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Ein Unbequemer muss weg: "Natürlich gehe ich im Zorn"

Von Christian Mayr

Wissen

Per 31. Dezember wird Pflegeombudsmann abgeschafft. | Werner Vogt reitet zum Abgang heftige Attacken gegen Stadt. | "Sorge, dass so etwas wie Lainz-Skandal wieder passiert."


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"Wiener Zeitung":Herr Vogt, Ihre letzten Tage als Pflegeombudsmann sind angebrochen. Werden Sie im Zorn oder im Guten gehen?Werner Vogt: Natürlich im Zorn. Ich habe nicht vorgehabt, dass man eine Einrichtung, die eine gute Erfindung war und so hilfreich ist, mit Gewalt zerschlägt. Dass man sie ohne die Bevölkerung zu informieren zusperrt, ist eine Frechheit und macht mich zornig. Aber es waren drei wunderbare Jahre für mich.

Sie können eine erfolgreiche Bilanz ziehen?

Ja. Wir konnten von Null auf etwas erfinden und gestalten, ohne dass uns jemand dreingeredet hat. Weisungsfrei und unabhängig zu sein, ist ein großer Schatz. Und noch besser war, dass man die Erfahrungen aus der Arbeit öffentlich darstellen konnte.

Aber die Pflegeombudsstelle wird ja nicht komplett abgeschafft, sondern ab 1. Jänner nur neu strukturiert.

Es ist fadenscheinig, dass die Politik gesagt hat, wir legen diese Stelle mit der Patientenanwaltschaft zusammen. Das schaut in der Praxis so aus, dass eine Sekretärin und eine Sozialarbeiterin zu Patientenanwalt Walter Dohr wechseln. Unsere Einrichtung hier im Geriatriezentrum am Wienerwald wird samt sieben Mitarbeitern geräumt - und das wird auch noch verheimlicht! Die Menschen, denen wir das beibringen, sind von den Socken.

Die neue Anlaufstelle ist nicht adäquat?

Sicher nicht. Die neue Stelle ist die alte Stelle. Denn der Patientenanwalt war immer auch für Fälle in der Altenpflege zuständig.

Und dort hatte die Pflege nicht jene Aufmerksamkeit?

Keinesfalls. Bis zum Jahr 2003, als unsere Stelle nach dem Lainzer Pflegeskandal gegründet wurde, sind pro Jahr 20 bis 30 Beschwerden aus der Pflege beim Patientenanwalt eingelangt. Bei uns hatten wir auf Anhieb 100 Fälle und mehr als 1000 Anrufe. Bis jetzt haben wir in drei Jahren rund 10.000 Informationsgespräche und 2200 Interventionen durchgeführt. Bei uns wussten die Angehörigen, dass da jetzt wer ist, der einem zuhört. Die, die zu uns kamen, wurden ja vorher überall abgeschasselt. Wir sind jedem Fall nachgegangen - und dadurch haben wir etwas verändert.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass man um Jahre zurückfällt?

Diese Sorge ist riesengroß. Aber es ist klar, dass hier etwas unternommen wird, weil man mich los werden will. Denn die Politik hat ein Ruhebedürfnis, und das ist stärker als das Veränderungsbedürfnis. Das Ruhebedürfnis hat einfach gesiegt, die roten Pratzerln haben sich gehoben und gesagt: ,Weg mit Vogt!

Gehen Sie nun in Pension oder bleiben sie der Altenpflege erhalten?

Ich werde natürlich versuchen, als Person nicht zu verschwinden. Konkret habe ich zwei Projekte: Zum einen eine Altenstiftung, um damit gute Projekte zu unterstützen - mit dem Hintergedanken, dass es wieder eine Anlaufstelle wird. Zum anderem gibt es Institutionen, die meinen, dass es eine Bundes-Pflegeombudsstelle geben soll. Das wäre schon ein großer Traum. Man wird sehen, wie man es bei der Politik unterbringt. Bis dahin werde ich einmal pro Woche am Pflegetelefon des Sozialministeriums unter 0800/ 20 16 22 zu erreichen sein.

Gibt es Zustände wie 2003 in Lainz - mit verwahrlosten, ruhig gestellten Personen - überhaupt nicht mehr?

Nein. Die öffentliche Diskussion hat viel Sensibilität und entsprechend Druck erzeugt. Es gibt viele qualifizierte Pflegekräfte, die nun sofort losrennen würden. Es wurde auch der Schlüssel eingeführt, dass auf 100 Patienten 60 Pfleger kommen müssen, vorher fehlte es auch massiv an Personal.

Aber wir hören bereits, dass es sich langsam wieder umdreht und man beginnt, Abteilungen zusammenzulegen und Nachtdienste zu kürzen. Wenn das also so weitergeht, wird wieder etwas passieren.

Wie beurteilen Sie die neuen Wiener Pflegeheime? Entsprechen diese dem Pflegekonzept der Zukunft?

Überhaupt nicht. Ich nehme das Beispiel Liesing: Dort wird ein Haus für 300, 400 Personen gebaut. Aber das ist eine Wiener Heimkrankheit: Weder in Tirol, noch in Linz, noch in Kärnten stellt man solche Großheime auf. Ideal sind Häuser für 50 Personen - und diese rechnen sich genauso.

Auf der anderen Seite ist die Pflege zu Hause sehr teuer. Was wäre Ihr Lösungsansatz?

Ich glaube immer noch, dass die Pflege zu Hause nicht teurer ist. Man könnte sie, so wie in München, in kleinen regionalen Zirkeln organisieren. Dort wird es sehr gut gemacht - nicht so chaotisch wie in Wien. Das würde von Stützpunkten aus organisiert und so müsste auch nicht jedes Mal ein anderer Pfleger kommen, was ganz wichtig ist. Unbestritten ist ja, dass es den Pflegenotstand - den Mangel an genügend Kräften - gibt.

Die "Wiener Zeitung" hat jüngst über Bevorzugung von Privatpatienten an Spitälern berichtet. Sie hätten daraufhin eine U-Kommission leiten sollen. Wundert Sie, dass nicht untersucht wird?

Nein, das wundert mich nicht. Das ist ein Riesenunrechtsproblem im Gesundheitssystem, das beseitigt werden muss. Aber die, die daran verdienen - Ärzte und Versicherungen - haben einen besseren Zugang zur Macht und zur Politik. Und wenn sich Gesundheitsstadträtin Renate Brauner hinstellt und sagt, sie weiß von nichts - dann gehört sie eigentlich entlassen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es einmal im Parlament einen U-Ausschuss dazu gibt.

Einige meinen, durch dieses 2-Kassen-System bleiben die Spitzenmediziner im Land, weil sie so mehr verdienen.

Das ist wohl der größte Unsinn! Niemand würde fliehen, wenn mehr Gerechtigkeit eintritt.

Sie sind für eine strikte Trennung von Privatkliniken und öffentlichen Spitälern?

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, es soll sich jeder Arzt entscheiden: Will er privat arbeiten, dann soll er dort hingehen; er darf aber nicht gleichzeitig da und dort sein.

Was ist Ihr dringendster Wunsch an eine neue Bundesregierung?

Dass das Grundrecht auf Heilung, Behandlung und Pflege in der Verfassung verankert wird. Das würde viel verändern - denn der, der diese Garantie gibt, müsste auch für die Einrichtungen sorgen.

Zur Person

Werner Vogt, geboren 1938 in Landeck (Tirol), arbeitete als Unfallchirurg und kritischer Publizist (Sozialstaat-Volksbegehren). Er half bei der Aufdeckung der NS-Gräuel am Spiegelgrund mit. Nach dem Pflegeskandal in Lainz wurde er 2003 Pflege-Ombudsmann.