passiert, was gerade passiert: Vor kurzem forderten in Skopje mehr als 20.000 Demonstranten den Rücktritt Gruevskis.
Wenn die Amerikaner, Russen oder sonst jemand versuchen würde, sich hier einzumischen, dann würden sie doch nicht meine Frau und meine Kinder abhören oder all diese Journalisten und Intellektuellen. Wir haben hier keine Atomwaffen, wozu sollten sie das seit Jahren aufzeichnen?
Woher haben Sie das Material?
Ein paar Leute, die mit ihren Familien außerhalb Mazedoniens leben und die davor für den Geheimdienst gearbeitet haben, Menschen, die mittlerweile im Gefängnis sind und einige, die noch immer für den Geheimdienst arbeiten und hoffentlich nie entlarvt werden, kamen zu mir und haben mich gebeten, Schritte zu setzen, um unser Land zu retten. Wenn wir unabhängige Gerichte hätten, würden sie stattdessen dort hingehen.
Warum ist es Ihrer Meinung nach zu der Schießerei im nordmazedonischen Kumanovo gekommen, bei der Anfang Mai 18 Menschen, darunter acht Polizisten, ums Leben gekommen sind?
Der derzeitige Ermittlungsstand ist, dass es eine Gruppe professioneller Banditen war. Ich glaube, sie nutzen die Schwäche unseres Landes während dieser politischen Krise, um uns zu destabilisieren. Wenn unser Premier zurücktreten würde, wie das bei solchen Anschuldigungen (Vertuschung eines Mordes, Anm.) in jedem anderen Land normal wäre, dann wäre das nicht möglich gewesen. Diese Gruppe sind im Moment Albaner, aber es könnten genauso Mazedonier oder Serben oder was auch immer sein. Es ist eine kriminelle Gruppe, die für Geld arbeitet, sie haben selbst keine politischen Motive oder Ziele. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wer sie bezahlt hat und warum. Woher haben sie die Waffen und wieso sind Leute, die auch in Syrien für den Islamischen Staat gekämpft haben, auf einmal hier?
Glauben Sie, dass die Regierung sie bezahlt hat, um von der gegenwärtigen Krise abzulenken?
Sie sind schon seit zwei Jahren in der Gegend und unsere Sicherheitsbehörden wissen das auch, unternehmen aber nichts. Das Innenministerium bestätigte, dass das die gleichen Leute sind, die vergangenen Monat eine Polizeistation in Gosince, in der Nähe der Grenze, übernommen haben. Die Gruppe ist äußerst professionell und gut ausgerüstet. Die Sicherheitsbehörden erlauben ihnen einfach, in die zweitgrößte Stadt unseres Landes zu kommen.
Die EU hat sich als Vermittler in die Krise eingeschaltet. Sie nahmen am 19. Mai gemeinsam mit Gruevski bei Gesprächen in Straßburg teil. Mit welchem Ergebnis?Wir haben unsere Forderungen öffentlich gemacht. Wir wollen den Rücktritt von Premier Gruevski, den Rücktritt des ersten Staatsanwaltes, weil er nicht unabhängig ist, den Rücktritt des zweiten Staatsanwaltes, weil er mit dem Polizeichef verschwägert ist und den Rücktritt des Managements und des Chefredakteurs des öffentlichen Rundfunks. Zu den Verhandlungen kann ich keine Details preisgeben, da wir alle versprochen haben, dem Dialog eine Chance zu geben.
Haben Sie Hoffnung, dass diese Verhandlungen erfolgreich sein werden?
Nach all den Dingen, die wir über die Leaks über ihn (Gruevski, Anm.) und seine Regierung erfahren haben, ist es für ihn nicht möglich, einfach im Amt zu bleiben. Was wir auf den Bändern gehört haben, bestätigt alles, was unsere Bürger immer schon von dieser Regierung geglaubt haben.
Ihre Partei hat die Massenproteste vergangene Woche maßgeblich organisiert und angeführt und Menschen mit Bussen aus dem Umland nach Skopje gebracht. Viele Jobs in Mazedonien hängen davon ab, dass man Mitglied einer der beiden großen Parteien ist. Verstehen Sie den Vorwurf, dass viele Leute sich unter Druck gesetzt fühlten, an den Protesten teilzunehmen?
Wir sind die Opposition. Wir haben keine Möglichkeit, den Leuten Jobs anzubieten, die Regierung schon. Wir haben die am stärksten parteilich gefärbte Verwaltung der Welt. In unserem 1,65-Millionen-Land arbeiten etwa 200.000 Menschen im öffentlichen Dienst. Aber unser Protest ging nicht von einer Partei aus. Es waren Intellektuelle da, Journalistenvereine, viele normale Bürger, Nichtregierungsorganisationen. Es ist kein Kampf um Macht, sondern für Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie. Worauf wir aber stolz sind, ist, dass das hier nicht so ausgeartet ist, wie die Proteste in der Ukraine. Unsere Proteste sind friedlich.
Wie sehr schadet die gegenwärtige Situation den Beitrittsverhandlungen mit der EU und der Nato?
Es ist möglich, dass wir die Empfehlung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen verlieren. Ich hoffe, dass das nicht passiert, denn es würde auch den Verlust der geringen Hoffnung unserer Bürger, Firmen und Investoren hier bedeuten.
Die Regierung hat das Land in hohe Schulden gestürzt. Wenn Sie Premier werden, würden Sie die nötigen Sparmaßnahmen setzen?
Gelingt es uns, unserem Land die Freiheit und Demokratie zurückzubringen, dann wird dies uns eine neue Hölle öffnen. Aber nicht nur die Finanzsituation ist schwierig. Ein Tsunami fegt über dieses Land. Jede Person, die künftig die Verantwortung übernimmt, das Land zu normalisieren, wird sicherlich politisch zerstört werden, denn die Maßnahmen, die wir brauchen, werden beim Volk nicht beliebt sein. Sparmaßnahmen braucht es meiner Meinung nach nicht. Wir haben ein Budget von drei Milliarden Euro im Jahr, das müssen wir für leistbares Heizen, Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung nutzen. Fünfzig Prozent des Geldes, das wir im Ausland geliehen haben, wurde für neue Denkmäler und Statuen verwendet. Wenn wir damit aufhören, werden wir genug Geld haben, die wirtschaftliche Situation zu verbessern, ohne neue Schulden anzuhäufen.
Zoran Zaev
Der 1974 geborene Wirtschaftswissenschafter ist Vorsitzender der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei Mazedoniens (SDSM). In den Jahren 2003 bis 2005 war er Abgeordneter des mazedonischen Parlaments, seit 2005 ist er Bürgermeister der Stadt Strumica.