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"Ein verdammtes Dilemma"

Von Valentine Auer

Politik
Für junge Schauspieler mit und ohne Migrationshintergrund gegründet : Die Schauspielakademie divercitylab.
© Sabine Bruckner und StreetlifeMad

Seit 2010 forciert Wien "Interkulturalität" und "Migrant Mainstreaming" im Kulturbereich. Ein Blick auf Migranten im Wiener Kulturbetrieb der vergangenen Jahrzehnte.


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Wien. 1994. Die damals 24-Jährige in Istanbul geborene Asli Kislal ist seit fünf Jahren in Wien. 1994 betritt sie das erste Mal das Franz-Schubert-Konservatorium für Musik und darstellende Kunst - als Schülerin, aber auch als Ausländerin.

Die Einstellungen der Lehrenden teilen sich, ob Aslis Herkunft, in zwei Pole: "Es gab Lehrer die sagten, ich sei eine schlechte Werbung. Und es gab fortschrittlich denkende Lehrer, die mich so einstuften, dass ich nach zwei Jahren frühzeitig abschließen konnte. Die Lehrer verabschiedeten mich mit den Worten: ‚Da ist dein Diplom, gehe damit nach Deutschland. In Österreich sind wir noch nicht so weit." Nach einem Kurzaufenthalt in Klagenfurt folgte sie dem Ratschlag und lebte einige Jahre als Schauspielerin in Stuttgart.

Erste Schritte: Asli und ihre Türken

Verglichen mit anderen europäischen Städten ist in Wien das Interesse an Migranten, sowohl als Zielpublikum als auch als Produzenten, relativ neu. Laut dem Sozialwissenschafter Ljubomir Bratic kam erstmals zu Beginn der 1990er Jahre Bewegung in das Thema Kultur von und für Migranten: Damals installierte der damalige Kunstminister und heutige Präsident des Bruno-Kreisky-Forums, Rudolf Scholten, einen Subventionstopf für multikulturelle Projekte. 1992 wurde der "Wiener Integrationsfonds" installiert, 2003 wurde eben dieser abgeschafft - und damit erste positive Impulse für inter- und multikulturelle Kulturarbeit geschaffen.

2003 kam Ali Kislal wieder zurück nach Wien. Das Vorgefundene charakterisiert sie als "erstaunlich und grausig": "Mir ist bewusst geworden, wo Wien steht und dass es noch wahnsinnig viel zu tun gibt." Also fing sie an: Sie gründete eine 30-köpfige Theatergruppe aus der später der Kunst- und Kulturverein "dasKunst" entstand. "Ich habe nicht nach Nation gefragt, sondern nach Talenten. Trotzdem wurden wir als Migranten-Theater abgestempelt und Asli und ihre Türken genannt", erzählt Kislal lachend.

Was damals noch relativ neu war, findet seit 2010 in den rot-grünen Regierungsabkommen der Stadt Wien Platz: Kunst und Kultur sollen die Diversität der Stadt widerspiegeln. Mit Begriffen wie "Interkulturalität" und "Migrant Mainstreaming" wurde dieser Gedanke verschlagwortet.

Von gleichen Voraussetzungen migrantischer und nicht-migrantischer Künstler sei man dennoch weit entfernt. Der Geschäftsführer der Bildungs- und Kulturplattform "educult", Michael Wimmer, nennt ein Beispiel: "Es kommt immer noch zu perversen Situationen, in denen weiße Schauspieler eher schwarz angemalt werden, anstatt einen Schwarzen auf die Bühne zu bringen."

Empfehlungen, den vermeintlich ausländischen Namen zu ändern, um Fuß fassen zu können, seien ebenso keine Seltenheit: Auch dem in Wien geborenen und heute als künstlerischen Leiter des "Werk X" bekannten Ali M. Abdullah wurde in seiner Anfangszeit als Regisseur dieser Ratschlag ans Herz gelegt. "Erst später ist ihm klar geworden, welche Rassismen damit verbunden sind", erzählt Distal.

Schaffen es Migranten doch in die kleinen und großen Kunst- und Kulturbetriebe Wiens, wäre da noch das Problem der stereotypen Darstellungen. Bekannt sei dies vor allem aus dem Filmbereich. "Ukrainerinnen spielen Prostituierte und Russen irgendwelche Mafia-Menschen", bringt es Wimmer auf den Punkt.

Kislal ergänzt: "Braucht man einen Taxifahrer, geht man in Schauspielschulen und sucht jemanden, der zu dieser Rolle passt. Sucht man explizit einen türkischen Taxifahrer, geht man zu einem Taxistand. Der Film benützt diese Geilheit auf das Echte schon sehr lang. Jetzt gerade sehen wir viele Beispiele im Theater - vom Orientalismus zum Exotismus". Von Migranten würde damit ein Mehr an Authentizität verlangt, welches mit einem Weniger an Professionalität einher zu gehen scheint.

"Vor Orientalismus zum Exotismus"

Im Jahr 2012 erzählt Wimmer im Rahmen des Projektes "Pimp my Integration", dass Migranten im Kunstbetrieb rasch des Sozialfalles verdächtigt würden. Und Kislal selbst fragt sich 2016, wie lang sie wohl noch als Migrantin wahrgenommen wird, wie lang ihre Studierenden noch mit dieser Frage kämpfen werden. Projekte wie "dasKunst" oder die Schauspielakademie "divercitylab" für "junge Schauspieler mit und ohne Migrationshintergrund" gründete sie, "damit sich diese Fragen endlich mal erledigen. Damit es keine Notwendigkeit mehr gibt. Dass Migranten in der Kunst normal sind. Aber bis dahin müssen wir - gegen meinen Willen - entsprechende Maßnahmen setzen. Es ist echt ein verdammtes Dilemma".

Autonomie versus gezielte Förderung

Die Wiener Kulturpolitik scheint diese Maßnahmen schon übersprungen zu haben und sieht bereits die geforderte Normalität: "Es gibt in Wien viele tolle Künstler, die migrantischen Hintergrund haben. Das ist ein selbstverständlicher integrativer Teil der Wiener Kulturszene", erzählt der Vorsitzende des Wiener Kulturausschusses, Ernst Woller, von seinen Erfahrungen. Diese decken sich jedoch nicht ganz mit jenen von Bratic: Denn trotz Verbesserung sind "wir noch weit davon entfernt, eine ernsthafte, auf Kontinuitäten zielende Förder- und Forderpolitik zu erleben".

Die in Österreich erst spät realisierte Autonomie der Kunst stellt sich in den Weg gezielter Förderungen, sagt Wimmer und bestätigt die Kulturpolitik: "Der oberste Grundsatz ist die Freiheit der Kunst. Wir können als Kulturpolitiker nicht sagen, was die Häuser spielen müssen oder wie sie Stücke besetzen sollen.

Aktuelle Diskussionen wie jene rund um das Volkstheater und dem Stück "Homohalal" von Ibrahim Amir verdeutlichen, wie sich Wien in diesen Punkten noch am Anfange befinde, sagt Wimmer: "Es gibt noch eine ganz große Sensibilität und ganz wenig Erfahrungswissen, was man machen soll. Was ist zumutbar? Vergrätzen wir unsere regelmäßigen Besucher dabei? Es ist interessant, wie vorsichtig ein Betrieb damit umgeht, wie angstbesetzt er ist."

Rund zehn Jahre nach ihrem Abschluss fungiert Asli Kislal als Leuchtturm einer migrantischen Wiener Kulturpolitik. Sie, ihre Projekte, ihre Studierenden werden auch von Kultur-Vorsitzenden Ernst Woller als Positivbeispiele genannt. Ihre Erfahrungen in Wien, die sie seit dem Jahr 1994 machen konnte, fasst sie so zusammen: "Es ist eine mühsame Arbeit, aber langsam kommt es in den Köpfen an."