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Ein untoter Paragraf

Von Solmaz Khorsand

Politik

Ein Jahr teilbedingte Haft für deutschen Studenten Josef S. wegen Teilnahme an Protesten gegen den Akademikerball.


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Wien. Die Familie nimmt das Urteil gefasst. Man hat damit gerechnet, wird die Mutter später sagen. Schuldig. So lautet das Urteil gegen Josef S., jenem deutschen Demonstranten aus Jena, der maßgeblich an den Ausschreitungen rund um den Akademikerball am 24. Jänner beteiligt gewesen sein soll. Der 23-Jährige wurde wegen Landfriedensbruchs, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung Dienstagnachmittag am Wiener Landesgericht verurteilt.

Der Schöffensenat verhängte über den jungen Mann eine teilbedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr. Vier Monate wurden unbedingt ausgesprochen, den Rest der Strafe sah das Gericht dem bisher Unbescholtenen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit auf Bewährung nach. Da dem 23-Jährigen die Untersuchungshaft auf die Strafe anzurechnen war - der Angeklagte hat seit seiner Festnahme knapp sechs Monate im Gefängnis verbracht -, wurde er nach der Verhandlung freigelassen.

"Gott sei Dank leben wir in keinem Überwachungsstaat"

Der Senat ging davon aus, dass der Angeklagte Polizisten in jener Nacht unter anderem mit Steinen beworfen, die Eingangstür der Polizeinspektion Am Hof mit einer Eisenstange zertrümmert und mit derselben Stange gemeinsam mit anderen Tätern ein Polizeiauto demoliert hatte, ehe er eine gezündete Rauchbombe ins Fahrzeuginnere warf. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Verteidigung erbat Bedenkzeit. Der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel.

Der Richter begründete den Schuldspruch zum Großteil wegen der Ausführungen des Belastungszeugen, jenem Polizisten in Zivil, der sich vor Gericht immer wieder in Widersprüche verstrickt hat: "Warum glaubt der Senat dem Zeugen? Weil er von Anfang an bei den wesentlichen Punkten gleichlautend aussagt und diese nicht abändert. Er schreibt im ersten Aktenvermerk schon die wesentlichen Punkte hinein. Dass er manches vergessen hat, ist verständlich - er hatte einen anstrengenden Tag und war in einer Stresssituation", sagte der Richter bei der Urteilsverkündung.

"Natürlich ist eine Aussage ein schwaches Beweismittel, aber man muss auch auf Zeugen bauen können", erklärte der Richter weiter, "wir leben Gott sei Dank in keinem Überwachungsstaat, wo jeder Beamte eine Kamera hat, wo Drohnen herumfliegen."

In den sozialen Medien ist man erschüttert über das Urteil. Poster sprechen von Skandal und mokieren sich über die Unabhängigkeit der österreichischen Justiz. "Im Zweifel gegen den Angeklagten", wird da getwittert. Bis zum Ende bleibt für viele Beobachter die Beweislage dünn. Was am letzten Verhandlungstag mit Sicherheit feststand: Josef S. hat in jener Jännernacht an der Demonstration gegen den Akademikerball teilgenommen und er hat an einem Mistkübel hantiert.

Der Vorwurf, dass er diesen Mistkübel oder andere Gegenstände geworfen hat, wie der Hauptbelastungszeuge mehrfach behauptete - konnte von keinen anderen Zeugen und auch nicht durch das Videomaterial bestätigt werden. Fraglich bleibt auch, ob er tatsächlich eine Rauchbombe in den Wagen eines Polizeiautos geworfen hat. Ein Gutachten - das erstmals in dieser Form auf österreichischen Boden durchgeführt wurde - hat ergeben, dass sich drei Nitratartikel auf seinem rechten Handschuh befunden haben. Sie stehen "mit dem Zünden eines pyrotechnischen Gegenstandes mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang", meinte die Gutachterin am Montag. Auf die Frage der Verteidigung, ob auch die Übertragung durch eine andere Person möglich wäre, meinte die Gutachterin am Montag: "Eine Kontamination ist möglich."

76 Verurteilungen in 15 Jahren

Einen weiteren Anlass zur Debatte bietet der berüchtigte Paragraf 274 des Strafgesetzbuchs: Landfriedensbruchs. Wer wissentlich an einer "Zusammenrottung" teilnimmt, die auf Mord, Totschlag, Körperverletzung oder schwere Sachbeschädigung abzielt hat mit einem Strafmaß von zwei beziehungsweise. drei Jahren zu rechnen, je nachdem, ob "führend" an der "Zusammenrottung" teilgenommen wurde. Bisher galt der Paragraf als totes Recht. Doch wer einen Blick in die Statistik wirft, wird bemerken. So tot ist der Paragraf gar nicht. In den vergangenen 15 Jahren gab es 76 Verurteilungen. Das höchste Strafmaß betrug 6 bis 12 Monate Freiheitsstrafe, die in 11 Fällen verhängt wurde, heißt es aus dem Justizministerium. Alle in den Bundesländern Wien und der Steiermark. Bisher meinen Strafrechtler, kam er lediglich, im Zusammenhang mit Fußballhooliganismus zum Einsatz.

Kritiker befürchten nun: Das aktuelle Urteil ist nur der Anfang einer gefährlichen Entwicklung. In Zukunft werde das Demonstrations-und Versammlungsrecht mit diesem Paragrafen ausgehöhlt werden. Ist davon auszugehen? Wird die österreichische Justiz den Paragrafen in Zukunft immer wieder einsetzen, wenn sie sich nicht anders zu helfen weiß?

"Möglich ist das schon, aber ein funktionierender Rechtsstaat korrigiert sich selbst. Dafür gibt es Instanzen, damit das korrigiert wird, wenn ein erstinstanzlicher Richter über das Ziel schießt. Man muss da nicht in große Panik ausbrechen", gibt sich der Jurist Richard Soyer, Universitätsprofessor für Strafrecht, zuversichtlich.

Für Josef S. steht nun fest. Er ist auf freien Fuß. Seine Anhänger haben verkündet, dass sie bei einem Schuldspruch von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen werden. Am Samstag wollen sie sich um 18 Uhr beim Stephansplatz versammeln.