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Ein unverwüstlicher Winzling

Von Andreas Lorenz-Meyer

Wissen

Dem FoxO-Gen verdankt die Hydra die ständige Erneuerung ihrer Stammzellen.


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Hamburg. Herkules sollte die Hydra erledigen, ein zischendes neunköpfiges Ungeheuer, dem für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwuchsen. Daher musste Jolaos dem Helden zur Hilfe eilen. Mit einer Fackel brannte er die neu wachsenden Häupter "bei ihrem ersten Emporkeimen" aus. Dann trennte Herkules das unsterbliche Haupt vom Schlangenleib, begrub es am Weg und wälzte einen schweren Stein darüber.

Der Süßwasserpolyp Hydra ist nur einen Zentimeter groß.
© Foto:CAU/Fraune

Bei der Hydra, die heute in Laboren untersucht wird, handelt es sich nicht um ein Monster, sondern um einen winzigen Süßwasserpolypen von etwa einem Zentimeter. Zu seinem Namen ist er gekommen, weil sein Kopf ebenfalls nachwächst, nicht ganz so schnell wie bei der Schlange aus der Sage, aber immerhin in gut drei Tagen.

Der Grund für die Unverwüstlichkeit: Die Tierchen verstehen es, ihre Stammzellen ständig zu erneuern. Dadurch zögert sich die Alterung hinaus, und zwar so weit, dass die Hydren "potenziell unsterblich" sind. Das muss auch so sein, denn andernfalls würden die Polypen aussterben. Sie vermehren sich durch Knospung, also ungeschlechtlich. Voraussetzung dafür ist die ständige Teilungsfähigkeit der Stammzellen.

An der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel haben Forscher entdeckt, dass es dem FoxO-Gen zu verdanken ist, dass sich die Stammzellen der Hydra permanent erneuern. Um die Rolle dieses Gens zu ergründen, züchtete man eigene Polypen. Anna-Marei Böhm vom Zoologischen Institut: "Wir haben eine genetisch veränderte Sequenz in das Tier gegeben, welche das Gen inaktiviert." Ohne FoxO sank die Fähigkeit der Mutanten, ihre Stammzellen zu erhalten. Sie alterten also.

Mit den Hydren besitzt die Wissenschaft nun ein lebendiges Experimentier-Modell, um das Langlebigkeits-Gen weiter zu erforschen. Was umso interessanter ist, da FoxO auch beim Menschen vorkommt. Durch Versuche an Zellkulturen ist bekannt, dass dieses Gen eine Rolle in der Erhaltung von Stammzellen spielt. Normalerweise hören diese im Alter auf, sich zu erneuern. Sie können dann alte, beschädigte Zellen nicht mehr ersetzen. Der Abbau von Muskeln beginnt, auch der Herzmuskeln. Nerven- und Immunsystem sind ebenfalls betroffen.

Kann FoxO diesen unvermeidlichen Prozess aufhalten? Es gebe einen Zusammenhang zwischen einer Variante des FoxO-Gens und sehr hohem Alter, sagt Böhm. Hundertjährige tragen vermehrt diese Variante. Das Gen scheint also das Altern und die Langlebigkeit zu beeinflussen. Die Forscher wollen den Menschen aber nicht unsterblich machen. Böhm: "Das wird uns nicht gelingen und niemals unser Ziel sein. Das Altern ist von vielen Faktoren abhängig: Genetik, Umwelt, Lebenswandel. Die Genetik beeinflusst es zum Beispiel nur zu 20 Prozent."

Ein Problem des Alters ist auch der Vitamin-D-Mangel

Eine Gensequenz wird in einen Hydra-Embryo injiziert.
© Foto:CAU/Fraune

Die eigentliche Frage hinter den Hydra-Versuchen lautet: Welche Mechanismen und Gene liegen dem Altern des Menschen zugrunde? Mit Hilfe dieser Informationen könnten Menschen länger gesund leben als heute, was einen handfesten ökonomischen Hintergrund hat. Die Gesundheitskosten sollen sinken oder zumindest nicht weiter steigen.

Zu den Beschwerlichkeiten der späten Jahre gehören oft auch instabile Knochen. Die Geriatrie-Professorin Heike Bischoff-Ferrari vom Zentrum für Alter und Mobilität in Zürich leitet eine internationale Studie zu diesem Problem. 2000 Probanden nehmen an dem Versuch teil, alle über 70 Jahre alt. Sie müssen jeden Tag Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren einnehmen und ein kleines Sportprogramm absolvieren.

Vitamin-D wird kaum über Nahrung aufgenommen, sondern vor allem in der Haut produziert, und zwar mittels UVB-Strahlung. Der Mensch muss sich daher regelmäßig der Sonne aussetzen, um Vitamin D zu bilden. Es ist vor allem für den Calciumgehalt in den Knochen wichtig. Haben diese zu wenig Calcium, kommt es zu Osteomalazie, einer schmerzhaften Knochenerweichung, die häufig Stürze nach sich zieht. Das betrifft vor allem Menschen fortgeschrittenen Alters. Jede dritte Frau und jeder sechste Mann im neunten Lebensjahrzehnt hatte schon einen Hüftbruch. Grund ist die unzureichende Vitamin-D-Konzentration im Blut. 50 Nanogramm pro Milliliter sollten es sein. 75 werden als ideal angesehen. Senioren bilden aber aufgrund ihres Alters weniger Vitamin D. Zudem halten sie sich seltener im Freien auf, weshalb der Vitamin-D-Wert sogar im Sommer oft zu niedrig ist.

Vitamin-D-Pillen sollen die Gefahr von Knochenbrüchen senken. Durch Einnahme von 700 bis 1000 Internationalen Einheiten pro Tag könnten etwa 20 Prozent aller Stürze und Knochenbrüche, auch die an der Hüfte, vermieden werden, meint Bischoff-Ferrari.

Die Forscher in Zürich hoffen auf eine Sensation: dass sich die Lebensqualität im Alter mit einfachen und günstigen Mitteln verbessert. Ergebnisse sind aber erst 2018 zu erwarten.