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Ein Umdenken muss stattfinden

Von Stefan Haderer

Gastkommentare

Dass die Bevölkerung allein für den Anstieg der Infektionen und die wachsende Arbeitslosigkeit verantwortlich ist, ist nur die halbe Wahrheit. Die Regierung muss endlich transparent, einheitlich und nachvollziehbar kommunizieren und agieren.


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Die Lage ist ernst. Ein zweites Mal wird Österreich in der Corona-Pandemie also wie ein Computer "heruntergefahren" in der Hoffnung, die Spitäler durch diese äußerste Maßnahme nachhaltig zu entlasten. Ein Umdenken ist jetzt mehr denn je erforderlich, um dieses gefährliche Wechselspiel aus Öffnung und Shutdown künftig zu unterbinden. Und zwar nicht nur innerhalb der Bevölkerung. Denn dass diese allein für den Anstieg der Infektionen und die wachsende Arbeitslosigkeit verantwortlich ist, ist nur die halbe Wahrheit. Die Regierung muss endlich damit anfangen, transparent, einheitlich und vor allem für die Bevölkerung nachvollziehbar zu kommunizieren und zu agieren.

Regeln müssen für alle gleichermaßen gelten

Kam Österreich noch relativ glimpflich durch den ersten Lockdown, so wuchs nach der Öffnung im Sommer nicht nur die Achtlosigkeit, sondern auch die Zahl der Skeptiker und Kritiker. Politiker und Gesundheitsexperten schaffen es bis heute nicht, transparent und verständlich darzulegen, wie sie zu ihren täglichen Infektionszahlen kommen. Zu viele Datenpannen und falsche Zahlen sorgen für Verunsicherung. Auch die Definition, wer als Corona-Fall gilt und wer nicht, unterscheidet sich von Land zu Land. Die Auswahl des Experten- und Beratergremiums, auf das sich die Regierung stützt, ist ebenso alles andere als transparent, denn sie erfolgt oft nach rein politischen Erwägungen. Man zieht nicht am selben Strang. Verwundert es da, dass auch die Bevölkerung nicht am selben Strang zieht?

Die Pandemie legt auch offen, wie gespalten und uneinheitlich die Europäische Union eigentlich ist. Die Gefahr einer Epidemie, die von Wildtieren ausgeht oder durch den Klimawandel begünstigt wird, hat die Menschen nicht kalt erwischt. Sie war vorhersehbar. In der "Sicherheitspolitischen Jahresvorschau" des Österreichischen Bundesheeres wurde davor sogar gewarnt. Wo blieb die Vorbereitung? Warum wurde kein EU-Gremium mit internationalen Expertinnen und Experten dazu gegründet, das sich für ein einheitliches Vorgehen starkmacht? Dies hätte womöglich verhindern können, dass manche Regierungschefs die Corona-Krise jetzt als willkommene Gelegenheit betrachten, ihre Machtbefugnisse auf bedenkliche Weise auszubauen. Autoritäre Tendenzen nach Vorbild Chinas oder Singapurs machen die EU nicht stärker, sie schwächen sie.

Doch Einheitlichkeit bedeutet auch gleiche Rechte und Pflichten für alle. Reiseverbote und Quarantäne-Beschränkungen, die für die breite Bevölkerung gelten, aber von denen eine kleine Elite aus Politikern und Geschäftsleuten ausgenommen ist, spalten die Gesellschaft. Wie halbherzig sich manche Politiker selbst an jene Regeln halten, die sie den Menschen aufbürden, hat nicht nur Noch-US-Präsident Donald Trump bewiesen. Auch die Maßnahmen müssen einheitlich sein - insbesondere in Bezug auf Quarantäne-Vorschriften und Reisewarnungen, durch die der Dienstleistungssektor auf dem Boden liegt.

Zu viele offene Fragen und Zweifel an der Sinnhaftigkeit

Bis jetzt gestaltet sich die Corona-Politik für viele Menschen als widersprüchlich und wenig nachvollziehbar. Politiker weigern sich, ihre Regulierungen verständlich zu erklären, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus eigenem Unvermögen. Warum sprach sich die WHO etwa anfangs gegen die Verwendung von Masken aus? Weshalb genügt in Österreich ein Sicherheitsabstand von einem Meter ("Kurz-Abstand"), während es in Deutschland mindestens zwei Meter sein müssen? Wieso hat man mit dem zweiten Lockdown noch Halloween abgewartet, wo viele Partys stattfinden konnten? Und was kommt nach den Weihnachtsfeiertagen auf uns zu? Können angedachte Massentests die Spitäler entlasten? Fragen über Fragen, die die Menschen täglich beschäftigen und Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen schüren.

Aber auch in der Umsetzung häufen sich die Widersprüche: Warum ist das Infektionsrisiko in teils überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln laut einigen Experten geringer als in einem Restaurant, wo man sich registrieren muss und mit Abstand zu anderen sitzt? Weshalb müssen Lokale im zweiten Lockdown ganztägig schließen, wo doch kaum Infektionen in Gaststätten nachgewiesen wurden? Peter Dobcak, Vertreter der Gastronomie in der Wirtschaftskammer, verteidigte die Gästeregistrierung, einen Eingriff in den persönlichen Datenschutz, mit dem Argument, man verhindere dadurch eine frühe Sperrstunde. Jetzt müssen Wirte und Restaurantbesitzer bangen, nach dem Winter überhaupt wieder aufsperren zu können.

Ja, der zweite Lockdown hätte in Österreich und anderen Staaten verhindert werden können. Die Sündenböcke dafür nur in der Bevölkerung zu suchen, indem man etwa Jugendliche pauschal als "Superspreader" beschuldigt, greift allerdings zu kurz. Die Bundesregierung hat in erster Linie in ihrer Kommunikation gegenüber der Bevölkerung versagt. Es bleibt zu hoffen, dass sie künftig auf vernünftige Art Orientierung und eine Perspektive vermitteln wird, denn Hysterie und Panikmache sind in jeder Krise schlechte Ratgeber.