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Auch in Kanada ist das Parlament in der Sommerpause. Als einen der wichtigsten Punkte auf der Tagesordnung für die erste Sitzung im Herbst sieht der kanadische Indigenenminister Robert Nault die Abstimmung über den umstrittenen First Nations Governance Act (FNGA), der eine Neuregelung der politischen Verwaltung der indigenen Völker beinhaltet - jedoch keine Selbstverwaltung vorsieht. Auch der neugewählte Vertreter der Versammlung indigener Nationen (AFN), Phil Fontaine, wehrt sich gegen den FNGA. "Wir müssen ganz von vorne anfangen", gibt er Nault zu verstehen.
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"Die Armut der First Nations (Selbstbezeichnung der meisten Indigenen, Anm.) in Kanada ist ein Leid, das uns alle angeht. Diese Armut kostet Kanada mehr, als ihre Bekämpfung", sagte Fontaine in seiner Antrittsrede. Außerdem müsse "das uns zustehende Recht auf Selbstbestimmung nicht nur anerkannt, sondern umgesetzt werden".
Fontaine, der den Posten als AFN-Grand Chief schon einmal innehatte, gilt als gemäßigt und will mit den Provinzregierungen sowie mit der Regierung in Ottawa erneut an den Verhandlungstisch treten und Kompromisse finden. Sein Vorgänger, Matthew Coon Come, hatte in seiner Amtszeit nach gescheiterten Verhandlungsversuchen mehr Gewicht auf Protestkundgebungen und Blockaden gelegt, um auf die Interessen der indigenen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Letztes Jahr wurde der AFN unter Coon Come die Hälfte des Budgets gestrichen.
Kompromiss aus Angst?
Beobachter schrieben nach der Wahl, dass die rund 600 Chiefs, die der AFN angehören, sich aus Angst, noch mehr finanzielle Unterstützung zu verlieren und die letzten Brücken zur Regierung endgültig abzubrechen, für Fontaine entschieden hätten. Wirtschaftswissenschafter Fred Lazar schreibt in einem Kommentar in der "National Post": "Fontaines Ansatz zu Kompromiss und Partnerschaft (zwischen den Indigenen und den Regierungen, Anm.) ist zum Scheitern verurteilt. Kompromiss ist für Ottawa nur einseitig."
Einer der Hauptpunkte bei den Verhandlungen zwischen Fontaine und Indigenenminister Nault wird der FNGA sein. Die Verordnung soll eine Gesetzgebung über die Verwaltung für Indigene aus dem Jahr 1876, den sogenannten Indian Act, ersetzen. Nault, sowie eine handvoll Indigener, sehen das Gesetz als Chance für mehr Mitbestimmung der First Nations. Doch die Mehrheit der Betroffenen möchte sich bei einem so wichtigen Thema nicht mit einer unausgereiften gesetzlichen Kompromisslösung zufrieden geben.
Kritisiert wird vor allem die fehlende Einbindung der Indigenen in den Gesetzeswerdungsprozess und das auch dieses Gesetz keine Selbstverwaltung der Indigenen vorsieht.
Nault erhofft sich mit dem Gesetz mehr Transparenz über die Finanzen in den Reservaten und eine stärkere Demokratisierung der Nationen. Die Indigenen, die sich gegen den FNGA stellen, betonen aber, dass Korruption und Machtausnutzung die Ausnahme in den Reservaten sind. Sie sagen, Selbstverwaltung ist der beste Weg, um ihre Probleme zu lösen. "Man kann Kolonialismus nicht verbessern, man kann ihn nur abschaffen", so der frühere AFN-Grand Chief Coon Come.
Armut und Ausweglosigkeit
Eines der größten Probleme, das durch den Kolonialismus entstanden ist, ist die wirtschaftliche Abhängigkeit indigener Nationen. Eigentlich müssten einige von ihnen zu den Entwicklungsländern zählen. Ihre Wirtschaft hinkt weit hinter der der Industrieländer nach und auch in Sachen Alphabetisierung und Bildung fehlen vielen Nationen die nötigen Mittel, um einen gewissen Standard zu erreichen.
Erschwert werden die wirtschaftlichen Bedingungen noch durch die Benachteiligung am Markt. Nun wurde auch die Bevorzugung indigener Fische auf dem Markt in Britisch Kolumbien von einem Gericht wegen Diskriminierung nicht-indigener Fischer aufgehoben. Die Fischgründe indigener werden aber oft von Großkonzernen ausgebeutet, oder aber durch sogenannte Fischfarmen verseucht.
Die unrechtmäßige Nutzung indigener Ressourcen hat auch schon die internationale Ebene erreicht. So werfen die USA Kanada vor, Nadelschnittholz auf Kosten Indigener billiger anbieten zu können.
Der Fall der Lubicon Cree in der Provinz Alberta, zum Beispiel, wurde von amnesty international untersucht. Den Lubicon Cree wird seit 60 Jahren ein Reservat versprochen. In der Zwischenzeit sind die Ressourcen auf ihrem Territorium von Konzernen genutzt worden, während die Lubicon Cree weiterhin ohne fließendem Wasser in ihren Siedlungen auskommen müssen. Laut Nault steht nun ein Vertragsabschluss knapp bevor.
Unter ähnlichen Verhältnissen müssen die Algonquins of Barriere Lake, in der Provinz Quebec leben. Sie wurden in den 1960ern zwangsweise in ein Reservat umgesiedelt. "Wir leben hier wie in der dritten Welt", sagt Grand Chief Carol McBride gegenüber der "Wiener Zeitung". Stolz sind die Algonquins of Barriere Lake darauf, dass sie ihre Traditionen und ihre Sprache beibehalten haben. Sie kämpfen für die Selbstverwaltung. "Wir wollen selbst bestimmen, was gut für uns ist."
Auswirkungen auf Kanada
Obwohl es einige indigenen Nationen trotz der Schwierigkeiten geschafft haben, ihre Situation zu verbessern, hat sich der durchschnittlich schlechte Lebensstandard Indigener in diesem Jahr drastisch ausgewirkt: Kanada ist im Human Development Index von Platz eins auf Platz acht gerutscht.
Protestaktionen Indigener - wie Mautsperren oder Straßenblockaden - schaden kanadischen Unternehmen, weshalb Wirtschaftsexperten zu einer raschen Lösung der Landnutzungsfragen raten.
Der UN Beauftragte Rodolfo Stavenhagen, beurteilte die Situation der indigenen Nationen in Kanada im Frühjahr folgendermaßen: "Ich sehe Armut. Ich sehe Völker, die enttäuscht, depressiv, verletzt und verwirrt sind. (...) Ich habe ein Gefühl der Erniedrigung vorgefunden. Sie fühlen sich nicht anerkannt als Völker mit Identität und Geschichte. Die Indigenen leiden unter der Apartheid in Kanada." Solche internationalen Einschätzungen der Situation in Kanada können dem Image des Landes schaden.
Im Jänner dieses Jahres entschuldigte sich die Provinzregierung von Britisch Kolumbien offiziell bei den indigenen Nationen - für Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden. Bleibt zu hoffen, dass aus den Fehlern gelernt wurde.