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Ein Urteil mit Sprengkraft

Von Ronald Schönhuber

Politik

Im erbitterten Streit ums Südchinesische Meer weist das Schiedsgericht in Den Haag die Ansprüche Chinas zurück. Die Entscheidung dürfte die angespannte Lage in der Region noch einmal verschärfen.


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Den Haag/Peking. In dem kleinen Restaurant in Manila standen vielen die Tränen im Gesicht. Andere, wie die Anwältin Joy Ban-eg, hatten die Faust mit trotzig-jubelender Geste in die Höhe gestreckt. Denn anders als noch vor einem Monat, als die Aktivistengruppe um Ban-eg von der chinesischen Küstenwache daran gehindert wurde, am umstrittenen Scarborough Shoal die philippinische Nationalflagge zu setzen, musste diesmal der mächtige Konkurrent im Norden eine bittere und beispiellose Niederlage einstecken.

Denn das Urteil, das der Haager Schiedsgerichtshof am Dienstag im Streit um das ebenso strategisch wie auch wirtschaftlich wichtige Südchinesische Meer gefällt hat, lässt wenig Raum für Interpretation zu. So gibt es nach Ansicht des fünfköpfigen Richterkollegiums keine legale Basis für die weitreichenden Ansprüche Chinas, die vor allem auf der sogenannten Neun-Striche-Linie beruhen. Diese Linie, die teils in unmittelbarer Nähe der Küsten Vietnams, Malaysias und der Philippinen verläuft, wurde erstmals in den späten 1940er Jahren in die offiziellen chinesischen Seekarten eingetragen und gilt für Peking seither als geopolitische Tatsache, über die man nicht zu verhandeln bereit ist. In den Monaten vor der Urteilsverkündung hatte China beinahe schon im Wochentakt verkündet, der Anspruch der Volksrepublik auf fast 80 Prozent des Südchinesischen Meeres sei "unbestreitbar".

Baggerschiffe und Flugpisten

Nach Ansicht des Haager Gerichts, das 2013 von den Philippinen angerufen worden war, ist aber nicht nur die Neun-Striche-Linie nicht zu halten. Auch von den Spratly-Inseln, einer Gruppe von Sandbänken und Korallenriffen, die sich über eine Fläche von fast 427.000 Quadratkilometer erstrecken, kann China keine Ansprüche auf eine sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) ableiten.

Damit fällt die Volksrepublik auch um ein wesentliches Recht um. Denn laut dem UN-Seerechtsabkommen darf ein angrenzender Staat dieses Gebiet in einem 200-Seemeilen-Radius wirtschaftlich exklusiv nutzen, was im Falle der Spratly-Inseln vor allem für das noch immer enorm energiehungrige China von großer Bedeutung wäre. Unter dem Meeresboden des Archipels werden nämlich neben reichen Erzlagerstätten auch große Öl- und Erdgasvorkommen vermutet. Darüber hinaus entfallen zehn Prozent des weltweiten Fischfangs auf dieses Gebiet.

Für wie wichtig Peking die Spratly-Gruppe hält, war schon in den vergangenen Jahren zu beobachten gewesen. Mit großem Aufwand hatten chinesische Baggerschiffe Korallenriffe zu künstlichen Inseln ausgebaut, das Militär errichtete darauf Radarstationen und Start- und Ladebahnen.

"Null und nichtig"

Entsprechend verstimmt dürfte die Führung in Peking nun auch angesichts des Haager Urteils sein. In der staatlichen Nachrichtenagentur Xinuha war bereits unmittelbar nach Bekanntgabe von einem "unbegründeten Urteil" die Rede, das die "Rechtsverdreher des Tribunals" gefällt hätten. In einer Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums wurde die Entscheidung des Schiedsgerichtshofs schlichtweg als "null und nichtig" bezeichnet.

Damit bleibt aber vor allem die Frage offen, wie es nun in dem schon seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt weitergehen soll. Denn rechtlich gesehen ist das Urteil bindend, da sowohl die Philippinen wie auch China Vertragsparteien des UNO-Seerechtsübereinkommens sind, das bei strittigen Fragen eine Klärung durch den Haager Schiedsgerichtshof vorsieht. Eine Handhabe zur Durchsetzung gibt es allerdings nicht, zumal es ausgeschlossen scheint, dass China die laut Urteil illegal aufgeschütteten Inseln nun zurückbaut.

Für die Region dürfte sich die ohnehin schon angespannte Lage damit noch einmal verschärfen. Denn Vietnam, das selbst mit der Volksrepublik in einem bitteren Streit um die Paracel-Inseln liegt, dürfte sich nun ermutigt fühlen, ebenfalls gegen China ins Feld zu ziehen. Japan, das wegen einiger Inseln im Ostchinesischen Meer immer wieder mit Peking aneinander gerät, könnte ebenfalls forscher auftreten.

Laut dem China-Institut Merics könnte die Führung in Peking im Gegenzug weiter militärisch aufrüsten. Das würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die USA auf den Plan rufen, die in der Asien-Pazifik-Region mit China um die Gunst der Anrainer und Machtansprüche buhlen. Trotz heftigen Protests aus China sind die USA in den umstrittenen Gebieten immer wieder mit Kriegsschiffen und Kampfjets unterwegs gewesen, wobei es bereits mehrfach zu hitzigen Wortwechseln mit chinesischen Offizieren kam.