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Ein unendlicher Abschied

Von Thomas Seifert

Politik

Der Brexit ist kein Moment, sondern ein Prozess - London steht nun vor der Aufgabe, Handelsabkommen auszuhandeln.


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Get Brexit done" - drei Worte, mantraartig vorgetragen, das Glaubensbekenntnis des britischen Premiers Boris Johnson. Seit Mitternacht ist es so weit: "Ein großer Moment für unser Land", tönt Johnson. Ein Moment voller Hoffnung und Möglichkeiten, aber auch einer des Zusammenkommens im Geiste der Zuversicht.

Salbungsvolle Worte.

Aber wie geht es nun nach dem Brexit-Day am gestrigen Freitag weiter?

Hugo Brady, früherer Berater des Ex-EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und derzeit "Visiting Fellow" am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien, sagt: "Der Brexit ist nicht in einem Moment einfach vorbei, sondern muss als Prozess verstanden werden."

Begonnen hatte alles im Jänner 2013, als der glücklose konservative Premier David Cameron das Versprechen eines EU-Referendums abgab, um seine Karriere zu retten. Dieses Referendum fand dann an jenem schicksalhaften Donnerstag, den 23. Juni 2016 statt. Mit 51,89 Prozent stimmten die Briten für den Brexit (48,11 Prozent dagegen).

Seit heute ist nach dreieinhalb Jahren, zwei verschlissenen Premierministern und zwei Unterhauswahlen Großbritannien nicht mehr Mitglied der Europäischen Union.

Und damit endete nach 17.196 Tagen, was am 1. Jänner 1973 mit Großbritanniens Beitritt zur EU-Vorgängerorganisation EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) begonnen hatte. In einem Referendum am 5. Juni 1975 hatten die Wählerinnen und Wähler den Europa-Beitritt damals übrigens mit einer deutlichen Zwei-Drittel-Mehrheit (67,23 Prozent) begrüßt.

Wie geht es nun weiter?

Der irische Staatsbürger Hugo Brady hält die Verhandlungen zu Handelsabkommen für schwieriger als jene über das Austrittsabkommen, das Risiko für einen No-Deal-Brexit Ende dieses Jahres sieht er bei "49 zu 51 Prozent". Bei einem Pressefrühstück am IWM an der Spittelauer Lände betonte Brady, dass das ausstehende Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union das erste Abkommen in der Geschichte sei, bei dem die Verbindungen gelockert und nicht gestärkt werden würden. Bis 31. Dezember 2020 müsste jedenfalls ein neues Handelsabkommen stehen. Für den 15. und 16. Oktober ist ein Europäischer Rat der Staats- und Regierungschefs angesetzt, bis zu diesem Datum sollte ein entscheidungsfähiges Papier auf dem Tisch liegen. Der Weg bis dorthin ist freilich mit Stolpersteinen gepflastert: Über das emotional aufgeladene Thema Fischerei wird bereits jetzt gestritten. Die Position des Finanzdienstleistungszentrums London ist ebenfalls gefährdet, denn es ist kaum vorstellbar, dass die EU auf längere Sicht akzeptieren wird, dass der wichtigste Finanzhandelsplatz Europas nicht EU-Regularien unterworfen wird. Frankfurt, Amsterdam und Paris bemühen sich bereits jetzt darum, Geschäfte, die bisher über London abgewickelt wurden, an Land zu ziehen.

UK-EU-Handelsabkommen

Die Brexit-Befürworter wurden nicht müde, auf die Außenhandels-Chancen, die sich nach dem Austritt aus der EU ergeben, hinzuweisen: Ein Handelsabkommen mit den USA wird aber wohl kaum vor den US-Präsidentschaftswahlen am 3. November unter Dach und Fach sein: Normalerweise vergehen Jahre und nicht Monate, bis derart komplexe Vertragswerke fertig sind. Großbritannien hat seit 1973 - dem Beitritt zur EWG - kein Handelsabkommen mehr abgeschlossen, es fehle, so Brady, Erfahrung in den Institutionen. Zudem ist ein Handelsabkommen mit der EU bedeutsamer: 45 Prozent aller Exporte gingen im Jahr 2018 in die Europäische Union. Wie ein solches Handelsabkommen aussehen wird, ist heute aber noch völlig unklar.

Brady rechnet damit, dass in der elfmonatigen Übergangsphase ein "vorläufiger Gesetzesrahmen" und ein vorläufiges Handelsabkommen geschaffen werden könnte, das erst später im Detail ausverhandelt wird. Der Brexit ist noch lange nicht erledigt.