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Ein Urteil hallt tausende Kilometer weit

Von Martyna Czarnowska

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Das Rechtsgutachten zum Status des Kosovo gibt auch anderen Regionen die Hoffnung auf Unabhängigkeit.


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In seinem Namen steckt das Wort "schwarz" und auch "Garten". In einer anderen Sprache kommen darin ebenfalls die Berge zur Geltung. Für Nagorno Karabach, Berg Karabach, trifft all das zu. Wenn die Sonne untergegangen ist, zeichnen sich die Konturen der schwarzen Bergrücken scharf gegen das Firmament ab; im Tageslicht schimmern die weiter unten gelegenen Wiesen in sattem Grün.

Die Region im Südkaukasus hat mehrere Namen: einen aserbaidschanischen, einen armenischen, einen russischen. Das Wort Karabach hat sowohl türkische als auch persische Wurzeln. Die Menschen, die dort leben, nennen das Land Arzach, wie das Königreich, das sich im frühen Mittelalter dort erstreckte.

Die Menschen, die dort leben, würden es am liebsten bei diesem Namen belassen - und bei diesem Staat, den so gut wie niemand anerkennt. Denn seit Jahrzehnten ist Berg Karabach umstritten, das das kommunistische Zentralkomitee nach dem Ersten Weltkrieg der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan zugeschlagen hatte. Doch lebten damals viel mehr Armenier dort als Azeris, und Armenien hat auch den Anspruch auf das Gebiet nicht aufgegeben.

Der Zwist entlud sich vor knapp 20 Jahren in Vertreibungen, Kämpfen, Morden. Moskau entsandte Truppen; Soldaten der mittlerweile unabhängig gewordenen Staaten Aserbaidschan und Armenien standen einander gegenüber. Beim Waffenstillstand 1994 hatten Armenien und Karabach-Armenier das knapp 4500 Quadratkilometer große Gebiet samt einer Pufferzone zu Aserbaidschan besetzt.

Seitdem herrscht dort etwas, was in der Diplomatensprache "eingefrorener Konflikt" heißt. Die rund 140.000 Einwohner - großteils Armenier, da die meisten Aserbaidschaner geflohen sind - leben in einem selbsternannten Staat, der einen Präsidenten und einen Regierungssitz hat, aber von fast allen anderen Ländern als illegal angesehen wird. Aserbaidschan verlangt die Rückgabe Berg Karabachs, die Türkei hat aus Rücksicht auf das muslimische Brudervolk ihre diplomatischen Beziehungen zu Armenien abgebrochen und die Grenze zum Nachbarland geschlossen. Dazwischen bemüht sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) um Vermittlung.

Die Führung Berg Karabachs wiederum setzt ihre Anstrengungen zur internationalen Anerkennung des Staates fort. Und sie beruft sich nun auf ein Urteil, das tausende Kilometer weiter westlich veröffentlicht wurde, im niederländischen Den Haag. Der Internationale Gerichtshof hat die Kosovo-Albaner in der Erklärung ihrer Unabhängigkeit von Serbien bestätigt.

Da können westliche Diplomaten noch so oft wiederholen, der Kosovo sei ein Sonder- und keineswegs ein Präzedenzfall. In Stepanakert, der Hauptstadt Berg Karabachs, wird das anders gesehen. Dort erklärte das Außenministerium, dass das Rechtsgutachten "extrem hohe legale, politische und moralische Bedeutung" habe und nicht lediglich auf den Balkanstaat beschränkt bleiben könne. Zum Schluss zeigt sich das Amt sicher, dass auch das Recht der Karabach-Armenier, einen eigenen Staat aufzubauen und zu besitzen, anerkannt werde.

Für Baku, die Hauptstadt von Aserbaidschan, kommt das gar nicht in Frage. Wie Serbien bis jetzt nicht den Verlust seiner ehemaligen Provinz akzeptieren konnte, will auch Aserbaidschan das Gebiet, das es als seines ansieht, nicht aufgeben.

Armenien wiederum pocht auf seinen Anspruch - und verweist etwa auf die zahlreichen Kirchen in Berg Karabach. Die sind dort schon Jahrhunderte gestanden, bevor noch die erste Moschee errichtet wurde.