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Ein Umschlag für den Arzt

Von Martyna Czarnowska

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Nicht Bestechung im großen Stil macht vielen Rumänen zu schaffen, sondern die kleine Korruption im Alltag.


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Wien, sagt Ion, sei die wunderbarste Stadt, die er kenne. "Allein schon die Infrastruktur, die U-Bahn, die Straßenbahnen", schwärmt der 34-jährige Bukarester Barkeeper: "Du willst Schloss Schönbrunn sehen? Bitte sehr, die U-Bahn bringt dich dorthin. Du willst mit dem Fahrrad in die Arbeit fahren? Kein Problem, es gibt Radwege." Wien sei touristenfreundlich - und wisse sich ausgezeichnet zu verkaufen.

Sein Land hingegen, Rumänien, könne sich gar nicht gut vermarkten, findet Ion. Und die Infrastruktur sei zum Vergessen. Zum Dracula-Schloss etwa, das sich durchaus als Touristenattraktion eignen würde, fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel. In Bukarest wiederum, wo parkende Autos den halben Gehsteig blockieren, sei Radfahren so gut wie unmöglich. "Aber was willst du machen in einem Land, wo du dein Auto überall hinstellen kannst und, anstatt Strafe zu zahlen, drückst du dem Polizisten einen Geldschein in die Hand?"

So ist Ion schnell bei einem der Themen angelangt, die ihn am meisten aufregen: Korruption in Rumänien. Die Politiker sagten, sie bekämpfen Korruption, aber es tue sich wenig, erklärt Ion. Bei der Polizei, im Bildungswesen, im Gesundheitsbereich - überall werde geschmiert. "Im Krankenhaus wirst du nicht angesehen, bevor du nicht einen Umschlag überreichst", sagt Ion.

Es ist die Korruption im Alltag, die etlichen Rumänen zu schaffen macht - auch wenn die Menschen politische Parteien und das Parlament ihres Landes als die bestechlichsten Institutionen ansehen. Doch laut Umfragen der Nichtregierungsorganisation Transparency International (TI) fließen die "kleinen Schmiergelder" meist im Gesundheitsbereich. Fast jeder vierte Befragte hat für medizinische Versorgung extra gezahlt. Polizisten haben 13 Prozent bestochen; im Justizwesen schmierten acht Prozent der Befragten. Allerdings gaben fast drei Viertel der Menschen an, innerhalb eines Jahres überhaupt nicht bestochen zu haben.

Und die Ablehnung der Korruption werde immer größer, glaubt Iulia Cospanaru, Vizedirektorin der rumänischen TI-Sektion. "Unter den Menschen wächst das Bewusstsein, dass es nicht in Ordnung ist, zu bestechen."

In erster Linie liege es aber am politischen Willen, Korruption zu bekämpfen. Der Druck, den die EU auf die Regierung in Bukarest ausübe, schade dabei keinesfalls, meint Cospanaru. Als Problem des Brüsseler Monitorings sieht sie jedoch an, dass lediglich abgehakt werde, wenn ein neues Gesetz beschlossen wird. "Dabei ist nicht nur der legislative Rahmen entscheidend, sondern vielmehr die Umsetzung der Gesetze." Dafür aber fehlten die administrativen Kapazitäten.

Dem entgegenzuwirken fällt Rumänien - wie anderen Ländern - in Zeiten von Wirtschaftskrisen allerdings schwer. Die Regierung in Bukarest muss sparen, nicht zuletzt wegen Drucks internationaler Kreditgeber. So wurden im Vorjahr die Beamtengehälter gekürzt; etliche Stellen im öffentlichen Dienst wurden gestrichen.

Und es sind gerade die niedrigen Gehälter, die etliche Menschen anfällig für Korruption machen. In einem Land, wo der Durchschnittslohn bei 350 Euro liegt, wo ein Arzt regulär nicht viel mehr als 500 Euro verdient, ist die Versuchung groß, Schmiergeld anzunehmen.

So mancher Rumäne entzieht sich diesem Kreislauf, indem er in eine private Arztpraxis geht. Doch auch dafür muss er eine bestimmte Geldsumme aufbringen.