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Ein Tunnelwahn?

Von Werner Rosinak

Gastkommentare

Das aktuelle Sparpaket hat den Diskurs über die Sinnhaftigkeit der drei großen Tunnelprojekte - Semmering, Koralm und Brenner - neu belebt.


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Herausgefordert durch ein antiquiertes Spatenstich-Ritual haben die Semmering-Gegner jene Argumente wiederholt, wie sie die "Krone" vor mehr als zehn Jahren in unnachahmlicher Weise getitelt hat: Der Berg blutet aus. Aber lässt sich über den Semmering-Basistunnel und seine Mitbrüder im Süden und Westen auch Sinnvolleres sagen?

Werner Rosinak ist Verkehrsplaner in Wien.

Große und teure Bahnprojekte sollten, darüber müsste Konsens herrschen, gesellschaftliche Interessen erfüllen. Ein struktur- und verkehrspolitisches Interesse ist es jedenfalls, in Österreich möglichst ausgewogene Erreichbarkeiten sicherzustellen. Nun ist die Südachse Wien-Klagenfurt seit mehr als zwei Jahrhunderten gegenüber der Westachse Wien-Salzburg stark benachteiligt, gleiche Entfernungen bedingen nach Süden ganz erheblich längere Reisezeiten. Damit zusammenhängend verlief das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum entlang der Westachse deutlich dynamischer. Die Entwicklungschancen der Stadtregionen Graz und Klagenfurt-Villach werden somit durch die neue Südbahn erheblich verbessert. Bei den Umweltauswirkungen des Eisenbahn-Scheiteltunnels Semmering kann zumindest gesagt werden, dass sie weniger gravierend sind als jene der seichten Straßentunnel, bei denen sich allerdings kaum jemand aufgeregt hat. Verbleiben die Kosten: Hier sind die Vorteile der Anbindung von Mürzzuschlag den Mehrkosten durch die längere Trasse gegenüberzustellen. Dass zwei Röhren mehr als eine kosten, dürfte im Übrigen evident sein. Die Attraktivierung der Südbahn durch die beiden Tunnelprojekte - Semmering und Koralm - ist damit fraglos in österreichischem Interesse: wichtig, möglicherweise aber nicht dringend.

Ganz anders stellt sich die Situation am Brenner dar: Niemand kann eine tatsächliche Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene garantieren. Und angesichts erwartbarer Kostensteigerungen ist das Projekt hochriskant und verkehrspolitisch fragwürdig. Wer darauf in Zeiten knapper Geldmittel politisch beharrt, handelt verantwortungslos, weil wider besseres Wissen. Leider ist der Brenner-Basistunnel einem vernünftigen Diskurs längst entzogen, nüchternem Innehalten stehen fragwürdige lokalpolitische Argumente und eine Sondergesellschaft entgegen, deren Selbsterhaltung mit dem Projekt verknüpft ist. Im europäischen Kontext erscheint es vernünftig, erst einmal die Wirkungen der Schweizer Alpentransversale Rotterdam-Genua (ab 2016 in Vollbetrieb) abzuwarten.

Generell ist die größte Herausforderung für die Bahn die Bewältigung des zunehmenden Nahverkehrs in Ballungsräumen. Die dafür nötigen Projekte werden so wie die Beschaffung attraktiver Nahverkehrszüge immer wieder verschoben. Insgesamt fehlt eine verkehrspolitische Strategie des Bundes, mit Zielen und Schwerpunkten. Dadurch beschränkt sich die Diskussion auf oberflächliche, subjektive Einschätzungen einzelner Projekte. Eine systematische Begründung, die Abwägung von Nutzen und Kosten fehlt wohl nicht zufällig. Wenn aber Bahnprojekte nicht vergleichbar sind, werden Prioritäten nach politischem Belieben festgelegt.